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Zeitung << 2/2010 << Lang(weilig)e Abende


Lang(weilig)e Abende
Gedanken über das Buch „Lange Abende” von Martin Kolozs

Autorin: Éva Karl

„Vor sieben Tagen kam dann Christians Nachlass mit der Post. In der Hauptsache waren es seine Kleider und jene Briefe, die ich ihm als Antwort geschrieben hatte. Aber ich habe darunter auch seine persönlichen Aufzeichnungen gefunden. Sein Tagebuch, von dem er mir nie erzählt hatte. Bevor ich es zu lesen anfing, blätterte ich es oft durch, ohne die Bedeutung der einzelnen Sätze zu erfassen. Ich denke, ich ließ mir so lange Zeit, weil ich keine Erklärung brauchte, wie man sie normalerweise nach einem Selbstmord erhofft. Ich wusste ja bereits, dass Christians Tod ein glücklicher war.”

So beginnt die Erzählung von Martin Kolozs über Christian, über sein Leben und über seinen Tod. Christian weiß nichts vom Segeln, und schwimmen kann er auch nicht. Jedoch entscheidet er sich, sein gewohntes Leben in der Großstadt aufzugeben und etwas Neues zu beginnen, ein einsames Leben auf einem Boot am See. Seine sozialen Beziehungen lösen sich fast total auf. Er hält den Kontakt durch Briefwechsel mit dem Erzähler des Romans, und am See lernt er den stillen Kapitän und später die Frau Martha kennen. Seine ständige Begleiterin wird eine Katze, die zusammen mit ihm auf dem Boot lebt. Die Erzählung ist nicht ereignisreich, am wichtigsten sind Christians Gedanken. Er lebt einsam am See, um sein Lebensziel zu finden und Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Gelingt es ihm? Wir wissen es nicht. Die letzten Zeilen der Erzählung zeugen von seinem Selbstmord. „Er ging unter Deck und schlug ein Loch in den Rumpf, durch das Wasser sprudelte und das Boot überschwemmte.“ Vor seinem Tod ist Christian in die Stadt zurückgegangen, um seinen Freunden zu versichern, dass er sich am See wohl fühlt. „Ich glaube, dass ich für eine Weile in die Stadt zurück muss“, sagte Christian. „Man erzählt schon Geschichten über mich.“ Aber als der Moment kam, warteten die Freunde umsonst auf ihn. Er kann sich nicht mit ihnen treffen, ich denke, dass er keine Kraft dazu hat, auf die Fragen zu antworten. Er geht zurück zum See und beendet sein Leben. Die Frage bleibt: Warum begeht Christian Selbstmord? Der Autor gibt keine eindeutige Antwort oder Erklärung. Vielleicht ist diese Antwort für alle unterschiedlich. Warum hat Christian statt Leben den Tod gewählt? Vielleicht hat er verstanden, dass seine Freunde in der Stadt ihn nie verstehen werden. Vielleicht dachte er, dass nachdem seine Katze gestorben ist und auch Martha weggegangen ist, ihm nichts bleibt, wofür er leben könnte. Oder vielleicht hat er herausgefunden, was Glück ist. Diese Erzählung von Martin Kolozs bringt die Leser_innen zum Nachdenken. Über Leben und Tod, über Freundschaften, über uns selbst. Die Geschichte kann sehr inspirierend sein, weil sie ohne die Leser_innen nicht existiert. Wir sollen den Inhalt zwischen den Zeilen und Halbsätzen finden. Gibt es aber eigentlich einen Inhalt zwischen den Zeilen? Ich habe ihn nicht gefunden. Vielleicht ist das Problem, dass ich keine Philosophin bin. Oder vielleicht möchte der Text philosophisch sein, aber es gelingt ihm nicht. Zu viel vielleicht, zu wenig „wow”! Zu viele Fragen, zu wenige Antworten. Lange oder langweilige Abende? Das sollen die Leser_innen selbst entscheiden.