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Zeitung << 1/2009 << Hoch über dem Meeresspiegel


Hoch über dem Meeresspiegel
Gedanken über den Zauberberg von Thomas Mann

Autor: Tamás Geisz

Kann man eine Rezension über ein Buch schreiben, das schon 85 Jahre alt ist? Wenn es neue Gefühle weckt, denke ich, dass es ohne Weiteres möglich ist. Ich möchte von einer neuen Welt berichten, die schon seit 1924 existiert. Alle Menschen können in dieser Welt leben, während sie dieses Buch lesen.
Der Zauberberg ist eine Traumwelt, die Thomas Mann geschaffen hat. Der Ort des Geschehnisses ist ein Mikrokosmos, der trotz der Traumwelt aus der realen Welt stammt. Sozusagen von der Welt außerhalb des Buches. Wenn man dieses Buch liest, gibt es einen fantastischen Blick auf das Leben der Jugendlichen, die vor dem Ersten Weltkrieg gelebt haben. Wir folgen der seelischen Entwicklung eines jungen Mannes. Hans Castorp, der Protagonist, ist aber nicht nur einer unter vielen, er ist das Symbol dieser Generation. Der Ort ist das Bergsanatorium Berghof, wo Hans Castorp lebt. Aus allen gesellschaftlichen Klassen und fast allen Ländern Europas kommen Männer und Frauen hierher, um ihre Lungenprobleme auszukurieren. Es gibt eine breite Palette: von Hausfrauen über Schüler bis zu Professoren sind alle unter den Kranken auf dem Berg. Dies ist eine wirklich originelle Welt, hoch über der Welt der Gesunden.
Hans Castorps Begleiter ist sein Vetter, Joachim Ziemßen. Die zwei Vettern sind auf den ersten Blick ganz verschieden. Trotzdem zeigen die beiden später einige Ähnlichkeiten. Zum Beispiel schweigen sie sehr viel. Die Handlung ist „langsam“, aber man kann es trotzdem nicht leicht lesen. Wenn man den Rhythmus richtig fühlt, ist es sehr faszinierend und gar nicht langweilig. Wir erfahren eine Menge philosophischer Thesen durch die Gedanken des Protagonisten, der zwischen den Mahlzeiten keine richtige Arbeit hat. Seine Pflicht ist es, auf einem Balkon zu liegen um gesund zu werden. Er hat natürlich viel Zeit, um über die Sachen richtig nachzudenken. Er bekommt für sein großes Ziel aber auch Hilfe von außen: den Sinn seines Lebens und den Sinn des Lebens allgemein zu erkunden. Die Strömungen der verschiedenen Weltanschauungen werden durch die zwei pädagogischen Persönlichkeiten, Herrn Naphta und Herrn Settembrini verkörpert, die Castorp in dem Sanatorium kennen lernt. Naphta ist ein Jesuit mit terroristischen Methoden, der für das Land Gottes auf Erden kämpft. Settembrini ist natürlich der Gegensatz zu Naphta, ein italienischer Humanist, der an die technischen und sinnlichen Entwicklungen glaubt. Sie kämpfen gegeneinander für die Seele Hans Castorps, der während der Zeit, die er im Berghof-Sanatorium verbringt, auch seine eigenen, neuen Erfahrungen macht, aber auch sehr viel von seinen „Lehrern“ lernt. Wir finden alle wichtigen Themen des Lebens: Liebe, Krieg, Tod, Gesundheit, Krankheit, Freundschaft, Familie, Politik, Utopien. Das sind Themen, die die heutigen Jugendlichen auch interessieren. Wie im heutigen Leben, spielt Liebe auch hier natürlich eine sehr große Rolle. Castorp findet seine ideale Frau im Berghof. Schade, dass diese Madame nicht seine Frau ist.
Diese präzise aufgebaute Geschichte beginnen wir mit einem Besuch des „Zauberbergs”, und am Ende sehen wir unsere Hauptfigur auf einem Schlachtfeld des ersten Weltkrieges. Damit können wir gut die Sinnlosigkeit des Krieges erfahren. Die ganze Entwicklung der Hauptfigur ist in Gefahr, und auch sein Leben. Dieser Pazifismus strahlt aus dem Buch, und deswegen empfehle ich es Pazifisten und Nationalisten ebenso. Alle, die dieses Buch gelesen haben, werden über diese Themen sicherlich nachdenken.
Für mich war es ein tolles Erlebnis, dieses Buch zu lesen. An einigen Stellen verstehe ich nicht genau, was Thomas Mann gemeint hat, aber ich fühle seine Weisheit hinter allen Diskussionen. Ich glaube nicht, dass man alles verstehen muss. Es ist kein Wettbewerb: wer mehr versteht, gewinnt. Er spricht mit uns vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, und er sagt klare Wahrheiten, die besonders in den jetzigen unmoralischen Zeiten nützlich sind. Er zeigt allerdings nur mögliche Varianten. Unseren Weg müssen wir selbst wählen. Vielleicht werden wir nach dem Lesen des Buches klüger.