|
Zeitung << 2/2009 << Erziehung zum Menschen
Erziehung zum Menschen
Zusammenleben mit besonderen Kindern
Autorin: Zsuzsanna Majoros
Nach dem ersten Jahr an der Uni brachte mich das Leben für ein Jahr anderswohin. Eine neue Welt öffnete sich für mich. 2008/2009 verbrachte ich in Deutschland am Bodensee in der Nähe von Überlingen. Ich leistete da Freiwilligendienst. Das Programm bestand aus einem anthroposophischen heilpädagogischen Kurs und aus einem Praktikum. Meinen Alltag lebte ich in einer Camphill Einrichtung mitten im Wald in Brachenreuthe.
Brachenreuthe ist eine Dorfgemeinschaft, die aus zehn Hausgemeinschaften, aus dem Hof und aus der Schule und dem Kindergarten besteht. Derzeit leben 80 seelenpflegebedürftigte Kinder und Jugendliche in dieser Schul- und Lebensgemeinschaft.
In meinem Haus wohnten zehn Kinder, von denen fünf autistische Verhaltensweisen hatten. Das Haus Ahorn engagierte sich besonders für Pflege- und Anfallskinder. Jeder Betreuer war für eine Kleingruppe von zwei-drei Kindern zuständig. Unter Betreuung wurde Begleitung durch den Tag, Unterstützung und Förderung des Kindes und, wo es nötig war, Pflege verstanden. Statt ständiger Hilfe wurde immer die Förderung der Selbständigkeit des Kindes bevorzugt.
Unser Miteinander und Füreinander, die gemeinsamen Alltage, in denen jeder als Lernender etwas von dem anderen erlebt, gestalten zusammen die soziale Therapie. Das wichtigste Feld für die Entfaltung der Betreuten sind neben den Therapien und Schule die Hausgemeinschaften. Zu den Therapien gehören Heil-Eurythmie, Logopädie, Krankengymnastik, rhythmische Massage, heilpädagogisches Reiten und künstlerische Therapien wie die farbige Schattentherapie. In den Hausgemeinschaften kann sich das Kind von einem Umkreis von Menschen, die ihm mit Verständnis und Kompetenz begegnen, getragen fühlen. Zur Sozialtherapie gehören die Mahlzeiten, das Anziehen, das gemeinsame Kochen, das gemeinsame Putzen, Tischdecken, Spaziergänge. Wir haben alles zusammen gemacht.
Durch die Jahresfeste lernte ich die deutsche Kultur näher kennen, erlebte ich viel Neues, begegnete ich vielen mir bis jetzt unbekannten Bräuchen. Die künstlerischen Tätigkeiten, wie Malen mit Wasserfarben, Basteln, Singen oder Tanzen mit den Kindern zusammen, bewegten sogar mich und erweckten mein Interesse, obwohl ich künstlerisch unbegabt bin. Durch das Zusammenleben und die gemeinsamen Tätigkeiten erlebte ich mich, als Teil einer solchen Gemeinschaft, anders. Wir behandelten die Kinder nicht mit Mitleid, sondern als Partner, als Mitmenschen oder sogar als Freunde. Camphill ist nämlich kein Heim für Behinderte, sondern ein Zuhause für besondere Leute.
Bevor ich so nah mit solchen Kindern zusammengelebt hatte, dachte ich, dass man bestimmt viel Geduld und Empathie in diesem Arbeitsfeld braucht. Ich erfuhr aber persönlich, dass diese Fähigkeiten nötig, aber nicht die allerwichtigsten sind. Man muss erlernen ganz bei sich sein, sich konzentrieren, ruhig denken, auch in den schwierigsten Situationen, Halt haben und Halt geben den Betreuten, sich schnell entscheiden können, entschieden auftreten und trotz Angst tun. Es ist eine große Herausforderung, deren Bewältigung die Persönlichkeit stärkt. So verwandelt sich die Erziehung von Kindern auch in Selbsterziehung.
Freiwilligendienst in Deutschland
Was ist ein Freiwilligendienst?
„Ein Freiwilligendienst bietet interessierten Menschen die Möglichkeit, sich ein Jahr in Deutschland sozial zu engagieren und dabei ein neues Land, eine neue Kultur und einen neuen Arbeitsbereich kennen zu lernen. Die Freiwilligen arbeiten und leben in einer sozialen Einrichtung. Der Freiwilligendienst ist eine Verbindung von Lernen und Helfen. Die praktische Arbeit und die neue Kultur bieten den Freiwilligen ein großes und vielfältiges Lernfeld. Der Freiwilligendienst stellt somit eine Form des interkulturelles Austausch und der Begegnung dar.“ So lautet ein Zitat aus dem Prospekt der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners. Die möglichen Arbeitsbereiche sind Sozialtherapie oder Heilpädagogik (Zusammenleben mit behinderten Erwachsenen oder Kindern), Altenhilfe, Biologisch-dynamische Landwirtschaft oder Mithilfe in einer Waldorf-Schule oder einem Kindergarten.
Von wem wird Freiwilligendienst organisiert?
Alle organisatorischen Sachen, angefangen mit den Versicherungen bis hin zur pädagogischen Begleitung, werden von der Träger-Organisation, den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners erledigt. Die internationalen Freiwilligendienste werden im Büro in Karlsruhe organisiert. Hier werden nach den ausgewerteten Bewerbungsunterlagen jedes Jahr 75 Freiwillige aus aller Welt in das Programm aufgenommen.
Wer kann teilnehmen?
Bewerben können sich alle, die keinen Wohnsitz in Deutschland haben und persönlich sozial engagiert sind. Jeder muss das 18. Lebensjahr vollendet haben, bis zum Dienstbeginn (August/September), Grundkenntnisse der deutschen Sprache beherrschen, ein Vorpraktikum im Heimatland absolvieren und vor allem Offenheit und Interesse zeigen.
Wer trägt die Kosten?
Sowohl die Begleitseminare und Fahrkosten zu den Seminaren als auch die Unterstützung und Begleitung durch die Freunde der Erzeinungskunst sind umsonst. Jeder Freiwillige ist kranken-unfall- und haftpflichtversichert, kriegt kostenlos Unterkunft und Verpflegung in der Einsatzstelle. Freiwillige kriegen kein Gehalt, sondern ein monatliches Taschengeld. Die Reisekosten nach Deutschland und zurück tragen die Freiwilligen selbst. Ein Zuschuss kann beantragt werden.
|
|
|