|
Zeitung << 1/2010 << Alles, was wir von Ungarn (nie) wissen wollten
Alles, was wir von Ungarn (nie) wissen wollten
Ein lebensgefährliches Buch
Autorin: Mónika Hevesi
Ein Ungar kommt selten allein – steht auf der Titelseite des Bandes. Etwas kommt mir hier komisch vor. Es sollte eigentlich „Unglück“ heißen, oder? Schon eine düstere Konnotation. Besteht ein Zusammenhang zwischen Ungarn und Unglück? Eigentlich ja, aber… Es ist eine komplizierte Geschichte. Ungarn machen alles kompliziert. Ungarn machen alles besser. Leben, Liebe, Kultur, Wissenschaft. Und Unglück auch. Aber wirklich!
Dass dieses Buch lebensgefährlich sei, behauptete der Autor, Georg Kövary selbst: „Die Originalausgabe dieses Buches war ein Selbstmordversuch. Um präzise wie ein Deutscher und überheblich wie ein Ungar zu sein: alle acht bisherigen Auflagen waren es, und diese ist es auch.“ Denn sowohl Ungarn, die durch diese Lektüre herausfinden, dass sie „eine unmögliche Nation“ sind, als auch Nicht-Ungarn, die während des Lesens draufkommen, dass sie dem wunderbaren „Magyarenvolk“ nie das Wasser reichen können, werden mit dem Verfasser nicht mehr verkehren wollen. Und ohne Mitmenschen würde er „zuerst seelisch verdursten und dann körperlich verhungern“. Zum Glück ist es nicht passiert. Weil das Buch (seit dessen Erstauflage 1984) ein liebenswertes Meisterstück ist, voll von Heimatliebe, Humor, Ehrlichkeit und bittersüßer Selbstironie.
Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis verrät vieles nicht nur über den Inhalt, sondern auch über den Stil des Autors: „Weltmarke Piroschka“ (Ungarnkunde), „Landnahme live“ (Ungarngeschichte), „Ein ungarisches Dorf namens Hollywood“ (Ungarnpanoptikum) oder „Die Überlebenskünstler“ (Ungarnträume). Als ich mit dem Lesen des Buches anfing, wollte ich eigentlich schön Seite für Seite vorrücken, aber das schaffte ich doch nicht. Ich konnte den verführerischen Titeln nicht widerstehen.
Aber das wäre noch kein Problem geworden. Ganz oft las ich meine (wortwörtlich) rot-weiß-grüne Lektüre auf öffentlichen Plätzen (wie etwa im Zug), und ganz oft fiel ich damit auf. Nicht wegen des farbenfrohen Umschlags oder des deutschen Titels. Ich musste von Zeit zu Zeit laut auflachen – und wenn ich schon lachte, konnte ich das nicht immer kurz und dezent beenden. Das war aber nicht mein Fehler. Obwohl ich schon nach den ersten Seiten wusste, dass der Text voll von unerwarteten „Humorfallen“ ist, kamen manche Pointen so unerwartet und waren so treffend, dass ich mich ihrer elementaren Kraft nicht widersetzen konnte.
Das war aber nur die eine Seite der Medaille. Georg Kövary beschreibt nicht nur die humorvollen Aspekte des Ungarnseins empfindsam, sondern auch die düsteren Perioden der Geschichte seines „gottesverlassenen Volkes“. Hin und wieder fühlte ich mich während des Lesens von seiner lauter Heimatliebe so tief berührt, dass ich kaum sprechen hätte können. Und hier und da schämte ich mich wegen meiner „unmöglichen Nation“, ich ärgerte mich bei der scharfsinnigen (und doch mütterlich verständnisvollen) Beschreibung der „typisch ungarischen“ Methoden des Selbstzerstörens.
Vielleicht mangels langjähriger Lebenserfahrung waren meine emotionellen Reaktionen ab und zu ein bisschen zu heftig während des Lesens. Ein anderer Grund kann sein, dass „normal“ für die Ungarn ein Fremdwort ist, wie es auch im Buch steht. Eins ist aber sicher: Alle Mitglieder des komischen Ungarnvolkes könnten von dem (leider bereits verstorbenen) Georg Kövary lernen. Wie Brigitte Kövary, die Witwe des Autors formuliert, gaben er und sein österreichischer Freund Fritz Muliar (der Verfasser des Vorwortes) in ihren Werken ihre Heimatliebe auf eine ganz besondere Weise kund: „Mit dem lächelnden, liebevollen Blick einer Mutter, mit den kritischen Augen eines Vaters, aber immer und vor allem mit dem ihnen eigen gewesenen Witz und Charme.“
|
|