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Zeitung << 1/2003 << „Reisen in Europa - und du wirst noch bezahlt dafür“


„Reisen in Europa - und du wirst noch bezahlt dafür“
Interview mit einer ungarischen Reiseleiterin

Autor: Dávid Horváth

Eszter Magyar ist mit 22 Jahren schon eine erfolgreiche Reiseleiterin, die seit vier Jahren mit deutschsprachigen Touristen in Italien arbeitet. Wie sie sich selbst verwirklichen konnte, erzählt sie dem GeMa. Dieser Artikel kann aufschlussreich sein vor allem für diejenigen, die in der Tourismusbranche arbeiten möchten.

Wie wurdest du Reiseleiterin?
Zufällig. Ich besuchte eine Schule für Tourismus. Während dieser Zeit hatte ich immer das Problem vor mehreren Leuten zu sprechen: Meine Stimme und mein ganzer Körper zitterte. Ich hatte vor Büroarbeit zu machen. Unsere Klasse bekam eine Möglichkeit mit einem österreichischen Touroperator sechs Wochen lang in Italien Reiseleitung zu machen. Ich habe mich beworben und ich habe eine positive Antwort erhalten. Ich hatte nichts zu verlieren, ich habe es einfach ausprobiert.

Wo genau hast du gearbeitet?
In Norditalien, in der Toscana, aber auch in Veneto (Venedig), in der Lombardei (Mailand), in Umbrien (Assisi, Perugia), auf den Inseln Sardinien und Elba.

Das alles hast du in sechs Wochen kennen gelernt?
Nein, sechs Wochen lang arbeitete ich nur in Südtirol mit vierzig anderen Reiseleitern aus aller Welt. Nach dieser Tour wurden die vier besten in die Toscana geschickt, um dort als Reiseleiter zu arbeiten. Ich war nie zuvor da. Nach der Ankunft haben wir Florenz aus verschiedenen Büchern kennen gelernt und am nächsten Tag musste ich schon in einen Bus, voll mit deutschen Touristen, einsteigen. Du kannst dir vorstellen, wie stressig der Tag war, aber ich habe es geschafft.

Was gehört eigentlich zu deinem Aufgabenbereich?
Die Betreuung der Gäste, Erklärung des Gebiets, wo wir gerade sind. Die Touristen sollen viel erfahren, ich muss sowohl sehr informativ als auch unterhaltsam, witzig und gut gelaunt sein. Das Gleichgewicht zu finden kommt mit der Erfahrung. Natürlich muss ich die Strecke, die wir mit dem Bus oder durch einen Stadtrundgang machen, selbst gut kennen.

Wie sieht dein Arbeitstag aus?
Gegen sieben Uhr stehe ich auf, ich habe eine Stunde, um auf mein Gesicht ein Lächeln zu zaubern, und um acht Uhr steige ich ausgeschlafen und gutgelaunt in den Bus. Ich nehme das Mikrofon in die Hand, „wecke“ die Gäste und versuche eine gute Stimmung zu schaffen. Ich erkläre Einiges über die Region. Bei der Stadtbesichtigung muss ich die Gruppe zusammen halten, ihnen so viel wie möglich zeigen und natürlich auch Freizeit geben. Ich lege die Abfahrtszeiten fest. Es gibt einen Spruch, den ich immer meinen Gästen erzähle: „Wer fünf Minuten zu spät kommt, muss singen, wer zehn Minuten zu spät kommt, muss tanzen und wer fünfzehn Minuten zu spät kommt, muss singen und tanzen, wo der Bus gerade steht”. Am Abend kommen wir dann gegen 18-19 Uhr im Hotel an.

Das hört sich gar nicht kompliziert an. Ist diese Arbeit so einfach?
Theoretisch ja. Aber es gibt immer etwas, worum man sich kümmern muss. Es gibt z.B. sehr viele Taschendiebe in den italienischen Großstädten (Verona, Venedig, Rom, Mailand). Wenn jemand aus der Gruppe bestohlen wird, dann muss man zuerst das Programm mit Stadtrundgang durchführen, und erst danach den Diebstahl bei der Polizei melden, die Bankkarten sperren lassen und am Konsulat neue Dokumente beantragen und die „Ausgeflippten“ beruhigen. Es kommt auch vor, dass sich jemand in einer fremden Stadt verläuft. Dann darf ich nur dreißig Minuten warten. Oder es kann auch passieren, dass der Bus kaputt geht, dass man sich in einer neuen Gegend verfährt oder ein Unfall passiert. Ich könnte noch viele Sachen erzählen, die einen Tag versauen können. Egal, was passiert, ich habe Zeitpunkte einzuhalten und laut Prospekt muss die Reise durchgeführt werden. Es hört sich hart an, aber es ist so.

Was gefällt dir an dieser Arbeit?
Erstens kommt man an solche Orte, die man vielleicht nie im Leben sehen würde. Man lernt, wie man mit Menschen umgehen soll, man wird immer toleranter. Jeder Tag ist eine Herausforderung, man schließt zahlreiche Bekanntschaften, gewinnt Freunde für das Leben aus allen Ecken der Welt. Es kommen Reiseleiter aus den Niederlanden, Kroatien, Slowenien, Belgien, aus den Beneluxstaaten, Frankreich, Italien. Natürlich ist die Anerkennung auch sehr wichtig. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich früher Angst hatte mich vor anderen Leuten zu äußern. Ich möchte dieses Leben genießen, solange ich keine Familie habe.

Was würdest du den Neulingen empfehlen, die sich vielleicht auch ausprobieren möchten? Was für Eigenschaften oder Ausbildung braucht man um ein guter Reiseleiter zu werden?
Am wichtigsten ist die Fremdsprache zu beherrschen und auch benutzen zu können, die Ausbildung ist nicht notwendig. Man muss mit Menschen gut umgehen können, man braucht viel Geduld, Empathie, gute Orientierungskenntnisse, Reiselust, Organisationsfähigkeit, Selbstbewusstsein, eine gewisse Ausstrahlung und natürlich Glück.

Vielen Dank für das Gespräch!