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Zeitung << 1/2010 << Eine Stunde mal anders


Eine Stunde mal anders
Lehrveranstaltungen am UBZ

Autor: Zoltán Tóth

Als wir uns für die Möglichkeit entschieden haben, das Gymnasium des UBZ in Baja zu besuchen, wollten wir an so vielen Stunden teilnehmen wie möglich. Diese Bitte hatte den Hintergrund, dass der Lehrerberuf für uns eine berufliche Option ist.

Auf der Busfahrt nach Baja machten wir uns insgeheim Gedanken, wie es wohl sein würde, eine Stunde aus einer Art Zwischenposition zu beobachten: Nicht von der gewohnten Seite des Schülers/der Schülerin, aber auch nicht als Lehrer. Einige Zweifel kamen auf: Was ist, wenn jemand uns etwas fragt und wir es eventuell nicht wissen? Aber zusammen würden wir sicher auf alles eine Antwort finden können - so verschwanden unsere Zweifel.
Als wir ankamen und empfangen wurden, sind alle Zweifel verflogen. Ich habe mich von meiner Kollegin Anna getrennt und versucht, einen Kaffee zu besorgen. Als ich zurückkehrte, habe ich die Schüler/innen, die Anna von hinten anschauten, leise sagen hören: „Das muss eine neue Lehrerin sein“.

Erste Stunde: Goethes Faust
Die erste Stunde die wir besuchen konnten, hat sich mit dem Thema befasst, das jedem deutschen Literaturliebhaber das Herz höher schlagen lässt, nämlich Faust. Die Lehrerin, deren Muttersprache Deutsch ist, „rannte“ auf die Minute genau aus dem Lehrerzimmer hinaus und sagte: „Kommen sie, wir müssen uns beeilen!“. Sie machte auf uns den Eindruck, dass jede Minute die Sie von der Stunde verpassen würde, eine Art Diebstahl der kostbaren Unterrichtszeit wäre. Die Lehrerin war sehr gut vorbereitet, sie ging auch auf die Schüler/innen ein. Einige von ihnen hatten keine Hausaufgaben. Ich glaube, an vielen Gymnasien hätte man diesen Schülern/innen eine Eins gegeben und der Zwischenfall wäre damit abgeschlossen gewesen. Hier war es aber anders: Die Lehrerin verurteilte die Schüler/innen nicht, sie wollte ihnen lediglich helfen, damit es nicht wieder vorkommt. Den Stoff von Faust, der, wenn wir ehrlich sind, nicht gerade als Lieblingsstück von Heranwachsenden gilt, was sich später mit der Zeit bestimmt ändert, hat sie mit Hilfe eines Films „aufgepeppt“. Die Schüler/innen haben sich darüber gefreut, mussten die neuen Kenntnisse aber auch anwenden, denn selbst der Inhalt des zehnminütigen Filmes, der in der Stunde gezeigt wurde, wurde abgefragt.

Zweite Stunde: Kafka
Die zweite Stunde befasste sich mit einem beinah so interessanten Thema: „Die Verwandlung“ von Kafka. Das Klima war nicht das gleiche, nach kurzer Zeit wurde auch klar, wieso. Die Lehrerin war „neu”, sie hatte noch keinen engeren Kontakt zu den Schülern aufbauen können. Ihre Präzision war trotz dieser Tatsache dennoch hervorragend. Sie achtete auf Probleme, die vielleicht auftauchen könnten, und druckte den Schülern/inen die zu lösenden Aufgaben einzeln aus.
Doch wie schon zuvor, fehlten bei einigen die Hausaufgaben. Eine Tendenz? Gerade im Fach Literatur, in dem es hauptsächlich um Interpretation geht, scheinen sich die meisten auf ihre Kompetenz zu verlassen. Nur handelt es sich bei Literatur eben nicht nur um Kompetenz. Besser gesagt: Man kann seine „Gefühle“ und seine Kreativität nicht ohne wenigstens ein Mindestmaß an Fakten anwenden! Die Lehrerin – äußerst verständnisvoll – machte aus der Sache kein großes Problem, obwohl es nicht das erste Mal vorkam. Sie erzählte uns, es komme hier öfter vor, da die Schüler bis spät am Nachmittag Stunden und Sonderprogramme hätten. Man müsse Prioritäten setzen, für jede Stunde könne man sich nicht vorbereiten. Dies wurde uns auch von einer Schülerin bestätigt. Wie schön, dass es noch solche gutmütigen Lehrer/innen gibt…

Dritte Stunde: Deutsche Grammatik
Die letzte Stunde, die wir besuchen konnten, war eine Premiere für uns, denn der Lehrer war nicht nur der erste männliche Lehrer, sondern auch der erste, dessen Muttersprache Ungarisch war. Er hat den Schülern Grammatik beigebracht. Seine Lehrmethode war für mich zuerst nicht ideal. Er hat die Schüler/innen sehr gefordert, so dass sie keine Zeit hatten, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Ich habe mir gedacht, dass er sie nicht nur fordert, sondern sogar schon überfordert. Am Ende der Stunde bemerkte ich aber, dass die Schüler/innen nicht müde waren, sondern glücklich. Daraus konnte ich nur zwei Schlüsse ziehen: Entweder waren sie glücklich, weil der Lehrer das ideale Maß gefunden hat, um ihr Wissen zu fördern, oder sie haben sich darüber gefreut, dass die Stunde zu Ende war. Die Lehrkräfte waren sehr hilfsbereit. Sie wussten zwar, dass wir kommen würden, einen festen Plan hatten sie aber nicht. Trotzdem haben sie uns in ihre Stunden gelassen. Die Schüler/innen waren wie „kleine“ Erwachsene, sie mussten von Stunde zu Stunde rennen. Ihre Freizeit war sehr begrenzt. Alles in allem hat sich die Reise nach Baja gelohnt: Wir konnten sehen, wie sich das neue Unterrichtssystem vom alten unterscheidet. Ein geregeltes Mittelmaß wäre das Beste, bei dem die Schüler/innen zwar lernen müssen, aber sich zum Beispiel auch idealerweise für das Studium vorbereiten können.