Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 1/2011 << Erfahrungen mit dem Ungarndeutschtum


Erfahrungen mit dem Ungarndeutschtum
Gespräch mit Ungarndeutschen in der GeMa-Redaktion

Autorin: Andrea Mityók

Ich habe mit einer ungarischen und vier ungarndeutschen ehemaligen Germanistik-Studentinnen der Universität Szeged über die ungarndeutsche Minderheit gesprochen. Alle sind ehemalige GeMa-Mitarbeiterinnen. Sie haben sich mit verschiedenen ungarndeutschen Dörfern und Städten wie Hajós, Jerking oder Csátalja beschäftigt (GeMa 2/2002, 1/2008), Artikel über das Ungarndeutsche Bildungszentrum in Baja (GeMa 2/2008), die Minderheitenwahl im Jahre 2002 und das Minderheitenhaus in Szeged (GeMa 1/2002, 2/2002) geschrieben. Darüber hinaus gab es einen Artikel über die Chefredakteurin der deutschsprachigen Monatszeitung Pavillon (GeMa 1/2006). Die Gesprächspartner sind Viktória Molnár, Anita Arnold, Judit Straub, Krisztina Szilaski und Alexandra Korom. Sie haben über ihre persönlichen Erfahrungen zum Thema Ungarndeutsche erzählt.

Was bedeutet es heute in Ungarn Ungarndeutsche zu sein?
Ihrer Meinung nach, ganz kurz zusammengefasst, bedeutet es die alten Traditionen, die (ungarn)deutsche Kultur und die deutsche Sprache zu pflegen und aufzubewahren. Als Ungarndeutsche hat man gute Chancen bei den deutschsprachigen Wettbewerben, Schulinstituten oder Firmen, die Kontakte oder Tochterunternehmen in einem deutschsprachigen Land haben, weil es ein stereotypisches Vorurteil über die Ungarndeutschen gibt, dass sie sehr gute Sprachkenntnisse haben. Einerseits ist das eine falsche Vorstellung, andererseits müsste man die Ungarndeutschen auch aus einem anderen Blickpunkt untersuchen. „Gute Sprachkenntnisse und Fleiß hängen nicht unbedingt mit der Abstammung zusammen“, meint auch Krisztina. Ungarndeutsche/r zu sein bedeutet auch ein gemischtes Identitätsgefühl zu haben. In den Familien, die seit Jahrhunderten oder Jahrzehnten in Ungarn leben, kommt es immer häufiger vor, dass sie über gar keine deutschen Sprachkenntnisse verfügen. Zu Hause sprechen sie schon seit langer Zeit nur auf Ungarisch, und die Assimilation ist zwischen den in einer Gemeinschaft lebenden Menschen sehr stark. Unter anderen hat Alexandra hierüber und über die damit zusammenhängende Assimilations- und Identitätsproblematik erzählt. Auf der politischen Ebene hätte die Minderheit eine starke und sichere Position in Ungarn, aber es fehlt das Interesse an der ungarndeutschen Kultur und Sprache, und das ist das Hauptproblem. Die Partnerschaften mit deutschen Institutionen und Städten ermöglichen eine stabile Basis für diese Minderheit, auch in Zukunft. Deshalb wäre es laut Krisztina eine gute Idee, mehrere Kontakte zu deutschsprachigen Ländern zu knüpfen. So könnte die Chance der jungen Ungarndeutschen erhöht werden, andere deutschsprachige Länder kennen zu lernen bzw. dort zu studieren. Aber auch schon eine Pflichtstunde könnte in der Schule sehr nützlich sein und das Interesse wecken – meint Anita, die als Kantorin versucht, von dieser Möglichkeit zu profitieren. Sie hält jeden Sonntag eine deutschsprachige, schwäbische Messe in ihrem Heimatort Hajós. Hajós ist eine ungarndeutsche Stadt, und die Muttersprache von Anita ist das Schwäbische. Somit betrifft das Problem sie persönlich.

Persönliche Erfahrungen – die Vorteile der ungarndeutschen Abstammung
Sie hatten sehr verschiedene Erlebnisse in Verbindung mit der ungarndeutschen Minderheit, und eigentlich ist es die deutsche Sprache, neben dem Interesse an ungarndeutscher Kultur, die diese fünf Frauen miteinander verbindet. Diese Sprache war immer in ihrer Nähe, und dies war die Motivation sich für das Fach Germanistik zu entscheiden. Sie wollten über Sprachkenntnisse verfügen, von denen sie später profitieren könnten. Sie haben ganz früh angefangen die deutsche Sprache kennen zu lernen.
Judit hat ihre Kindheit in dem schwäbischen Dorf Jerking verbracht. Sie hat im Kindergarten angefangen Deutsch zu sprechen, aber einige schwäbische Ausdrücke hat sie schon von ihrer damaligen Nachbarin gelernt. Sie hat später mit einem Stipendium der DJO ein ganzes Schuljahr in Deutschland verbracht. Dabei hat sie eine bilinguale Klasse am Tolnai Lajos Gymnasium besucht, wo sie Mitglied der ungarndeutschen Tanzgruppe des Gymnasiums war, und nach dem Abitur tanzte sie in der Tanzgruppe des Jerkinger Traditionspflegevereins. So hatte sie die Möglichkeit, mehrmals an Auftritten in Deutschland oder z.B. im Europapark in Rust teilzunehmen.
Das Dorf Jerking hat eine lange Tradition, und die Idee, darüber einen Artikel zu schreiben, kam, als ihre Mutter einst die Sitten und Bräuche von Jerking mit der Hilfe von Schülern zusammengetragen hat. Judit hat dabei geholfen, und es war auch für sie eine Überraschung, über wie viele Traditionen Jerking verfügt. Heute, als Mutter, ist es für Judit sehr wichtig, dass auch ihre Kinder die ungarndeutsche Kultur, die Sitten und Bräuche kennenlernen, und sie versucht, ihren Kindern die deutsche Sprache beizubringen. Der Heimatort von Anita ist auch eine ungarndeutsche Stadt, wo es ebenfalls eine Menge Traditionen gibt. Zu der Stadt Hajós gehört ein Weinkellerdorf, das die größte und längste zusammenhängende Kellerkette in Mitteleuropa ist. Ihre Familie hat zwei Keller, und auch sie arbeitet dort und auf den Traubenfeldern. Das Weinkellerdorf ist für die dort lebenden Menschen ein wertvolles Kulturgut. Sie schrieb einen Artikel für das GeMa, weil sie wollte, dass man in der Zeitung auch über die ungarndeutsche Minderheit lesen kann. Später war das auch das Thema ihrer Diplomarbeit. Es gibt nämlich eine Heimatforscherin, die schon mehrere Artikel und Bücher über die Hajoscher Kultur und Sprache geschrieben hat. Anita hatte noch keine Idee für das Thema ihrer Diplomarbeit, als dieser Forscherin der Einfall kam, ein Fachwörterbuch zu schreiben, und so hat ihre gemeinsame Arbeit begonnen. Die Sammlung haben sie seitdem erweitert, und wahrscheinlich wird es noch in diesem Jahr veröffentlicht.
Krisztina hat die deutsche Sprache auch im Kindergarten erlernt, sie erinnert sich daran als „Sprachlernen auf eine sehr spielerische Art und Weise“. Sie hat als Kind oft gelauscht, wie ihre Uroma und Oma väterlicherseits miteinander auf Schwäbisch sprachen, und mit ca. zehn Jahren konnte sie auch schon an diesen deutschsprachigen Diskussionen teilnehmen. Sie hat das zweisprachige Gymnasium UBZ (Ungarndeutsches Bildungszentrum) in Baja besucht, und mehrere ungarndeutsche Dialekte kennengelernt. Dieses Gymnasium wurde schon mehrmals auch im GeMa präsentiert, deshalb wollte Krisztina in ihrem darüber geschriebenen Artikel eine andere und humane Seite dieser Bildungsstätte darstellen. Die zwei Gastlehrer, mit denen sie gesprochen hat, waren eigentlich ihre ehemaligen Lehrer. Es war für Krisztina sehr nützlich und spannend, von den deutschen Muttersprachlern unterrichtet zu werden. Sie wollte die Eindrücke der deutschen Gastlehrer über den gesamten Unterricht mit den ungarischen Schülern im Gymnasium, im GeMa veröffentlichen. Diese Erfahrungen repräsentieren anschaulich, welche Vorteile eine ungarndeutsche Abstammung haben kann, was z.B. die Sprachkenntnisse und die außergewöhnlichen kulturellen Erlebnisse betrifft.

Aktive Teilnahme am Leben dieser Minderheit
Alexandra und Viktória haben in der Grundschule angefangen, deutsch zu lernen, in ihrer Kindheit hatten sie keine persönliche Erfahrung mit der ungarndeutschen Minderheit oder mit der deutschen Sprache. Zurzeit arbeitet Viktória als Chefredeakteurin bei einer deutschsprachigen Monatszeitung. Darüber, wie die Möglichkeit kam, diese Stelle zu bekommen, und welche Aufgaben sie als Chefredeakteurin hat, hat schon Markus Kóth im GeMa geschrieben. Die Zeitung „Pavillon“ ist eine Monatszeitung im Komitat Bács-Kiskun. Die Leser sind vor allem Deutschsprachige (Schweizer, Österreicher, Deutsche und auch Holländer), die seit mehreren Jahren in Ungarn leben, oder regelmäßig nach Ungarn fahren, um hier Urlaub zu machen. Dies ist wichtig zu betonen, weil es um eine Minderheit geht, die erst nach der Wende nach Ungarn gekommen ist.
In ihrem Heimatort Kiskunhalas gibt es eine deutsche Minderheitenselbstverwaltung, jedoch leben dort nur wenige (zu der historischen Minderheit gehörende) Ungarndeutsche, und es werden nicht sehr viele Programme veranstaltet. Die ungarndeutsche Kultur findet Viktória sehr interessant, sie schätzt die Bemühungen ihre Traditionen zu bewahren. Sie versucht, ihre Programme dadurch zu unterstützen, dass sie im Pavillon darüber berichtet.
Seit 2002 ist Alexandra eine Vertreterin der ungarndeutschen Selbstverwaltung in Szeged, und auch als Germanistik-Studentin hat sie versucht, Aufmerksamkeit für die Themen der Minderheit zu bekommen. Zwei ihrer GeMa-Artikel beschäftigten sich mit diesem Thema. Sie hat einen Artikel über das Minderheitenhaus in Szeged geschrieben. In diesem Haus können sich die Mitglieder der Nationalitäten treffen, ihre Kultur, ihre Sprache und ihre Gewohnheiten pflegen. Ich konnte mich hier mit Alexandra treffen, und ich habe an einem von ihr organisierten literarischen Abend teilgenommen, der monatlich veranstaltet wird. Die ungarndeutsche Selbstverwaltung organisiert nämlich zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für die Festigung und Entwicklung der nationalen Identität der in Szeged lebenden Ungarndeutschen. Die Selbstverwaltung beschäftigt sich mit kulturellen Fragen und die Vertreter leisten eine karitative Tätigkeit. Das ist sehr wichtig, zu wissen, weil ihre Arbeit ein Beispiel dafür abgeben könnte, wie Menschen mit Begeisterung und Ausdauer schöne Dinge erreichen können, ohne dass Finanzielles eine Rolle spielen würde.