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Zeitung << 2/2009 << Über Kulturschock, Pornografie und künstlerische Freiheit


Über Kulturschock, Pornografie und künstlerische Freiheit
Ein lehrreiches Opernfestival in Szeged

Autorin: Anna Angyalka Lukács

Vom 3.-17. November 2009 fand in Szeged wieder das internationale Opernfestival mit der Unterstützung des Mezzo TV statt. Es verleiht der Stadt schon eine interessante Atmosphäre, wenn man zwei Wochen lang jeden Abend sieht, wie Damen in langen Röcken und Männer mit Hüten auf dem Széchenyi tér spazieren gehen. Hätte man Szeged nie gesehen, müsste man ihnen nur folgen und würde das Theater mit Sicherheit finden. Man wird irgendwie von einem inneren Gefühl bestätigt, dass es doch noch eine Insel der Kultur gibt. Oder doch nicht?!

Ich hatte das Glück als GeMa-Redakteurin an zwei Vorstellungen des Festivals teilnehmen zu können. Ich habe mich für die zwei Stücke mit Bezug zu Deutschland entschieden. Am ersten Abend Richard Strauss Ariadne in Naxos und am zweiten Abend zwei kürzere Stücke: Ravel L’heure Espagnola und Bohuslav Martinu Alexandre bis, in denen die deutsche Opernsängerin Friederike Meinel spielte.

Strauss mit Pornografie
Schon die erste Vorstellung, Ariadne in Naxos hat mich völlig verblüfft. Das Introvideo am Anfang war noch harmlos. Interessant war, dass der Regisseur erwähnt hat, es sei wichtig, dass die Oper mit dem Film und dem modernen Theater Schritt hält. Na, ja, dachte ich mir, das mag wohl stimmen, etwas Farbe kann ja nicht schaden. Die Oper ist sowieso aus der Mode und bei den Jugendlichen nicht sehr beliebt. Aber was uns schon in der ersten Szene erwartete, war zwar perfekt geeignet fürs „Schritt halten“, es gehörte aber vielmehr in ein Freudenhaus als auf die Bühne eines Theaters. Das Stück war überhäuft mit irrelevanten Szenen. Zerbinetta (der weibliche Gegenpol) kniet in Lackstiefeln auf einem Tisch und wedelt mit einem Gummischniedel rum. Ariadne fasst Bacchus, dem männlichen Helden im Höhepunkt des Stückes inmitten der vollen Extase des Publikums an „seinen Stab, der sie erlösen wird“. Sie erzeugt damit vielmehr ein unterdrücktes Lachen als Katharsis, und da habe ich noch gar nicht erwähnt, was sich unter dem Krankenbett von Ariadne abspielte. Hofmannstahl dreht sich wohl im Grab, wobei Strauss zufrieden sein kann, denn man muss anerkennen, dass die musikalische Darbietung mehr als faszinierend war, das Publikum tobte. Und am Schluss alles wieder vergessen war.
Aber wieso schreibe ich das überhaupt? Dafür gibt es einen sehr einfachen Grund: Ich habe eine Meinung über diese Inszenierung. Im Programmheft des Festivals stand neben der Rollenbesetzung auch eine kleine Beschreibung dieses Stückes. Als „Moral der Geschicht‘“ wurde bei Strauss‘ Oper hervorgehoben, dass wenn das Publikum sich von jeglicher Reflexion zurückzieht, den Künstlern nichts anderes übrig bliebe als ihre Kunst als einfache Unterhaltung anzusehen, auch wenn das vielen nicht gefallen mag. In der Tat eine „Drohung“, die wahr gemacht wurde. Ob sie ihr Ziel erreich hat, bleibt offen.
Ich gebe zu, dass es eine Sache des Geschmacks ist, wie viel Pornografie im Theater, im Film oder jetzt auch in einer klassischen Oper vorkommen darf oder vorkommen soll, und es gibt bestimmt viele Zuschauer, die das in Ordnung finden. Aber warum eigentlich nicht? Weil Pornografie in der Bühnenkunst zur Norm gehört? Hat diese Inszenierung eine Bedeutung auf das Stück bezogen? In diesem Falle wohl kaum. Oder sind wir einfach nur zu faul und zu desinteressiert?

Ravel und Martinu ohne grobe Szenen
Man kann sich vorstellen, mit welchen Erwartungen ich zur zweiten Vorführung, L’heure Espagnola (auf Ungarisch als „Schäferstündchen“ übersetzt) gegangen bin. Man sollte sich zwar ohne Vorurteile in eine Oper setzen, aber Ariadne hatte zu tiefe Spuren hinterlassen. Doch ich wurde „enttäuscht“! Obwohl in beiden Stücken dieses Abends das Thema Ehebruch bearbeitet wurde, gab es keine obszönen Szenen, keine nackten Frauen und keine nackten Männer, und auch keine sexuellen Hilfsmittel. Alles Erotische und zweideutige wurde implizit durch Gesten und Text mit hervorragendem Schauspiel ausgedrückt. Dem Ensemble sah man an, dass die Sänger sich gut verstehen und dass sie hart an ihrem Stück gearbeitet haben. Man wusste immer, worum es ging, ohne dass einem die „nackten Tatsachen“ ins Gesicht geknallt worden wären. Da fragt man sich doch: Wieso grob, wenn es auch so geht?

Die Lehre
Ariadne auf Naxos war jedenfalls sehr lehrreich: Die Künstler arbeiten meistens um dem Publikum zu gefallen. Es ist ja schön und gut, dass ein Teil des Publikums in vollem Maße befriedigt wird - es soll auch so sein, dass jeder das Passende für sich findet –, doch es gibt auch eine Schicht mit anderen Bedürfnissen. Und wenn dieser Teil des Publikums es einfach so hinnimmt von der Modernisierung unterdrückt zu werden und ein Stück, das ihm nicht gefällt, genauso feiert, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn in einigen Jahren diese Richtlinie die ganze Opernwelt erobert.


Gespräch mit Friederike Meinel

Wie gefällt Ihnen Ungarn? Waren Sie schon mal hier?
Ich war schon mehrmals in Budapest. Ich liebe dieses Land und bin sehr gern hier. Ich mag die Menschen, ich liebe das scharfe Essen mit Paprika...und dann der Palatschinken - himmlisch! Außerdem gibt es in Budapest ein wunderbares Geschäft, in dem ich schon viele meiner Konzertkleider gekauft habe. Ich bin also ein richtiger Ungarn-Fan!

Wie war die Zusammenarbeit mit den Kollegen?
Sehr schön! Wir haben uns sehr gut verstanden. In unserer Produktion sangen Sänger aus 12 Nationen. Wir hatten gemeinsam eine schöne und intensive Zeit. Jeder hatte seinen Platz - es gab keine Rivalitäten.

Was für Rollen spielen Sie gerne?
Die Conception ist eine sehr dankbare Rolle. Es ist selten, dass ein Mezzosopran in einer Oper die „Primadonna“ darstellt, meistens ist das nämlich der Sopran. Hier nicht! Ich persönlich mag es sehr, nicht immer nur die „Tragische“ zu singen und zu spielen, sondern alle Facetten des Lebens zu zeigen. Conception ist enttäuscht, wenn etwas nicht klappt, aber sie kann auch über sich selbst lachen und schmiedet zugleich neue Pläne – wie eben eine lebenslustige und verletzliche junge Frau. Ich spiele gern Rollen, in denen es wichtig ist, den Menschen und dessen Charakter zu zeigen – im Sieg und in der Niederlage.

Modern oder klassisch?
Man muss immer sehen, ob eine Inszenierung, ob modern oder klassisch, glaubhaft ist. Für mich ist sie dann glaubhaft, wenn ich die Geschichte des Stückes verstehe. Der Regisseur muss wissen, mit welchen Mitteln er das erreicht und wie dann das Publikum das Ganze wahrnimmt. Es war eine sehr schöne Arbeit mit Bertalan Bagó, die mir viel Spaß gemacht hat. Ich habe von Anfang an verstanden, wie er die Conception sieht. Es ist manchmal so, dass man die Denkweise der Regisseure erst lernen muss - aber hier hatten wir die gleiche Sichtweise bezüglich der Figur. Obwohl sich in seiner Inszenierung auf der Bühne nicht sehr viel verändert, zeigt er sehr verständlich, was zwischen den Protagonisten passiert und das nur aus ihren Reaktionen. Das habe ich sehr gern. Er hat uns Sängern die Freiheit gegeben, selbst herauszufinden, wie man als die jeweilige Bühnenfigur in der einen oder anderen Situation reagieren würde.

Was sind Ihre Ziele und Pläne für die Zukunft?
Große Ziele hat man als Künstler natürlich immer! Das Wichtigste und Schönste ist für mich als Sängerin mit guten Orchestern, guten Dirigenten und guten Sängern zusammenzuarbeiten und wunderschöne und interessante Musik zu machen. Darum habe ich dieses Beruf gewählt! Ich empfinde es als ein großes Geschenk, dass es nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung ist: Man lebt dieses Sängerdasein Tag und Nacht, man identifiziert sich mit seinen Rollen. Aber das ist auch das „Schlimme“ daran. Man muss sein „Herz auf die Hand legen“. Man macht sich verletzlich, indem man sein Innerstes zeigt. Wichtig ist es, mit Enthusiasmus an diesen Beruf heranzugehen. Es macht sehr glücklich, wenn eine Vorstellung gelungen ist und man das Herz des Publikums erreicht hat. Das ist erfüllend und auch immer wieder ein großes Ziel: Einfach mit tollen Kollegen, wunderbaren Orchestern und großartigen Dirigenten schöne Musik für unser Publikum zu machen.
Im kommenden Jahr habe ich große und wundervolle sängerische Aufgaben vor mir - darüber freue ich mich sehr und bin auch sehr dankbar.