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Zeitung << 2/2010 << Migration in Europa aus Jugendperspektive


Migration in Europa aus Jugendperspektive
Internationales Seminar und Konferenz der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) auf Malta

Autorin: Mónika Hevesi

Ich wusste, dass ich erst am Nachmittag fahre, aber ich konnte weder schlafen noch essen. Das war mein erster Flug, und trotz aller Menge Ermutigung und guter Ratschläge hatte ich Angst. Aber um dreizehn Uhr, als mein Bus den Wiener Flughafen anfuhr, dachte ich nur an das mir bevorstehende Abenteuer. Es ist doch toll, wenn man Mitte Herbst nach Malta fliegen kann.

In Wien war es noch echt kalt. Es regnete, und als ich den warmen Bus verließ, zog ich meine dünne blaue Lederjacke verfroren zu. Ich bemerkte, dass eine andere Reisende selbstbewusst in die Richtung des Flughafengebäudes losging, und lief ihr nach. Das erwies sich als eine gute Idee, da ich mir so – mindestens für den Anfang – nützliche Hilfe und Gesellschaft erworben habe. Bis zum Abflug ging alles glatt. Ich konnte problemlos und rechtzeitig einchecken, und ich hatte sogar ein bisschen Freizeit, in der ich versuchen konnte, mir ein Taxi online zu bestellen. Doch war ich am Ende – wie überraschend – eine der letzten drei Passagierinnen, die in den Flieger einstiegen.

Ankunft auf Malta
Erst auf Malta bin ich darauf gekommen, dass mein Versuch mit dem Taxibestellen nur ein Versuch geblieben war. Als ich ankam, war der letzte Bus schon lange weg, und ich traf die schlechteste Entscheidung: Statt ein anderes (möglichst billiges) Taxi zu suchen, rief ich das erstbeste Taxiunternehmen an und wartete etwa vierzig Minuten lang, bis eine Angestellte kam. Vielleicht verirrte sie sich auf dem Weg zum Flughafen – wie dann mit mir im Wagen auf dem Weg zum kleinen Dorf Tarxien. Aber mit der Irrfahrt waren die Schwierigkeiten zum Glück zu Ende. Als wir die Unterkunft schließlich gefunden hatten, nahmen die Organisatoren des Seminars die Initiative in die Hand. Ich war kurz danach schon in meinem Zimmer, das ich zuerst mit zwei, dann von Montag an mit drei Mädchen teilte: mit Zane aus Lettland, Ivelina aus Bulgarien und Sabrina aus der Schweiz. Wie sich später während des zwanglosen Freizeitprogramms herausstellte, konnte ich mich nicht nur mit Sabrina auf Deutsch unterhalten; neben den Teilnehmer_innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sprachen etwa siebzig Prozent der Anwesenden Deutsch. Da unsere Arbeitssprache in den folgenden Tagen das Englische war, welches für mich als zweite Fremdsprache nach einer Zeit anstrengend ist, war das eine angenehme Überraschung.
Unsere Bleibe in Tarxien war eigentlich ein umgebautes mittelalterliches Schloss: zum Teil mit Harnischen, Wandteppichen und Gemälden, zum Teil mit der normalen Ausstattung einer Jugendherberge. Es gab aber einige Dinge, an die man sich trotz der überwältigenden Szenerie gewöhnen musste: die britischen Steckdosen, das nur in Flaschen erhältliche Trinkwasser und die immer feuchte Luft, die überall zu riechen war.

Das Seminar
An unserem ersten Arbeitstag bekamen wir nach einer relativ kurzen Vorstellungs- und Vorbereitungsperiode eine der interessantesten – und meiner Meinung nach wichtigsten – Aufgaben. Wir sollten teils grundlegende, teils provokative Fragen in Bezug auf die Migration beantworten, z.B. „Was für Einwanderer/Einwanderinnen braucht Europa?“ oder „Was soll man mit den illegalen Einwanderer/Einwanderinnen tun?“. Zu jeder Frage gehörten zwei große Blätter. Auf diese sollten wir nacheinander unsere Antworten schreiben und die früheren Antworten kommentieren oder ergänzen. Die wichtigsten Grundlagen der bevorstehenden gemeinsamen Arbeit ließen sich durch die Ergebnisse dieser Aufgabe feststellen: einerseits die Unterschiede der Meinungen, Vorkenntnisse und Annäherungen, andererseits die vielfältigen Ideen und das starke Interesse am Thema.
Neben den abwechslungsreichen Gruppenaufgaben (wie etwa das Aufarbeiten eines englischsprachigen Abkommens über die Rechte der Gastarbeiter_innen) hatten wir verschiedene Vorträge in den nächsten Tagen, die unser Wissen erweiterten oder vertieften. Die Themenbereiche waren breit gefächert: Wir lernten unter anderem die Situation des kleinen Inselstaates Malta kennen, auf dem seit 2002 eine Masse von – meist illegalen – Einwanderern/Einwanderinnen landet. Wir hörten Vorträge über die internationalen Konventionen zur Betreuung von Flüchtlingen und Migrant_innen, aber auch über ein deutsches Integrationsprojekt (BQM Hamburg), das die Verbesserung der Ausbildungssituation und beruflicher Chancen von jungen Leuten mit Migrationshintergrund anstrebt.
Was bei uns allen einen besonders bleibenden Eindruck hinterließ, war die Exkursion in das Migrationszentrum von Marsa. Das Zentrum war ursprünglich ein von Zivilist_innen geleitetes Lager für Einwanderer, das ihnen eine vorübergehende Unterkunft und grundlegende Bildungsmöglichkeiten bietet. Es wurde als Nothilfe in den leer stehenden Gebäuden einer Schule eingerichtet, die wegen Gesundheitsrisiken – verursacht von einem Kanal voll faulen Wassers – geschlossen wurde. Hier versucht die Zivilorganisation „Foundation for Shelter and Support of Migrants“ den mehreren hundert ausschließlich männlichen Einwanderern, trotz dem Kanalgeruch und der Gedrängtheit lebenswerte Bedingungen zu sichern.
Am letzten Arbeitstag des Seminars fasste die Gruppe die Erfahrungen der vorigen Tage für die Teilnehmer_innen der Konferenz in einer Deklaration zusammen. Aber bevor wir diese letzte ernste Aufgabe bewältigten, gab es eine ganze Reihe von unvergesslichen Erlebnissen: die Ausflüge nach Valletta und zur wunderschönen Küstenstadt Sliema, der gelungene internationale Abend, wo wir einander schon am Anfang besser kennen lernen konnten, dann die abendlichen Partys und die langen Gespräche während der Kaffeepausen. Die Konferenz selbst schien mir ein bissen zu kurz gewesen zu sein. Vielleicht, weil sie zum Teil parallel lief zum Seminar, damit wir auch gemeinsame Veranstaltungen hatten, und weil ich an den mehrmals organisierten Programmen nur mit der Seminargruppe teilnahm. Es war aber schön, auch die Mitglieder der anderen Sektionen unserer Organisation kennen zu lernen, die nur für die Konferenz nach Malta geflogen sind.
Für mich war das Spannendste vielleicht die internationale Gesellschaft selbst. Auch wenn das Wetter unberechenbar war und wir immer wieder nass geworden sind, die gemeinsam verbrachte Zeit hinterließ in mir ein unbeschreibbar gutes Gefühl. Während meiner Universitätsjahre habe ich so oft den Aufruf gehört oder gelesen, dass die jungen Leute aus Europa zusammen für eine bessere Zukunft etwas tun könnten, begleitet von Plakaten mit lächelnden Gesichtern. Doch das alles klang irgendwie zu schön – und war zu allgemein gefasst. Als ich meine Mitstudierenden ansah, blickte Desinteresse und Unglaube auf mich zurück. Aber jetzt konnte ich das erste Mal daran glauben, dass es wirklich möglich ist – wenn wir es wollen und uns für das Suchen und Finden der Möglichkeiten Zeit nehmen. Malta und die schönen Pläne sind näher, als du es vermuten würdest. Du kannst auch deinen Weg finden, wie es mir gelungen ist. Mit oder ohne JEF – jeder von uns kann die Zukunft mitgestalten.


Junge Europäische Föderalisten:

JEF ist eine übernationale, politisch pluralistische Jugendorganisation, die mit ihren etwa dreißig tausend Mitgliedern in mehr als dreißig europäischen Ländern präsent ist. Die Mitglieder sind junge Leute zwischen sechzehn und fünfunddreißig Jahren. JEF wurde ursprünglich in Frankreich gegründet, aber die größte Mitgliedsorganisation ist heute die österreichische.
Das Ziel der Organisation ist, dass die europäischen Staaten in einem Bund für den Frieden und eine freiere demokratische und gerechte Gesellschaft eng zusammenarbeiten. Sie veranstalten internationale Trainings, Seminare und Konferenzen und koordinieren verschiedene Aktionen, zum Beispiel für die Popularisierung der EU am internationalen Europatag.