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Zeitung << 1/2009 << Stipendium mit Erasmus


Stipendium mit Erasmus
Warum muss man Erasmus machen?

Autor: Albert Knecht

Folgender Artikel soll ein klares Bild darüber geben, was ein Erasmus-Stipendium in sich birgt: Die Studierenden, die Angst davor haben, ins Ausland zu gehen und dort mindestens ein halbes Jahr zu leben, sollen dadurch Mut bekommen. Der Text dient auch als „Anweisung“ für diejenigen, die sich schon sicher sind, dass sie ins Ausland fahren werden. Es dreht sich alles um die Frage: Warum muss man ein Erasmus-Semester machen?

Ich habe das fünfte Semester meiner Germanistikstudien mit Erasmus in Kassel verbracht und es war einfach toll. Nicht nur wegen Kassel, sondern auch wegen des Erasmus-Gefühls. Alles begann im Februar 2008. Ich habe mit meinen Kommilitonen an der Philosophischen Fakultät der Uni Szeged gefaulenzt, als ich auf einen Aushang am Institut für Germanistik aufmerksam wurde: „Erasmus-Stipendien für das akademische Jahr 2008/2009“. Ich habe zwei Tage ständig darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, in Deutschland zu studieren, mit „echten“ Deutschen zu diskutieren, über die deutsche Kultur nicht nur zu lernen, sondern diese auch zu erleben, also, zusammengefasst: Wie das Leben in Deutschland so allgemein sein kann. Für mein Studium ist es empfehlenswert eine solche Möglichkeit zu nutzen. Warum? Mein Sprachniveau wird sich natürlich verbessern. Dann habe ich mich um dieses Stipendium beworben und es auch erhalten. Es war eher spontan, warum ich mich eigentlich für Kassel entschieden habe. Kassel ist eher eine Industriestadt. Es gibt dort nicht so viele grüne Flächen, und die Leute in Kassel sind meines Erachtens ein bisschen negativ eingestellt. Es gab keinen Menschen, der gesagt hätte, dass Kassel schön wäre. „Na ja, Kassel ist nicht die schönste deutsche Stadt“. Mag sein, aber das sind nur „Äußerlichkeiten“. Kassel birgt viele Vorteile in sich. Ich muss sagen, dass mir Kassel gefallen hat. Die Region Hessen ist sehr international. Dazu kommt noch, dass an der Uni Kassel sehr gute und einzigartige Fächer angeboten werden. Das bestätigten auch meine Freunde, die in Kassel Architektur- und Naturwissenschaft studieren. Das Verkehrsnetz ist in Kassel – und höchstwahrscheinlich in ganz Deutschland – viel besser ausgebaut als in Ungarn. Mit der Straßenbahn kann man beispielsweise 50-60 km fahren. Und noch ein Argument für Kassel: Europas größter Bergpark befindet sich in Kassel.

Neue Kontakte und Sichtweisen
Für mich aber war die wichtigste Sache, dass ich ein halbes Semester im Ausland verbracht habe und viele Leute und Sichtweisen erlebt habe, wodurch sich meine persönliche Perspektive signifikant erweitert hat. Die internationale Umgebung war das größte Erlebnis. Ich habe mit ca. 90 Erasmus Bekanntschaft gemacht und mit einigen von ihnen bin ich in regelmäßigem Kontakt. Wir kamen aus verschiedenen Ländern nach Deutschland, aber eins war gemeinsam: wir waren fremd dort und die Kultur war für uns neu. Deshalb haben wir zusammengehalten, und es war einfach super. Wir haben viele Partys und Exkursionen gemacht, wodurch wir uns besser kennen lernten. Multikulturalität war 100 % anwesend, und ich konnte mit sehr vielen Repräsentanten verschiedener Kulturen Gespräche führen.
Einen gewaltigen Nachteil kann Erasmus haben, genau aus diesem Grund: die meisten Leute begnügen sich mit den internationalen Studenten, denn es geht um die erste wahre Gemeinschaft im Ausland. Dadurch kann man sein Deutsch weniger verbessern, oder es kann auch der Fall vorliegen, dass sich die Sprachkenntnisse verschlechtern, wenn man nicht mit Deutschen im Kontakt ist. Ich persönlich habe mehr Englisch mit meinen Erasmus-Kumpeln geredet, als Deutsch. Ich habe aber während der Lehrveranstaltungen natürlich Deutsch geredet. Ich habe in Kassel auch Sport getrieben, Bodybuilding gemacht, wobei ich auch mit Deutschen ins Gespräch gekommen bin. In der Mensa habe ich gearbeitet, wo man wiederum die deutsche Sprache üben kann.
An der Uni war alles viel lockerer. Die Beziehung zwischen den Studenten und Dozenten war in den meisten Fällen kollegial. Studenten mit Babys, Hunden sowie Punks, Homosexuelle wurden viel besser akzeptiert, was für mich sehr überraschend war. In Ungarn ist die Toleranz viel niedriger.

Jobben neben Studium
Neben der Uni, in meiner Freizeit, habe ich gejobbt. Die Studentenjobs sind wesentlich besser als in Ungarn bezahlt. In der Mensa habe ich mit einem Stundenlohn von 7,80 Euro (ca. 2300 Forint) gearbeitet. Wer glaubt, dass ein Erasmus-Stipendium (5 Mal 350 Euro = 1750 Euro) für ein halbes Semester ausreicht, irrt sich gewaltig. Nur für die Unterkunft muss man ca. 1200 Euro im Semester bezahlen, und danach kommen die Exkursionen und die Nahrungsmittel. Aus diesem Grund musste ich noch zusätzliches Geld mitnehmen und von Ende Oktober an regelmäßig jobben.
An meiner Arbeitsstelle waren die Leute nett, und ich habe auch mit mehreren Altersgruppen geredet. Es gab viele Deutsche (meistens Rentner) im K10, im Bistro, in dem ich arbeitete, die zugaben, dass Geld zwar nie schadet, aber für sie war es viel wichtiger, dass sie sich „tätig“ fühlen. Sie wollen dieses „Arbeitsgefühl“ haben, bei dem sie sich nützlich fühlen. Das war auch etwas Neues für mich.

Ein Bild über die Deutschen
Ich hatte sehr viele Erlebnisse, wodurch jetzt ein klares Bild vor mir steht, was ich von Deutschland so allgemein sagen kann, also was die Deutschen charakterisiert. Die Deutschen sind etwas verschlossener: du musst den ersten Schritt machen. Pünktlichkeit wird erwartet, aber in einigen Fällen ist es nicht charakteristisch; als ich am 6. Oktober nach Deutschland fuhr, hatte mein Zug 22 Minuten Verspätung, weshalb die Züge aufeinander warten sollten. Die Verspätung mit dem Zug war immer nervig, denn ich bin davon ausgegangen, dass Pünktlichkeit mit Deutschland gleichzusetzen ist.
Die Planung im Voraus und die Ordnung sind wirklich typisch deutsch. Deshalb habe ich es auch verstanden, warum das deutsche Wirtschaftsleben so gut ist. Alles Mögliche wird im Voraus geplant, weshalb man vom „Punkt A bis Z“ sprechen kann. Die Deutschen möchten nicht überrascht werden und auf jemand anderen angewiesen sein, sie sind exakt und wollen alles planen. Aber das Leben bringt auch solche Situationen mit sich, mit denen man gar nicht rechnen kann. Kommt eine solche vor, dann geraten die Deutschen eher in Panik, da das Improvisationsvermögen, die Spontaneität fehlen, im Gegensatz der Bewohner der südlichen Länder. Als ein Dozent in einem Seminar einmal sagte, dass wir sehr müde und blass aussehen und deshalb eine Klausur schreiben müssen, bekamen die deutschen Studenten eine solche Angst, wie ich es bisher noch nie erlebt hatte. Ein weiteres Charakteristikum ist es in Deutschland, dass die meisten Deutschen ihre Geschichte wie ein Tabu behandeln und nicht gerne darüber sprechen. Ich könnte noch die Reihe noch fortsetzen. Diese Erlebnisse und Meinungen sind allerdings an meine Person gebunden, weshalb sie nicht verallgemeinert werden können. In Deutschland kann man das Gleiche erleben oder etwas anderes erfahren. Man kann dort auf jeden Fall viele Erlebnisse sammeln.

Erfahrung durch Erasmus
Durch meinen Deutschlandaufenthalt konnte ich meine Vorurteile abbauen. Ein Erasmus-Stipendium kann uns helfen ein erfahrener Mensch zu werden. Man bekommt etwas von der Welt mit und später wird es viel einfacher sein, internationale Kontakte zu knüpfen. Wir leben in einer globalisierten Welt, wo jeder mit jedem verbunden ist. Wozu dient eigentlich unser Leben, wenn nicht für solche Momente? Man soll alles und so viel wie möglich erleben und erfahren, um seinem Leben einen Sinn zu geben. Zögere nicht ein Erasmus-Semester zu machen. Die Welt öffnet ihr Tor für dich, wobei sich zahlreiche Möglichkeiten bieten. Erasmus ist der erste Schritt dazu, Europa und die Welt und das Leben besser kennen zu lernen. Carpe diem!