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Zeitung << 1/2011 << Deutschlerner an Bushaltestelle


Deutschlerner an Bushaltestelle
Brigita Kacjan – Ein Vortrag über Probleme im modernen Fremdsprachenunterricht

Autorin: Ulla Doden

Was für Probleme gibt es im DaF-Unterricht und wie kann man sie lösen? Kacjan zeigt, wie wichtig es ist, auf Interferenzfehler einzugehen. Im April 2011hatten wir das Glück, Brigita Kacjan von der Universität Maribor aus Slowenien in Szeged begrüßen zu dürfen. Gegen 18 Uhr versammelten sich etwa 20 Leute, um ihren Vortrag „Sprachen übergreifende Interferenzen – Eine gewaltige Herausforderung an den modernen Fremdsprachenunterricht“ zu hören.

Ist man Deutschlehrer und möchte Nicht-Muttersprachler die deutsche Sprache lehren, stößt man stetig auf dieselben Fehler. Es tauchen typische Interferenzfehler auf, auf die viele Lehrer nicht angemessen reagieren können, weil ihnen nicht genug bewusst ist, wo die Ursachen liegen. Interferenzen sind fehlerhafte Übertragungen aus anderen Sprachen, nicht ausschließlich aus der Muttersprache, sondern aus allen Sprachen, die man je gelernt hat. Das heißt, wenn man ungarischer Muttersprachler ist und Deutsch, Englisch und Französisch beherrscht oder lernt, kann es in allen vier Sprachen zu sprachenübergreifenden Einflüssen kommen. Da Frau Kacjan die Vernachlässigung dieses Themas sehr bedauert, ist sie motiviert, uns, das heißt die Lehrer und Lernenden, auf diese Probleme aufmerksam zu machen.
Die Grundlage des modernen DaF-Unterrichts sollte, Frau Kacjan zufolge, die Mehrsprachigkeitsdidaktik sein. Wenn wir Sprachen lernen, vernetzen wir nämlich unser Wissen über die einzelnen Sprachen miteinander. Ähneln sich die erste und zweite Fremdsprache sprachtypologisch, hat die erste Fremdsprache eine Art Brückenfunktion. Das Ziel der Mehrsprachigkeitsdidaktik ist die Einbeziehung des Transferaspekts in den DaF-Unterricht.
Lernt man mehr als eine Fremdsprache, kommt es zu verschiedenen Formen Sprachen übergreifender Einflüsse. Kacjan verweist auf das dynamische Model des Multilingualismus (DDM), welches die folgenden vier Phänomene beinhaltet: Unter „Borrowing“ versteht man das Ausleihen eines Wortes aus einer anderen Sprache (z.B. Ich hätte gerne einen alma) (Apfel heißt auf Ungarisch alma). Man leiht sich quasi ein Wort aus einer anderen Sprache aus, wenn man sich nicht an das deutsche Wort erinnert. Unter „Code-Switching“ versteht man die Nutzung einer anderen Sprache in einem größeren Umfang. Es gibt beispielsweise zweisprachige Schulen an der slowenisch-ungarischen Grenze, in denen durchgehend von der einen zur anderen Sprache gewechselt wird.
„Transfer“ kann sowohl positiv als auch negativ sein. Positiver Transfer ist meist unbewusst und bedeutet, dass man korrekt von der einen in die andere Sprache übersetzt. Negativer Transfer sind die schon oben genannten Interferenzen, bei denen es zu einer Abweichung von der Norm kommt und die direkt als Fehler identifiziert werden. Um diese Interferenzen geht es in Kacjans Fallstudie.
In ihrer Fallstudie stieß Kacjan auf sieben verschiedene Interferenzbereiche (siehe Infokasten). Kacjan wollte u.a. herausfinden, welche Sprache bei den Interferenzen in schriftlichen Texten dominiert und ob es Unterschiede bei den Interferenzbereichen zwischen Deutsch als erster und als zweiter Fremdsprache gibt.
Sie untersuchte Texte von sechs Probandengruppen. Texte von drei verschiedenen Klassenstufen (5. und 7. Klasse Gesamtschule sowie 3. Jahrgang Gymnasium). Eine Gruppe lernte Englisch als erste Fremdsprache und Deutsch als zweite, die andere Gruppe lernte zuerst Deutsch und als zweite Fremdsprache Englisch. Bei den Untersuchungen kam heraus, dass die slowenischen Interferenzen dominieren und die englischen bedeutend weniger umfangreich sind. Getrennt für die erste und zweite Fremdsprache ergibt sich, dass in beiden Fällen Slowenisch die dominierende Sprache ist. Da jedoch die Substantive sowohl in der slowenischen als auch in der englischen Sprache klein geschrieben werden, ist es nicht möglich, diese Art von Fehler sprachspezifisch einzuordnen.Der Vergleich der Interferenzbereiche zwischen Deutsch als FS1 und FS2 ergab, dass der Interferenzbereich »slowenische Rechtschreibung« bedeutend größer ist, wenn ein Lernender Deutsch als zweite Fremdsprache lernt. Der Interferenzbereich »slowenische Grammatik« dagegen ist umso kleiner, wahrscheinlich weil Englisch, in diesem Fall FS1, und Deutsch (FS2) verwandte Sprachen sind.
All diese Untersuchungen zeigen uns im Endeffekt, dass unser Fremdsprachen-Lernen immer durch jene Sprachen beeinflusst wird, die wir zuvor gelernt haben. Die Herausforderung an Lehrer sowie Lerner ist, dass wir die Interferenzfehler als Lernchance nutzen und gerade nicht als Versagen. »Wir müssen den Lerner an der Bushaltestelle abholen, an der er steht«, sagt Frau Kacjan. Wenn wir wissen, warum wir bestimmte Fehler machen, können wir gezielt damit arbeiten. Interferenzfehler müssen von gewöhnlichen Fehlern unterschieden werden. Gerade deswegen war es Frau Kacjan so wichtig, dieses Thema weit zu verbreiten. Dabei ist es wichtig, dass die Lehrkräfte die richtigen Lehrwerke aussuchen, nämlich solche, die die Mehrsprachigkeitsdidaktik als Grundlage haben. Mit einer erheiternden Zeichung, in der Lehrkraft und Lerner Hand in Hand durch die Welt spazieren, beendet Kacjan ihren Vortrag mit dem Stichwort: »Gemeinsam arbeiten an einem zukünftigen besseren Ergebnis!« Vielen Dank, Frau Kacjan.


Sieben Interferenzbereiche: Sprachentrio SLO – DE – ENG:

Slowenische Rechtschreibung (*zehr für sehr)
Slowenische Lexik/Semantik (*klobas für Wurst)
Slowenische Grammatik (*…, wo kriegt man das Geld. für (slo.) , kjer dobimo denar. /* Haus ist schön)
Englische Rechtschreibung (*Music für Musik)
Englische Lexik/Semantik (*Croatia für Kroatien)
Englische Grammatik (gelösed für gelöst)
Kleinschreibung der Substantive (*hund für Hund)