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Zeitung << 1/2010 << Unser vielfältiges Europa


Unser vielfältiges Europa
Nachwuchsjournalistentagung in Berlin

Autorin: Anett Sóti

Minderheiten in Europa – das war das Thema an den sechsten, durch die Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten „European Youth Media Convention” (EYMC – europäische Jugendmedientage) im April 2010 in Berlin. 37 junge Nachwuchsjournalistinnen und Nachwuchsjournalisten aus 18 verschiedenen europäischen Ländern versuchten einer schwierigen Aufgabe Rechnung zu tragen: Über die Probleme der sexuellen, politischen, nationalen und religiösen Minderheiten in Europa nachzudenken und zu diskutieren. Dabei sind nicht nur neue Aspekte und Medienprodukte, sondern auch neue Freundschaften entstanden.

Die EYMC bedeutet kulturelle Vielfalt, grenzenloses Denken, Sprachwirrwarr, journalistische Arbeit und interessante Diskussionsrunden. Organisiert wird die EYMC einmal im Jahr von der Jugendpresse Deutschland, der European Youth Press und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dieses Jahr diskutierten junge Medienmacher zwischen 18 und 30 Jahren aus ganz Europa drei spannende Seminartage lang über ein jährlich wechselndes sozialpolitisches Thema und produzierten nebenbei Medienbeiträge in Radio, Print, Video, Fotografie und Theater.

Probleme kennen keine Grenzen
Eines der Probleme, das heutzutage immer schwieriger zu lösen sein scheint, ist das Problem der ethnischen Gruppen in Europa. Während die Welt viel globaler und kleiner wird, können wir nicht länger behaupten, dass etwas, das irgendwo in der Welt passiert – wie das Problem der Minderheiten – uns nicht betrifft. Wir leben doch zusammen, das heißt, ihre Probleme sind auch unsere Probleme. Wir dürfen nicht wegschauen.

Verschiedene Nationen, gemeinsames Problem
Die Teilnehmer berichteten in Vorträgen von den Minderheiten aus ihren Ländern. Diana-Adela Ionita, 22, erzählte, dass in Italien die Anzahl der rumänischen Einwanderer mehr als eine Million beträgt. Die meisten von ihnen machen harte körperliche Arbeit, weil sie keine andere Arbeit bekommen können. „Trotz zahlreicher Einwanderer, die einen Hochschulabschluss und berufliche Erfahrungen haben und noch mindestens zwei Fremdsprachen sprechen, können sie nur schwere körperliche Arbeitsstelle bekommen”, erklärt Diana. Während die Männer eher in der Landwirtschaft beschäftigt seien, machen die Frauen Babysitting oder Altenbetreuung. Die meisten rumänischen Gastarbeiter kommen aus der nordöstlichen Region Rumäniens, wo dadurch viele Städte wie Suceava und Vaslui wie ausgestorben seien. Diana hofft, dass die Rumänen und Rumäninnen in der Zukunft als Europäer respektiert sein werden und sie auch die Chance bekommen, mit hochqualitativen Jobmöglichkeiten sich einen besseren Lebensstandard leisten zu können.
Dobriyana Tropankeva, 24, kommt aus Bulgarien. Sie arbeitet aber zur Zeit als Klavierlehrerin an einer englischen Grundschule in England. Als Kind und Jugendliche hat sie in Plovdiv, in ihrer Heimatstadt, oft gesehen, dass die Roma aufgrund ihrer Lebensweise diskriminiert worden sind. Auf dem Balkan in Bulgarien leben die Roma in den größten Ghettos. Sie gehören zu den am stärksten von Marginalisierung betroffenen Bevölkerungsgruppen. Ihre soziale Lage ist von Armut und einem niedrigen Ausbildungs- und Erwerbsniveau geprägt. „Die Romakinder können Schulung und Essen vom Staat bekommen, damit sie in einem Umfeld aufwachsen, das sie von Kriminalität fernhält. Die Eltern wollen sie trotzdem nicht zur Schule schicken”, beklagt Dobriyana mit starken Emotionen.
In der Kantine der Friedrich-Ebert-Stiftung sagt mir Matteo de Simone aus Bologna in der Mittagspause, dass die Band Besh O Drom aus Ungarn zu seinen Lieblingsbänden zählt und er schon bei uns in Szeged in einem Konzert von ihnen war. Er ist aber neugierig und fragt mich weiter, was eigentlich „Minderheit sein” in Ungarn bedeutet. Ich erkläre ihm, dass wir in Ungarn ein umfassendes Minderheitengesetz haben, das bereits seit 1993 in Kraft ist. Die Kriterien für die Anerkennung als Minderheit sind folgende: Als Minderheit wird die Volksgruppe anerkannt, die seit mindestens 100 Jahren auf dem Territorium Ungarns beheimatet ist, die sich im Kreise der Bevölkerung des Staates in zahlenmäßiger Minderheit befindet, deren Mitglieder ungarische Staatsbürger sind und sich vom übrigen Teil der Bevölkerung durch ihre eigene Sprache, Sitten, Kultur und Tradition unterscheiden. (Gesetz Nr. LXXVII des Jahres 1993 über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten).
Albana Ulaj, 28, aus Kosovo denkt, dass dieses Thema heutzutage in Europa sehr relevant ist und freut sich sehr an der Panel-Diskussion teilnehmen zu dürfen. Sie erklärt die schwierige Situation von Albanern im Kosovo, die von Serben vor dem Kosovokrieg von 1999 stark diskrimiert waren. „Ich bin der Meinung, dass die Minderheiten in unseren Ländern ein guter Spiegel für unsere Gesellschaft sein können”, sagt Albana. Sie bezeichnen nämlich, was genau Demokratie, Toleranz und Verständnis innerhalb der Grenzen bedeutet. Ihre Rechte sind auch wichtig, die wir respektieren sollten. Auf diesem Weg kann sich unsere Gesellschaft auf der politischen und sozialen Ebene weiter entwickeln.
Nach einer langen Nacht in einer Bar mit kubanischer Musik in der Oranienburger Straße genießen die jungen Medienmacher einen Vortrag von Dr. Sabine Riedel von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Sie erklärt unter anderem, welche Strategien es auf politischer Ebene gibt, ethnische und nationale Minderheit in unsere Gesellschaften zu integrieren. „Multilingualer Unterricht für ethnische Gruppen und die Autonomie ohne Staatseingriff für religiöse Minderheiten können gute Lösungen sein, um sie leichter und erfolgreicher in die Gesellschaft zu integrieren”.
Julia Fiedler, 19, aus Bremen und Klara Kühn, 18, aus Neckargemünd, fahren in die Stadt und befragen die Spaziergänger auf den Straßen der Multikulti-Metropole Berlin, was sie unter dem Begriff „Minderheiten” verstehen. Alberto Scaravaggi, 26, aus Italien interessiert sich für die homosexuelle Minderheit in Berlin, so macht er sich auf die Spurensuche in den Bezirken Schöneberg, Tiergarten und Pankow. Die Zeit ist knapp, es bleibt nur ein Vormittag und ein halber Nachmittag die Beiträge zu produzieren. Das TV-Team hat einige technische Probleme mit dem Schnittprogramm, aber mit zwei-drei Stunden Verspätung können sie auch ihren TV-Spot dem Publikum zeigen.

Diskussion bedeutet neue Ideen
Trotz des vollen Programms bleibt am dritten Tag noch Zeit für die Teilnehmer, den Bundestag zu besuchen und an einem kleinen Stadtrundgang teilzunehmen. Auf dem nur ein paar minütigen Weg vom Potsdamer Platz bis zum Brandenburger Tor erzählt Elisa Radtke, Organisatorin der EYMC ’10 und Mitglied der Jugendpresse Deutschland, dass sie während der Organisation und der Konferenz sehr viel gelernt hat und sich in der Zukunft mehr mit diesem Thema beschäftigen und auch ihre Abschlussarbeit darüber schreiben möchte. Diana wollte die reale Situation der Roma in Rumänien besser an der Medienkonferenz schildern, weil sie denkt, dass die internationalen Medien über die Roma aus ihrem Heimatland mit vielen Fehlern berichten. Außerdem war sie auch sehr neugierig auf die Herausforderungen und Erkenntnisse, die ein solches „multicultural cross borders”-Treffen bringen kann. „EYMC ’10 hat mir viel geholfen, eine noch objektivere und realistischere Meinung über die Minderheiten in ganz Europa zu bilden. Ich habe mich nicht nur beruflich, sondern auch sozial weiter entwichelt”, so Diana.
Nach den Diskussionsrunden seien die Minderheitenrechte in bestimmten Teilen Europas laut Albana immer noch nicht ausreichend akzeptiert. Als zukünftige Journalistin und Medienexpertin hat sie die Medienkonferenz für eine sehr wichtige und nützliche Plattform gefunden, um Ideen, Erfahrungen und Lösungen über die Minderheitenprobleme auszutauschen. Nicht zuletzt denkt sie, dass wir Nachwuchsjournalisten und Nachwuchsjournalistinnen eine sehr wichtige Rolle im Prozess der Integration der Minderheiten in unseren Ländern spielen können.