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Zeitung << 2/2009 << Ein neues Lexikon von Euphemismen


So gesehen
Ein neues Lexikon von Euphemismen

Autor: Sándor Török

Wörter und Begriffe spielen in unserem Leben zweifelhaft eine sehr wichtige Rolle. Die Forscher diskutieren fortwährend darüber, ob Wörter eine Abbildung des Gegenstandes in unserem Kopf erzeugen oder ob überhaupt Wörter wirklich den besprochenen Sachverhalt abdecken können oder nur Erfindungen sind, die bestimmten Zwecken dienen sollen. In der Sprache der Medien und der Politik werden Zusammensetzungen gewiss mit einem Hintergrundgedanken erfunden, um einen gezielten Effekt zu erreichen, der meist die Verwirrung des Publikums, Verschiebung von Akzenten und das Verschweigen von Informationen mit sich bringt. Doch wie soll demnach die Bedeutungserklärung solcher Ausdrücke zustande kommen, wenn das jeweilige Wort uns an der Nase herumzuführen versucht. Die Antwort auf diese Frage und selbst die Beschreibungsmethode soll anhand des neu erschienenen Lexikons von Konrad Gerescher veranschaulicht werden.
Kömpöc, die Künstler-Tanya (vgl. den Beitrag „Künstlerischer und gastronomischer Genuss“ in diesem Heft) ist der zweite Wohnsitz des Autors, wo er die Arbeit an diesem Band fortgesetzt, und das Werk in seine endgültige Form gebracht hat. Doch das Entstehen führt uns bis ins Jahr 1976 zurück, als Gerescher noch in Deutschland lebte und den Vorgänger des behandelten Bandes mit dem Titel „Lexikon der politischen Missbildung“ herausgegeben hat. Noch im Jahr 2007 gab es eine Art Probedruck vom neuen Band mit diesem politisch, gesellschaftlich verdrehten Inhalt, unter dem Titel „Deutschforum ernst und heiter“. Und aus diesen Vorphasen entstand letztlich das hier behandelte humorvolle Lexikon.
Die rund 650 Schlagwörter bilden in dem Band ein Vokabular des politischen Sprachverdrehens. Gesellschaftliche Schlüsselwörter, Worterfindungen rund um Politik, Wirtschaft und die Existenz von Minderheiten werden aus dem Blickwinkel des Autors, nicht ohne Ironie und Scharfsinn, beleuchtet. Natürlich sind viele Ausdrücke mit der politischen Vergangenheit Europas verbunden, was nur ab einem bestimmten Alter oder nach einem gründlichen Studium der politischen Gegebenheiten seine richtige Wirkung entfalten kann, doch können auch Laien die humorvollen Interpretationen einiger Ausdrücke verstehen und genießen.
Zum Beispiel wird der Begriff Abgeordneter kurz als „Parlamentsmarionette mit Fernsteuerung“ qualifiziert. Wobei die Marionetten eher durch Fäden gesteuert werden, reicht dies nicht aus, die Fernsteuerung verdeutlicht nur den Androidengeist einiger Abgeordneter.
Oder der reine Humor erscheint auch beim Ausdruck Auslieferung, indem es als „Komfortable Rückreise von einem Auslandsaufenthalt auf Staatskosten“ erklärt wird. Aber auch die Europapolitik bekommt ihren satirischen Teil ab, indem die Europäische Union mit einem mentalen Bild als „Fahrtenschwimmverein, bei dem es die Behinderten nicht stören darf, dass sie gegen die Gesunden nie gewinnen können“ erörtert wird.
Die politischen Gewitter der vergangenen Jahrzehnte lassen sich in diesem Band leicht verfolgen, obwohl die jungen Germanisten, denen dieses Buch unter anderen empfohlen wird, die politischen Wenden unseres Jahrhunderts nicht selbst erlebt haben. Doch in dieser satirischen Packung kann man sie durch den subjektiven Blick von Konrad Gerescher besser verstehen, und am wichtigsten ist, und das ist die Innovation, dass ein so ernster Stoff wie zum Beispiel die Politik so heiter entschlüsselt werden kann.