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Zeitung << 2/2009 << Wie die Stadt 2009 den Mauerfall feierte


Wie die Stadt 2009 den Mauerfall feierte
Bericht aus Berlin

Autorin: Krisztina Erdélyi

Als wir am 9. November 2009 – 20 Jahre nach dem Mauerfall – mit den Kommilitoninnen Ilona Kiss und Nóra Hausel auf dem Weg zum „Fest der Freiheit“ waren, fühlten wir uns so wie damals die DDR-Bürger. Wir versuchten von der östlichen Seite durch die Friedrichstraße und Unter den Linden zum Brandenburger Tor zu kommen. Aber es ging nicht. Überall war es von Polizisten gesperrt. Wir sagten sofort zueinander: „Wieso können wir nicht zum Brandenburger Tor?! Deutschland ist doch wiedervereinigt.“ Wir genossen es auch irgendwie, wir konnten uns ein bisschen so fühlen, wie es damals gewesen sein muss.

So versuchten wir durch eine kleinere Straße durchzukommen. Aber auch die war gesperrt. Wir sahen Menschen hinter der Absperrung, die sich zum Fest der 1000 Dominos versammelt hatten. Genau 1000 einzigartig bemalte Dominos wurden nämlich vom Potsdamer Platz via Brandenburger Tor bis zum Reichstag aufgestellt, um sie während des Festes umzuwerfen. So wollten die Berliner den Mauerfall symbolisieren.
Ein Polizist wollte uns nicht hindurchlassen und wir standen ratlos da. Als der Polizist mit anderen Menschen sprach, sind wir, Ilona und ich, über die Sperrung geklettert, wie viele andere auch. Nora schaffte es nicht, wegen der schnellen Reaktion des Polizisten auf unsere Flucht. Was jetzt? Ich sagte ihr, „Komm, da neben dem Gebäude hinter dem Busch durch!“. Gott sei dank konnte der Polizist meinen Tipp nicht verstehen, weil wir Ungarisch sprachen. Und so ging es. „Wir haben es geschafft! Wir sind durch!“, jubelten wir. Und so gingen wir zum Fest, um unsere „Freiheit“ zu feiern.
Das Fest war sehr schön. Es war unglaublich schön zu sehen, wie die Dominosteine umgefallen sind. Die Leute jubelten, schrien, lachten und weinten. Es gab viele Leute auf dem Fest, die vor 20 Jahren den Mauerfall erlebt hatten. Ich wurde sehr mutig und fragte eine Frau danach, wie sie den Mauerbau 1961 erlebt hatte.

Eine Kurzgeschichte aus der Zeit des Mauerbaus
Dorothee Paul strahlte vor Freude und erzählte alles sehr ruhig. Sie war 1961 ein kleines Kind, als sie bei ihrer Tante in Ostdeutschland, nicht weit von Berlin, Urlaub machte. Sie fuhr mit ihrem Vater von Westberlin durch das Brandenburger Tor. In der ersten Nacht, als sie auf der Toilette war, ist das Rohr gebrochen, und so rief die Tante am nächsten Morgen den Handwerker an. Dorothee sah zu, und der Handwerker fragte, wo sie wohnte. Dorothee antwortete: „Ich wohne in Steglitz.“ (Steglitz liegt in West-Berlin.) Darauf sagte er, dass sie nicht zu ihrem Papa zurückgehen kann, und da schlug ihr Herz groß. Die Mauer war nämlich schon zwischen West- und Ostberlin aufgebaut. Frau Paul – obwohl sie noch sehr klein war – erinnert sich noch genau daran, wie schrecklich sie sich fühlte und wie lange sie weinte. Die Tante versuchte sie zu beruhigen und sie machten einen Spaziergang. Als sie nach Hause kamen, bekam sie eine Nachricht von ihrem Vater: Er wartet auf sie bei der Oberbaum-Brücke, einem Grenzübergangspunkt, und die Tante soll versuchen, sie auf die westliche Seite zu schicken. Obwohl die Westberliner durchgehen konnten, war sie zu dieser Zeit sehr aufgeregt. Sie machten sich auf den Weg und baten einen sowjetischen Soldaten, sie auf die andere Seite zu bringen. Er nahm sie auf den Arm und spazierte mit ihr über die leere Sicherheitszone zum Vater, der an der Seite voller Sorge auf sie gewartet hatte. „Wir hatten Glück, dass dieser Soldat es getan hat, sonst hätte ich meinen Vater über 28 Jahre nicht gesehen.“ Frau Paul sah mich ein bisschen traurig an, aber sie erzählte dann weiter, dass sie auch unter den ersten war, die beim Mauerfall 1989 über die ehemalige Grenze gingen.
Ich bedankte mich bei Dorothee Paul und ging zurück zu Ilona und Nóra.

Festreden und Konzert
Wir schauten und hörten zu, was Angela Merkel, Klaus Wowereit (Bürgermeister von Berlin), Horst Köhler (Bundespräsident), Michael Gorbatschow (sowjetischer Ex-Staatschef), Hillary Clinton (Außenministerin der USA) über diese Nacht der Nächte sagten. Barack Obama konnte leider nicht da sein, aber er schickte eine Videonachricht. Daneben traten noch Friedensnobelpreisträger Kofi Annan, Nelson Mandela und Muhammad Yunnus auf. Es gab viele Promis und Künstler, die auch am Bemalen der Dominosteine teilgehabt hatten. Als die Dominosteine fielen, sang John Bon Jovi. Die Berliner waren nicht so zufrieden damit, dass er sang. Sie hätten viel lieber U2 dabei gehabt. U2 hatte am 5. November ein Gedenkkonzert gegeben, was sehr viele Leute zum Brandenburger Tor gerufen hatte.
Das Erlebnis, bei so einem Fest dabei zu sein, ist wunderbar, das Gefühl ist kaum zu beschreiben. Die Deutschen und die ganze Welt warfen ihre Augen während der Feierlichkeiten auf das Brandenburger Tor, das die Einheit von Deutschland und auch von Europa symbolisiert.


Geschichte des Mauerfalls

Am 9. November 1989 fiel die Mauer in Berlin. Die Mauer, die Berlin und ganz Deutschland teilte und viele Menschen unglücklich machte, da sie von ihren Familien getrennt worden waren. Viele mutige Menschen versuchten zu fliehen, kamen dabei jedoch ums Leben. Der Mauerfall bedeutete nicht nur geographische Einheit, sondern auch politische. Wie war jedoch dieser wirklich spannende Tag vor 20 Jahren? So hört man es in der Schule nicht.
Nachdem die Bevölkerung am 6. November 1989 sehr negativ auf den ersten Entwurf eines neuen Reisegesetztes reagierte, rief Wolfgang Herger, der in der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) zuständig war für Sicherheitsfragen, den DDR-Innenminister Friedrich Dickel an, um ihn aufzufordern, bis zur Mittagszeit den Entwurf der neuen Reiseregelung für die Ausreise von DDR-Bürgern erarbeiten zu lassen. Um 11 Uhr laufen unbestätigte Informationen bei Mitarbeitern des West-Berliner Senats ein, die DDR plane eine neue Reiseregelung. Egon Krenz, SED-Generalsekretär, versammelte einige Spitzengenossen um sich und verlas ihnen den Entwurf der neuen Reiseregelung. Gegen 16 Uhr verlas er noch mal den Entwurf und erwähnte auch die Frist für die Veröffentlichung: der 10. November 1989. Danach sprach Günter Schabowski mit Egon Krenz, um Instruktionen für die Pressekonferenz zu erhalten. Was noch wichtig ist zu wissen, ist, dass Schabowski den Großteil der Zentralkomitee-Sitzung wegen Terminen nicht mitbekommen hatte. Er fragte bei Krenz nach, ob er auf der Pressekonferenz noch etwas mitteilen sollte. Der Generalsekretär schob seinem Medienbeauftragten schnell einen Zettel zu und sagte: „Ja, unbedingt, nimm den Beschluss der Regierung über die neue Reiseregelung mit.“
Um 17:55 begann die Pressekonferenz. Schabowski war überrascht, dass der Raum so voll war. Als er mit seiner Rede fertig geworden war, fragte ein Journalist nach dem Entwurf des Reisegesetzes vom 6. November. Da fiel Schabowski ein, dass er zum Thema Reiseregelung noch einen Zettel dabei hatte. Er fing an zu lesen: „Es ist eine Empfehlung des Politbüros aufgegriffen worden, dass man aus dem Reisegesetz den Passus herausnimmt und in Kraft treten lässt, der also die so genannte ständige Ausreise regelt, also das Verlassen der Republik. […] Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ Die Journalisten wurden unruhig und stellten weitere Fragen. Schabowski reagierte mit den Worten: „Mir ist das hier also mitgeteilt worden, dass eine solche Mitteilung heute schon verbreitet worden ist. Sie müsste eigentlich in Ihrem Besitz sein. […] Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“ Das passierte, weil Schabowski die Rückseite nicht vorlas. So ein Glück nach vielen Unglücken im Leben der Deutschen.
Nach der Pressekonferenz wurde die Fernsehsendung sofort ausgestrahlt. Um 20:30 begann der Ansturm auf den Grenzübergang in der Bornholmer Straße. Und so konnten die DDR-Bürger um Mitternacht schon mit ihren Trabis an allen Grenzübergängen unkontrolliert nach West-Berlin fahren.