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Zeitung << 1/2010 << Praktikum in Deutschland


Praktikum in Deutschland
Interview mit einer ehemaligen AIESEC-Praktikantin

Autorin: Csilla Sztankó

Bestimmt haben sich viele von uns schon darüber Gedanken gemacht, wie man die auf dem Arbeitsmarkt geforderten Erwartungen erfüllen kann. Als „frischer Akademiker” muss man meistens schon ein Praktikum hinter sich haben, sonst ist es schwierig einen Job zu bekommen. In Ungarn ist es aber nicht typisch während des Studiums zu jobben, die Möglichkeiten, z.B. Studentenjobs, sind ohnehin beschränkt und haben meistens mit dem gewünschten Bereich nichts zu tun. So passen sie natürlich in den Lebenslauf nicht rein. AIESEC, die größte Studentenorganisation der Welt, macht es aber möglich, ein Praktikum während der Unijahre zu machen. Aus dem Komitee in Szeged hatte eine Wirtschaftstudentin das Glück, ein halbes Jahr in Deutschland zu verbringen. Die Geschichte von Edit Mahler ist eine Erfolgsgeschichte, die in AIESEC-Kreisen wohl bekannt ist und für alle beispielhaft sein kann. Edit erinnert sich gern an die in Bonn verbrachte Zeit.

Du hast eine glänzende Karriere bei AIESEC gemacht. Wie bist du mit der Organisation in Kontakt gekommen und wie ging es weiter?
Erst wurde ich auf AIESEC im Camp für Erstsemester an der Universität Szeged aufmerksam. Einige Monate später habe ich mich schon recht intensiv mit der Organisation beschäftigt und war bei dem Lokalkomitee in Szeged tätig. Die Mitgliedschaft war eine meiner besten Entscheidungen! Obwohl ich es die ganze Zeit ehrenamtlich gemacht habe, konnte ich sehr viel Unbezahlbares lernen und erleben. Ich war für zwei Jahre im lokalen Vorstand in Szeged: in dem ersten Jahr als Vizepräsidentin für Finanzen und Betreuung internationaler Praktikanten. Im zweiten Jahr habe ich als Präsidentin das Lokalkomitee mit ca. 30 Leuten und ein Team von fünf Frauen geleitet. Dann wurde ich nach einem langen Auswahlverfahren zum Mitglied des nationalen Trainerteams ausgewählt, wodurch ich die Möglichkeit erhalten habe, bei regionalen, nationalen und internationalen Konferenzen als Trainer mitzuarbeiten, bzw. für verschiedenen Gruppen Entwicklungstrainings zu Soft Skills zu halten. Diese Erfahrungen waren mir dann auch während meiner Praktika, weiteren Studien oder auch im Privatleben sehr nützlich.

Nach einer langen Tätigkeit zu Hause ist die Zeit gekommen, dich als Praktikantin im Ausland auszuprobieren. In kurzer Zeit hast du eine Stelle in Bonn gefunden. Wie sind die Suche und der Aufnahmeprozess gelaufen?
Bei der Suche habe ich mehrere Faktoren in Betracht gezogen. Vor allem habe ich mir die Dauer des Praktikums vor Augen gehalten. Außerdem wollte ich im HR-Bereich einen Job finden. Über das Zielland habe ich nicht so viel nachgedacht, obwohl ich am Anfang gerade Deutschland ausgeschlossen habe, weil ich schon vor meinem Praktikum viele Möglichkeiten gehabt hatte, das Land zu entdecken. Dann hat es sich doch anders ergeben.
Es hat ca. 3 Wochen gedauert, bis ich eine E-Mail aus Deutschland erhalten habe, besonders wegen meiner sehr guten Deutschkenntnisse, in der ich auf eine Stelle für 6 Monate bei der Deutschen Telekom im Bereich Personalmarketing aufmerksam gemacht wurde. Alle meine Voraussetzungen – außer dem Zielland – haben zugetroffen, so habe ich mich für das Praktikum beworben. Anderthalb Wochen später war ich schon in meinem Zimmer in Bonn, das mir die Mitglieder des Bonner Komitee von AIESEC organisiert haben. Somit hat eine der besten Zeiten meines Lebens angefangen.

Wie hast du dich bei der Firma gefühlt?
Zum Glück konnte ich mich schnell einleben. Mein Erfolgsrezept lag vielleicht in meiner Offenheit. Zu der Integration haben, meiner Meinung nach, meine sehr guten Deutschkenntnisse beigetragen. Die Kollegen konnten zwar gut Englisch, wollten es aber nicht zugeben und die Sprache benutzen, weil sie immer davor Angst hatten, einen Fehler zu machen.
Es hat mir besonders gut gefallen, dass ich nicht als „nur eine Praktikantin”, sondern vielmehr als gleichberechtigte Kollegin behandelt wurde – zumindest hatte ich dieses Gefühl. Meine Ideen waren immer willkommen, ich hatte die Freiheit meine Arbeit so zu gestalten, wie es mir gefiel.

Du hast schon Erfahrungen mit ungarischen Firmen gemacht. Welche Unterschiede gibt es zwischen einer deutschen und einer ungarischen Firma?
Ich fand die Arbeitsweise in Deutschland sehr angenehm. Bei uns im Team haben sich die meisten gesiezt, die Kollegen waren aber trotzdem freundlich und haben auch private Themen miteinander besprochen – auch wenn nicht in zu vielen Details, lieber nur allgemein. Mit meiner direkten Vorgesetzten hatte ich aber einen sehr guten Kontakt, sowohl persönlich als auch professionell. Als Praktikantin wurde ich auch von den Vorgesetzten oder älteren Kollegen oft Frau Mahler genannt, was ich sehr seltsam fand. Ich habe dafür echt viel Zeit gebraucht, mich daran zu gewöhnen. In Ungarn hatte ich andere Erfahrungen. Es kommt oft vor, dass ich Leute sieze – weil sie z.B. eine höhere Position haben – trotzdem werde ich von ihnen geduzt. An meinem vorherigen Arbeitsplatz hat jeder sogar meinen Nicknamen benutzt, so war Frau Mahler für mich extrem gewöhnungsbedürftig.
Die Kommunikation in der Firma ist meistens über E-Mail gelaufen. Was ich aber immer sehr witzig gefunden habe, ist, dass die Leute bei der Besprechung kurzer Fragen oft lieber per Telefon geklärt haben, anstatt ins Nachbarbüro herüberzukommen.

Du warst aber nicht nur einmal in Bonn. Wie ist die Idee gekommen, dass du noch ein zweites Mal bei der Firma arbeitest?
Erst war es eigentlich nur als Witz gemeint. Während ich nach meinem ersten Praktikum bei der DTAG (Deutsche Telekom AG) wieder an der Uni war, blieb ich in Kontakt mit meinen ehemaligen Kollegen bzw. mit meiner Nachfolgerin, die eine sehr gute Freundin von mir ist. Ich habe mit ihr ab und zu über Skype telefoniert. Sie hat mir erwähnt, dass meine ehemalige Chefin eine Job-Rotation in Singapur plane und man nach ihrer Vertretung suche. Dann haben wir kurz erwähnt, wie witzig es wäre, wenn ich als Vertretung einspringen würde und die Chefin einer Freundin wäre. Sie hat diesen Witz auch bei der Firma erwähnt, und die Kollegen haben es für eine super Idee gehalten. So erhielt ich einige Tage später einen Anruf von den ehemaligen Vorgesetzten, ob ich tatsächlich das machen würde und wann ich anfangen kann. Ca. einen Monat später war ich wieder mal in Bonn, in meinem alten Zimmer.

Hast du mit deinen ehemaligen Kollegen immer noch Kontakt?
Seitdem ich mein erstes Praktikum beendet habe, bin ich alle 3-4 Monate zumindest einmal zu Besuch nach Bonn zurückgekehrt. Ich habe dort sehr viele nette Leute kennen gelernt. Zu den Kollegen habe ich eine andere Beziehung als damals. Sie wollten die Arbeit mit dem Privatleben nicht mischen, so ist jetzt unsere Beziehung etwas persönlicher.