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Zeitung << 2/2010 << Die Welt steht uns zu Füßen, aber sind wir bereit?
Die Welt steht uns zu Füßen, aber sind wir bereit?
Interkulturelle Gespräche über die Interkulturalität
Autor: Zoltán Tóth
Im zarten Alter von 13-14 Jahren bekam ich das Angebot, ich solle mich als Dolmetscher versuchen. Ich habe die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sie wahrgenommen. Die ersten Gespräche liefen super, ich musste ja nur von einer in die andere Sprache übersetzen. Ich war echt stolz auf mich, aber jetzt zurückblickend muss ich leider feststellen, dass ich zwar das „Übersetzen“ gemeistert habe, doch die Interkulturalität der beiden Gesprächspartner außer Acht ließ. Über diese Problematik konnte ich mich mit vier deutschen Muttersprachler_innen austauschen, wobei ich feststellen musste, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, also richtig oder falsch, sondern vieles dazwischen.
Horst Liedtke, Leiter des Lektorats „Deutsch als Fremdsprache“ an der Georg-August-Universität Göttingen, hat am 6. Oktober 2010 einen sehr interessanten Gastvortrag an der Universität Szeged gehalten, mit dem Titel Interkulturelle Missverständnisse. Bei einem Gespräch mit Herrn Liedtke wurde mir unter anderem bewusst, dass seine Betrachtung der Dinge nicht nur anders, sondern auch besser ist als meine. Ich dachte immer, dass Fehler bei Gesprächen von zwei unterschiedlichen Kulturen zu minimieren sind. Er hingegen meinte, dass man sich genau durch jene Fehler bewusst wird, wer man wirklich ist, denn was für uns angebracht und zugleich normal erscheint, kann in einer anderen Kultur als fremd erscheinen.
Einer der häufigsten Fehler sei die Verletzung der Privatsphäre des Anderen. Hierbei müssen wir uns eine Blase vorstellen, welche jede Person umgibt. Sie sind unterschiedlich groß und haben auch unterschiedliche Formen. Bei den Deutschen ist sie meistens größer als bei den Ungarn. Die Form ist deswegen interessant, weil sie vorne meist größer ist als hinten. Das können wir uns am Beispiel der Rolltreppe vorstellen, denn auf dieser können wir es noch verkraften, wenn jemand nah hinter uns steht, aber vor uns muss doch ein bestimmter Abstand eingehalten werden. Noch ein interessantes Spiel, zu dem mir Herr Liedtke riet: Ich sollte versuchen beim Essen mein Glas unauffällig über die Hälfte des Tisches zu der mir gegenüber sitzenden Person zu schieben, um zu sehen, wie sie reagiert, denn so kann man sehen, wo die Privatsphäre in der Wirklichkeit beginnt.
Ich konnte auch mit drei reizenden Damen, die in der Tätigkeit von Tutorinnen nach Szeged gereist sind, derartige Gespräche führen. Ich habe ihnen sehr viele Fragen gestellt. Sie alle aufzuzählen würde zu lange dauern, aber eine Sache war dennoch erstaunlich, obwohl es sich bei meinen Gesprächspartnerinnen um Frauen im gleichen Alter und um Mitglieder der gleichen Nation handelte, waren ihre Antworten dennoch nicht identisch. Bei Fragen, wie man sie denn hätte begrüßen sollen, ob eher mit Händeschütteln, oder ob zwei Küsschen auf die Wange die annehmbarere Variante sein könnte, gab es mehrere Antworten, wie: Ein Kuss auf die Wange sei zu intim, oder dass beide Möglichkeiten gehen würden.
Ich kann allen nur raten, keine_n nach dem Herkunftsland in Schubladen zu stecken, denn jede_r ist ein Individuum und möchte auch so behandelt werden. Und nach dem Small Talk über die Verspätung der Bahn (ein Thema neben dem Wetter, über das jede_r Deutsche gern spricht, wobei hierbei wieder in Schubladen gesteckt wird, aber oft behält man doch Recht) könnt ihr auch fragen, was der Person an eurem Verhalten aufgefallen ist, denn nur durch Fehler können wir lernen und werden bereit für die große weite Welt und dessen Bewohner_innen sein.
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