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Zeitung << 1/2010 << „Ich wollte neue Wege gehen”


„Ich wollte neue Wege gehen”
Gespräch mit Tamás Kispál über seine Promotion zu Metaphern

Autor: Róbert Lessmeister

Tamás Kispál, der zu seiner vielseitigen Tätigkeit bereits in einer früheren GeMa-Nummer interviewt wurde, erntete die Früchte seiner linguistischen Forschung: nach der Verteidigung seiner Dissertation erhielt er im Juni 2010 den Doktortitel. Ich traf den GeMa-Chef in seinem Büro an der Uni, wo ich ihn über die Hintergründe des Doktorwerdens befragte.

Es werden vielleicht wenige wissen: Du hast einen zweifachen Grund zu feiern, du bist nämlich gestern vierzig geworden. Wie hast du diese runde Zahl gefeiert?
Ehrlich gesagt hatte ich keine richtige Geburtstagsstimmung, denn ich hatte an meinem Geburtstag bis spät in den Nachmittag Abiturienten zu prüfen, was mir zwar Spaß gemacht, aber keine Zeit zum Feiern erlaubt hat. Ich werde die Feier aber bald nachholen.

Der zweite Grund wird dich allerdings entschädigt haben. Du bist ja kürzlich Doktor geworden! Herzlichen Glückwunsch nochmals! Kann ich noch „du” zum Doktor sagen?
Selbstverständlich bleiben wir beim per du. Es ist natürlich ein wichtiges Ereignis in meinem Leben. Ich denke aber kaum, dass das etwas an meinen Beziehungen zu irgend jemandem verändern würde. Ich rechne nicht damit.

Wann kamst du zum seriösen Entschluss des Promovierens?
Ursprünglich wollte ich Deutschlehrer werden. Der Gedanke, den Gegenstand meiner Diplomarbeit in Richtung PhD fortzusetzen, reifte erst am Ende meiner Studienzeit, und ich muss sagen, dass Frau Csilla Bernáths Vorlesungen über die Phraseologie sowie ihre motivierenden Worte den Doktor zu machen, viel dazu beigetragen haben.

Welche Kurse hast du in der Doktorandenschule besucht?
Die Doktorandenschule „Deutsche Linguistik”, die ich gleich nach meinem Studium ab 1994 besuchen konnte, galt damals von der Richtung der Germanistik als ein Studium im Sinne der strukturalistisch ausgeprägten Linguistik. Kontrastive Linguistik hatte ich bei Péter Bassola, Phraseologie bei Csaba Földes, und Lexikographie bei Burkhard Schaeder, der aus Siegen eingeladen wurde. Da die Doktorandenschule „Deutsche Linguistik” damals als ein Teilprogramm des Hauptprogramms „Theoretische Linguistik” galt, konnte ich meine Kenntnisse glücklicherweise in den Kursen über Phonologie, generative Syntax und formale Semantik erweitern. Zu diesen Kursen, die von bekannten ungarischen Vertretern der linguistischen Disziplinen gehalten wurden (z.B. Syntax von István Kenesei, Leiter der Szegeder Doktorandenschule „Sprachwissenschaft”, oder Phonologie von Ádám Nádasdy, in dessen Lehrveranstaltungen man die Phonologie richtig lieb gewinnen konnte), mussten wir regelmäßig englischsprachige Fachliteratur lesen, was sich für die weitere Forschungstätigkeit als sehr nützlich erwies.

Wie mir scheint, haben aber deine jetzigen Forschungen bzw. deine Dissertation wenig mit den damaligen Ausgangsthesen zu tun?
Es stimmt nur teils. Die Vorbereitung auf eine Dissertation kann eine relativ lange Zeitspanne von vielen Forschungsjahren ausmachen, wo man reichlich Zeit hat, vielleicht auch in eine entgegengesetzte Richtung zu wechseln. Das habe ich aber nicht gemacht. Phraseologie und Lexikographie sind meine Lieblingsforschungsgebiete und teilweise auch das Thema meiner Dissertation geblieben. Als Theorie und Methode habe ich allerdings im Laufe der Jahre im Vergleich zu meinen früheren Plänen einiges geändert, was der Arbeit sicherlich zugute kam. Ich wollte neue Wege gehen.

Ich habe irgendwo gehört, Phraseologie sei bereits so gründlich erforscht wie z.B. Thomas Mann in der Literatur und deshalb da eigentlich nicht mehr viel Neues geschaffen werden könne. Und trotzdem hast du, wie wir von deinen Gutachtern in der Verteidigung gehört haben, eine ganz neue Sichtweise entdeckt, und deine wissenschaftliche Arbeit danach ausgerichtet.
Eben weil die Quellen irgendwann mal erschöpft sind, wird dieser Wechsel nötig. Dies gilt natürlich auch für die alte, strukturalistisch ausgerichtete Phraseologie. Die Phraseologie habe ich aus der Perspektive der kognitiven Linguistik untersucht und daneben auch noch Methoden der Korpuslinguistik angewandt. Ich bin davon ausgegangen, dass einzelne Datentypen und einzelne Methoden auch in der Phraseologie zu keinen zuverlässigen Forschungsergebnissen führen können. Deshalb habe ich verschiedene Datentypen benutzt und eine Methodenkombination angewandt. Weniger diese Theorie, sondern vielmehr deren konsequente Anwendung auf metaphorische Idiome lässt sich meiner Meinung nach als ein Novum in der Phraseologieforschung betrachten.

War das eine strikte Wendung bei deiner Forschungstätigkeit oder gibt es irgendwelche Kontinuität?
Es ist vielleicht selten so, dass man vom einen Tag auf den anderen etwas fallen lässt, um zu etwas ganz Neuem überzugehen. Im Laufe der Zeit entdeckte ich immer wieder neue Aspekte, sozusagen gewisse Regelmäßigkeiten, die hinter den metaphorischen Ausdrücken stecken. Grund dafür, dass sich diese Perspektive nicht früher für mich eröffnete, war, dass ich mich damals noch nicht intensiv mit kognitiven Aspekten befasst hatte. Die kognitive Metapherntheorie entwickelte in mir eine neue Sichtweise auf den Wortschatz, das mentale Lexikon und damit auch auf die Phraseologismen. Dazu kam noch die Korpuslinguistik. Die induktive Methode der Korpuslinguistik, die von den Daten zur Theorie kommen soll, ist für mich viel spannender als die Methode bei vielen theoretischen, u.a. generativistisch ausgerichteten Linguisten, indem sie die Daten den Theorien anzupassen versuchen.

Worin besteht das Wesen der kognitiven Metapherntheorie ganz konkret?
Nun, es galt, den Doppelcharakter der Metaphern von kognitiver Seite zu untersuchen, d.h. welche Zusammenhänge zwischen der wörtlichen und der bildhaften, übertragenen Bedeutung bestehen. Das Idiom den Löffel abgeben (in der Bedeutung ‚sterben‘) ist undurchsichtig, d.h. unmotiviert. Den Zusammenhang zwischen der wörtlichen und der bildhaften Bedeutung sehen wir nicht. Wenn wir aber sagen, dass jemand seine eigenen Wege geht, in seinem Leben am Scheideweg steht oder dass sich unsere Wege mehrmals gekreuzt haben, sehen wir, dass wir das Leben (wenn wir gerade über das Leben sprechen) teilweise mit dem gleichen Wortschatz beschreiben wie den Weg oder eine Reise. Dafür hat sich die konzeptuelle Metapher Leben ist ein Weg eingebürgert, die uns den systematischen metaphorischen Zusammenhang zeigt und von vielen metaphorischen sprachlichen Ausdrücken belegt werden kann. Die Theorie besagt auch, dass Metaphern nicht nur als sprachliche Einheiten zu definieren sind, sondern auch als Gedankeneinheiten fungieren können, d. h. in kognitiver Hinsicht unser Denken, unsere mentalen Vorgänge strukturieren könnten. Die Theorie ist zwar von vielen bestritten, hat aber auch viele Anhänger und lässt sich in zahlreichen sprachlichen Formen realisieren.

András Kertész, Leiter des Lehrstuhls für germanistische Linguistik an der Universität Debrecen, fungierte praktisch als Fernbetreuer bei deiner Dissertation. Wie kam es dazu?
Es war Péter Bassola selbst, der mich an ihn weiterleitete, da András Kertész ein anerkannter Forscher der kognitiven Linguistik und auch Mitglied der Doktorandenschule „Sprachwissenschaft“ an der Universität Szeged ist. Ich kann mich nur positiv zu unserer Zusammenarbeit äußern. Die Entfernung ließ sich gut überbrücken. Er stellte einerseits große Anforderungen an mich, insbesondere was das Studium einer enormen, größtenteils englischsprachigen und oft theoretisch ausgerichteten Fachliteratur betrifft. Andererseits war es sehr nötig und auch eine schöne Herausforderung. Er war ein perfekter Betreuer, der mir mit hilfreichen Ideen, den nötigen Strukturierungsvorschlägen und den wichtigen Literaturhinweisen stets zur Seite stand. Ebenfalls habe ich Péter Bassola viel zu verdanken, der mich ständig motiviert und jahrelang unterstützt hat. Er hat es möglich gemacht, dass ich Unterricht und Forschung an seinem Lehrstuhl unter ruhigen Umständen, in einem angenehmen Arbeitsklima durchführen konnte. Ebenfalls gilt mein Dank Csaba Földes, von dem ich u.a. im Bereich der Phraseologie viel gelernt habe, und Burkhard Schaeder, der mir zum strukturierten Denken, vor allem in der Lexikographie, verholfen und mich auch bei einem DAAD-Jahresstipendium in Siegen 1997/1998 betreut hat. Zum Erfolg haben auch weitere Stipendien- und Forschungsmöglichkeiten in Deutschland und Österreich und Gespräche mit weiteren Sprachwissenschaftlern beigetragen.

Dass sich die Arbeit gelohnt hat und deine Tätigkeit anerkannt wird, zeigt sich eindeutig in der Bewertung deiner Promotion, mit dem Gesamtprädikat summa cum laude. Welche Resonanz hat sie in der Fachwelt? Du hast ja schon vorher viel publiziert.
Die Resonanz kann ich jetzt noch nicht beurteilen. In erster Linie ist es aber eine Bestätigung für mich, die Früchte einer langjährigen Arbeit zu ernten. Die Promotion ist allerdings eine Voraussetzung für viele Forschungstätigkeiten und nach einer Weile auch für die Unterrichtstätigkeit an der Universität. Es soll nicht der Abschluss, sondern erst der Anfang einer intensiven, möglichst lange andauernden Forschungs- und Unterrichtstätigkeit sein. Publizieren möchte ich natürlich weiter. Das muss ich aber auch tun, wenn ich diesen Beruf weitermache.

In welche Richtung gedenkst du deine Arbeit in Zukunft fortzusetzen?
Zunächst möchte ich meine Dissertation publizieren. Außerdem arbeite ich momentan in einer EU-Projektgruppe, beim Projekt SprichWort, das leider im Oktober dieses Jahres ausläuft. Ich habe auch vor weitere Forschungen in meinen jetzigen, aber auch in neueren Forschungsgebieten durchzuführen. Ich möchte weiterhin an linguistischen Veranstaltungen, Tagungen teilnehmen. Hoffentlich wird sich auch in den nächsten Jahren immer etwas Neues, Sinnvolles, Interessantes ergeben, wobei ich Unterricht und Forschung schön verbinden kann. An der Universität Szeged ist die Möglichkeit dafür zum Glück gegeben.

Dazu wünsche ich dir auch in den nächsten vierzig Jahren viel Erfolg, und danke für das Interview!