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Zeitung << 2/2010 << Wenn die Wirtschaft lockt
Wenn die Wirtschaft lockt
Chancen der Germanistik-AbsolventInnen auf dem Arbeitsmarkt
Autor: Konrad Gerescher
Wer sich näher mit den Anforderungen des modernen Wirtschaftslebens befasst – und das tun auch in letzter Zeit viele GermanistInnen, indem sie die humanitäre Sprachlehre durch die rationelle Wirtschaftssprache ergänzen – kommt früher oder später nicht um die Feststellung herum, dass allein mit Sprachdiplomen auf den Arbeitsämtern kein Staat zu machen ist. Die Möglichkeiten, in Ungarn mit der Fremdsprache Deutsch oder/und Englisch eine LehrerInnen-Anstellung zu finden, ist nur so groß, wie die Vetternwirtschaft der etablierten LehrerInnen es zulässt.
In ca. 350 zweisprachigen Mittelschulen bekommen zuerst mal die verwandten StudienabgängerInnen der ausscheidenden LehrerInnen eine Anstellung, danach kommen die ortsansässigen Bekannten, und erst lange dahinter werden die paar verbliebenen Plätze mit auswärtigen BewerberInnen besetzt. Also ist die Misere der arbeitssuchenden jungen GermanistInnen, selbst mit mehreren Sprachdiplomen lange arbeitslos bleiben zu müssen, mehr als verständlich. Wen das nicht schreckt, der gehört wahrscheinlich zur Gruppe jener in altehrwürdiger Lehrtradition verwurzelter AspirantInnen, die den Lehrer auf unserem Foto (aufgen. 1938 in einer Grundschule des Karpatenbeckens) eher bewundern als belächeln und die lieber arbeitslos auf eine Arbeitsstelle warten, als dass sie die Misere auf dem Stellenmarkt misslich empfinden. Sie wird die Beschäftigung mit dem Thema in unserem Artikel eher kalt lassen.
Allen übrigen kann eine Abhilfe aus solcher misslichen Lage nicht gleichgültig sein. Wenn z.B. die PersonalchefInnen eines sich neu in Ungarn angesiedelten Großbetriebes (konkret Mercedes Kecskemét, möglich Opel Szent Gothard und Audi Gyõr sowie andere kleinere deutsche Betriebe) die frappierende Frage stellen muss, wieso sich so viele Jung-GermanistInnen mit nur einem Sprachdiplom um eine Stelle in der Industrie bewerben, so gibt es nur eine Antwort, weil sie nur auf ihre guten Sprachkenntnisse setzen und sonst von den Anforderungen der Wirtschaft keine Ahnung haben. Diese Tatsache liegt auch dem Ausbildungsvertrag zwischen Mercedes und der Bajaer Hochschule zugrunde, die erstrangig auf Wirtschafts-Deutsch den Bildungsschwerpunkt legt, ansonsten einige technische Fächer beinhaltet, die ohnehin zum Grundgerüst der Bajaer Ausbildung zu BerufsschullehrerInnen gehören. Doch hier wollen wir uns nicht an Baja orientieren, sondern an dem hohen Sprachniveau, das bei allen Germanistik-AbgängerInnen vorhanden ist und weiter versuchen, davon zur Wirtschaft eine Brücke zu schlagen. Dabei brauchen auch Vergleiche mit den StudienabgängerInnen der Fachhochschulen mit kaufmännischem und ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund nicht gescheut werden. Die GermanistInnen bilden und erfüllen grundsätzlich die sprachliche Spitzenforderung der deutsch-ungarischen Betriebe. Das schafft Hoffnung bei den StudienabgängerInnen der Germanistik ohne Lehrambition. Sicherer wird ihre Lage in jedem Falle durch das zweite Fachdiplom.
Doch um uns nicht zu verzetteln, nehmen wir einen heutzutage sehr gefragten und sehr zukunftsorientierten Fachbereich unter die Lupe: die Logistik (kommt aus dem Griechischen und heißt nach Wikipedia praktische Rechenkunst). Im Wirtschaftsbereich ist es die Organisation, Steuerung, Bereitstellung und Optimierung von allerlei Güterbewegung, was in der heutigen globalen Produktionsweise dauernde Expansion und immer mehr Bedarf an Angestellten bedeutet. Wie ein Neuling damit zu tun hat, ist keine Wissenschaft, sondern eine logische Reihe kleinster Schritte in der Probezeit. Wenn etwas Glück bei der Bewerbung mitspielt, kann durchaus nur die gute PC-Bedienung das Sprachdiplom ergänzen, wie das bei einer jungen Berufsanfängerin in Makó der Fall war. Sie wurde eingestellt, weil die Logistik der Leergut-Disposition den einen männlichen Angestellten überforderte, und sie setzte ihr gutes Deutsch bei der Belieferung von mehreren bundesdeutschen Betrieben so geschickt ein, dass sie nach einem halben Jahr selbständig arbeitete. Als die Wirtschaftskrise 2008 kam, wurde die Frage, wen die Firma behalten soll, zu ihren Gunsten entschieden, weil sie wesentlich billiger arbeitete als der männliche Kollege. Das ist der glückliche Berufsalltag in Ungarn, wo es viel leichter ist, eine Arbeitsstelle zu verteidigen, als mit nur dem Sprach-(Lehr-)Diplom eine Anstellung zu finden.
Die Frage, welche Art von Zweitdiplom das reine Lehrdiplom am zweckdienlichsten ergänzen kann, ist schnell beantwortet: Jedes aus der Betriebswirtschaft, auch wenn es nur auf den kaufmännischen Randbereich beschränkt wird und den Ingenieurbereich mit den vielen Umsetzungstätigkeiten in der Arbeitsvorbereitung mit konstruktiven Plänen in die inner- und außerbetrieblichen Werkstätten außer Acht lässt: PC- Informatik, Werbewirtschaft, Materialwirtschaft, Wirtschaftsorganisation, Umwelt- und Entsorgungs-Distribution (natürlich alles mit guten Schreibmaschinenkenntnissen). Damit nun ein_e Germanistik-AbsolventIn vor einer Anstellung in einem Wirtschaftsbetrieb nicht vor Angst schlaflose Nächte bekommen muss, seien hier einige Tipps aus eigener Erfahrung angemerkt, die ungefähr so wichtig sind, wie der erste Paragraf im Straßenverkehr, der da heißt: Du sollst dich immer so verhalten, dass andere VerkehrsteilnehmerInnen nicht mehr als nach den Erfordernissen behindert oder belästigt werden.
In der innerbetrieblichen Logistik muss man sich an drei Grundzügen rationellen Arbeitens orientieren: 1. Konsequente Prioritätenliste der Arbeitsaufgaben erstellen; was muss heute noch raus, was morgen und welches erst nach einer Woche? Kein noch so hoher Aktenberg an Aufgaben darf den Arbeitsfluss negativ beeinflussen, indem vor ihm vorschnell resigniert oder alles durcheinander erledigt wird; 2. Mache niemals etwas zweimal, sei es ein Weg oder eine Erledigung am Schreibtisch. 3. Ordne die Arbeits-Hilfsmittel jeden Abend aufs Neue, damit sie am Morgen ohne suchen greifbar sind usw. Im Übrigen, wer als Neuling Ohren und Augen offen hält, wird in keinem Wirtschaftsbetrieb hier in Ungarn oder in Europa scheitern – und vielleicht am Anfang etwas länger mit Kaffeekochen und Aktenordnen beschäftigt werden.
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