Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2009 << Interview mit Professor Cathrine Fabricius-Hansen


„Meine Dissertation war ein Zufall“
Interview mit Professor Cathrine Fabricius-Hansen

Autor: Róbert Lessmeister

Eine interessante Laufbahn. Als gebürtige Dänin wohnt sie in Norwegen, wo sie an der Universität Oslo seit 1986 Professorin für deutsche Sprache ist. Ihre bahnbrechenden kontrastiven Forschungen wurden 2004 mit dem Duden-Preis anerkannt. Sie ist auch Trägerin des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Preises des DAAD und besitzt die Ehrendoktorwürde der Universität München. Frau Professor Fabricius-Hansen kam im Oktober 2009 zu einem fünftägigen Besuch nach Szeged, um zwei interessante Vorträge zu halten und Gespräche mit den Dozenten des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik zu führen. Die Zeit war knapp, doch sie schenkte mir gerne Zeit, meine Fragen fürs GeMa zu beantworten.

Frau Fabricius-Hansen, woher kommt eigentlich Ihre Vorliebe für das Deutsche?
Ich war immer an Sprachen und daher auch an Grammatik interessiert. Ich habe schon in der Schule Deutsch gemocht, weil es, ähnlich wie Latein, eine handfeste Grammatik hat, aber im Unterschied zum letzteren eine lebendige Sprache ist. Ich zog das Deutsche dem Englischen vor, das mir nicht besonders lag.

Sie widmen Ihr ganzes Leben sozusagen der deutschen Sprache. Man hätte vielleicht erwartet, Sie würden sich in Deutschland niederlassen, dabei übersiedelten Sie 1975 nach Oslo, wo Sie unter anderem Professorin für deutsche Sprache geworden sind. War der Anlass von beruflicher oder eher privater Natur?
Das war ein privater Anlass. Mein Mann, der auch Däne ist, musste aus beruflichen Gründen nach Oslo. Anstatt nach Deutschland zu gehen, was ich tatsächlich unbedingt hätte tun sollen, bin ich mit nach Norwegen gegangen. Es hat uns dort beiden sehr gut gefallen, schon wegen den Freizeitmöglichkeiten, die sich boten. So haben wir uns in Oslo einfach um Stellen beworben, und wir hatten großes Glück, denn es war fast wie ein Wunder, dass ich an der dortigen Uni praktisch als Universitätslektorin weiterarbeiten konnte.

Eine wirklich glückliche Wahl. Sie wurden aber nach Ihrem Umzug auf einmal mit Norwegisch konfrontiert. Wie ist Ihnen denn der Sprachwechsel gelungen?
Ich habe überhaupt keinen Sprachwechsel vollzogen. Ich sprach weiterhin Dänisch, in meiner Muttersprache. Die gegenseitige Verständlichkeit zwischen Skandinaviern ist so groß, dass man ohne Weiteres seine Muttersprache benutzen kann. Dazu gehört auch, dass Dänen relativ beliebt sind in Norwegen, was auch gegenseitig ist. In vielen Fällen, wenn z.B. Dänen und Norweger zusammenkommen, entsteht eine Mischsprache, was ich fürchterlich finde. Der einfachere Weg war für mich, weiterhin Dänisch zu sprechen. Es wird völlig akzeptiert.

Sie haben ein vielseitiges Tätigkeitsfeld. Welcher ist Ihr Lieblingsbereich innerhalb der Linguistik?
Grundsätzlich war ich immer an Semantik interessiert, letzten Endes ist das auch der Sinn der Sache. Also an den Zusammenhängen zwischen Bedeutung und Ausdruck, was eigentlich eine Schnittstelle von Syntax, Semantik und auch Pragmatik ist. In den letzten Jahren sind meine Forschungen eher textbezogen, so habe ich mich einigermaßen von dieser traditionellen, satzorientierten Linguistik entfernt. Was ich also spannend finde, ist, zu sehen, wie Sprache tatsächlich funktioniert. Das ist ein Bereich, der auch Studierende interessieren kann, wirklich auf die Praxis bezogen, ohne dabei abstrakte Systeme verwenden zu müssen.

Sie sind im internationalen Forschungsprojekt EuroGr@mm Leiterin der norwegischen Arbeitsgruppe. Die erste Etappe ist nun abgeschlossen. Welche Bilanz würden Sie da ziehen?
Es war eine spannende Konfrontation mit recht verschiedenen Sprachen und unterschiedlichen Fachtraditionen, die sich sehr positiv entwickelt hat: Wir haben eine äußerst nützliche kontrastive Online-Grammatik erstellt, und mit der gemeinsamen Publikation zur Flexionsmorphologie des Deutschen aus kontrastiver Sicht, die bald in den Druck geht, werden wir auch neue, interessante Forschungsergebnisse vorlegen. Ich verspreche mir viel von der zweiten Phase des Projekts, in der neue Forschungsschwerpunkte gesetzt werden. Zu alledem kommt auch noch der persönliche fachlich-soziale Gewinn: Ohne EuroGr@mm würde ich wohl nicht hier sitzen!

Wie ist Ihre jetzige Tätigkeit, im Hinblick auf Unterricht und Forschung?
Ich bin zur Zeit sehr stark von einer Buchpublikation im Anschluss an das vor einem Jahr beendete Forschungsprojekt SPRIK (Sprachen im Kontrast) in Anspruch genommen und habe nicht besonders viel Unterricht. Ab August nächsten Jahres wird es noch weniger sein, da bin ich nämlich mit der Leitung einer Forschungsgruppe zum Thema „Meaning and Understanding across Languages” im Center for Advanced Study in Oslo ein Jahr lang voll beschäftigt. Während dieser Zeit bin ich ganz von der Uni abgekoppelt, und nach dessen Abschluss habe ich nur noch drei Semester vor mir, bevor ich emeritiert werde.

In Ihrem gestrigen Vortrag war von den syntaktischen Unterschieden zwischen dem Norwegischen und dem Deutschen die Rede, ich denke trotzdem, dass es Skandinaviern nicht besonders schwer fallen dürfte, das Deutsche binnen kurzer Zeit gut zu beherrschen.
Es sollte ihnen nicht schwer fallen, aber irgendwie hat das Deutsche einen schlechten Ruf, es gilt als schwere Sprache. Der ganze Wortschatz sollte im Prinzip kein so großes Problem sein, doch oft wirken die längeren Wörter unüberschaubar für Norweger, so dass sie zu schnell aufgeben. Die Grammatik ist ein genuines Problem.

Wir erleben heute, dass die europäischen Sprachen – darunter auch das Deutsche – von Tag zu Tag mit immer mehr englischer Lexik überflutet werden. Was halten Sie von dieser Tendenz?
Es ist eine Geschmackssache, ich persönlich mag das nicht besonders, denke aber, das Deutsche wird nicht untergehen, wie auch das Dänische damals nicht unterging, zur Zeit des gewaltigen niederdeutschen Einflusses. Prestigesprachen hat es immer gegeben, früher war es das Französische.

Wie sieht es im Norwegischen aus?
Auch schlimm. Die skandinavischen Sprachen sind vielleicht noch mehr gefährdet. Ich habe den Eindruck, dass in diesen Ländern die Muttersprache oft zurückgedrängt wird, weil heute alles immer mehr auf Englisch abläuft, wie z.B. in den Betrieben. Die Anzahl der Kurse an den Universitäten, die auf Englisch angeboten werden, ist rasant gestiegen. Es gibt eine Tendenz der Internationalisierung, und es ist langsam zu befürchten, dass die Muttersprache auf den Privatbereich zurückgedrängt wird. Es ist traurig, dass selbst unter Skandinaviern (z.B.: Schweden und Norwegern) immer öfter Englisch gesprochen wird, obwohl das, wie schon früher erwähnt, überhaupt nicht nötig wäre.

Meines Wissens herrscht in Norwegen eine eigenartige Sprachsituation, die es wohl kaum woanders gibt: Es gibt zwei, schriftlich genormte Standardvarianten der Hochsprache.
Allerdings. Dies hat historische Gründe, es gibt aber zahlreiche Übergangsmundarten zwischen diesen Varianten, denn die dialektale Gegliedertheit ist, ähnlich wie in Deutschland, groß. Man lernt es aber, sich schnell anzupassen, und es gibt generell keine Verständnisschwierigkeiten. Laut Untersuchungen sind Norweger die besten „Versteher” unter den Skandinaviern.

Wir haben in Ihren Vorträgen von den sprachlichen Unterschieden gehört. Welche sind, Ihren Erfahrungen nach, die kulturellen Unterschiede?
Im täglichen Umgang ist man im deutschen Sprachraum höflicher, die Anredeformen sind auch anders. Norweger sind übrigens nicht so stark europäisch ausgerichtet, sondern viel mehr dem anglo-amerikanischen Einfluss ausgesetzt. Früher war das ganz anders. Ich habe den Eindruck, dass das Deutsche keine große Rolle im Bewusstsein der Norweger spielt. Nur ganz wenige lernen Deutsch, weil man nicht einsieht, dass das einen Sinn haben könnte.

Sie sind gute Kennerin beider Kulturen. Was aber haben Sie von Ungarn gesehen?
Ich war vor 26 Jahren auf der Internationalen Deutschlehrertagung in Budapest, machte dabei auch eine Donaufahrt bis Szentendre. Vor zwei Jahren habe ich hier in Szeged ein bisschen von der Umgebung gesehen, und das war eigentlich alles.

Dazu braucht man ja einen etwas längeren Aufenthalt. Könnten Sie sich zum Beispiel vorstellen, irgendwann mal als Gastprofessorin bei uns ein Blockseminar zu halten?
Zur Zeit, wie gesagt, bin ich sehr beschäftigt, aber vielleicht am Ende meiner Karriere, oder wenn ich emeritiert bin, könnte ich es mir durchaus vorstellen. Ich bin sehr beeindruckt von allem, was hier läuft, komme deshalb gerne hierher.

Was gehört alles dazu, wenn man so eine schöne linguistische Karriere macht?
Ich habe mich schon als Kind für Grammatik, später auch für Sprachwissenschaft interessiert und bin auch etwas stur, denn wenn ich etwas angefangen habe, dann muss ich es auch durchführen. Dann gehört auch dazu, dass man einfach Glück hat mit Lehrern, die sich um einen kümmern und ständig Mut geben. Für meinen fachlichen Beruf war es bestimmend, dass ich in Koppenhagen bei Professor Gunnar Bech lernen konnte, der mich praktisch an die wissenschaftliche Arbeit angeschlossen hat, was für mich so eine Art Einstieg war. Ich hätte mich wahrscheinlich nicht getraut, wenn er mich nicht dazu aufgefordert hätte. Ich ging also gar nicht so zielstrebig vor, sogar meine Dissertation kam eher zufällig zustande. Das Wichtigste ist: Man muss einfach interessiert sein.

Zum Schluss möchte ich Sie noch fragen, welche Pläne Sie für die Zukunft haben.
Ich habe noch verschiedene Projekte, die bestimmt nicht zu Ende sein werden bevor ich selbst emeritiert werde. Vorläufig habe ich vor, weiterzumachen, in der Hoffnung, dass weiterhin Kontakt zur Fachwelt besteht. Ich bin sehr gespannt auf die Fortführung des EuroGr@mm-Projekts, dessen nächste dreijährige Etappe ab 2010 be­ginnt, wobei die Textebene im Mittelpunkt der kontrastiven Forschungen steht. Auf jeden Fall würde ich mir aber etwas mehr Freizeit nehmen.

Frau Fabricius-Hansen, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, und verabschiede mich von Ihnen in der Hoffnung, Sie bald in Szeged wiederzusehen!
Danke auch, gern geschehen.