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Zeitung << 1/2009 << „Ja, ich will!” – „Igen, akarom!”


„Ja, ich will!” – „Igen, akarom!”
Eine deutsch-ungarische Familiengeschichte

Autorin: Anna Angyalka Lukács

An einem schönen, sonnigen und äußerst warmen Tag schaut der Schlafwagenschaffner des ungarischen Bahnunternehmens „Utasellátó” unter seinen Tisch und bemerkt: sein Bier ist alle… es stehen nur noch leere Flaschen in den Kisten. Dabei ist die Berlin-Budapest-Strecke lang, und die Gäste wird selbst das Schaukeln des Zuges nicht vom Biertrinken abhalten. Die Ärzte sagen ja nicht umsonst, bei Hitze muss viel getrunken werden! Also was tun? Mal den deutschen Kollegen von nebenan fragen. „Hmmm… mein Wagon steht in der Mitte… nach rechts oder nach links losgehen?” – fragt er sich. Nach rechts vielleicht. Schon überraschend, dass schon eine so unbedeutende Entscheidung sein Leben völlig verändern wird. Unerwartet steht im nächsten Wagen nämlich kein lachender Mann mit Bart und Bierbauch, sondern eine lächelnde blonde Frau, die unserem kommunikativen Schaffner, der um zu imponieren sein bestes Deutsch hervorgräbt, das Bier natürlich nicht verweigert. Das flüssige Brot kommt in den ungarischen Wagon, und da es gerade nichts zu tun gibt, kehrt unser Schaffner wieder zu seiner neuen Bekannten und ihrer Freundin zurück. „Wenn ihr das nächste Mal nach Budapest kommt, sagt mir, ich zeige euch die Stadt dann. Und danke fürs Bier!” Hier beginnt unsere Geschichte.
Die Beziehung wird enger geknüpft, romantische Treffen auf klappernden Rädern, lange Spaziergänge in den beiden Hauptstädten, ein-, zweimal sogar traurige ungarische Wagons, die einsam nach Berlin rollen, da ihr Schaffner in Dresden ausgestiegen ist um seine Herzensdame zu treffen.
Doch das Hin- und Herfahren wird immer lästiger, da sie bei jedem Besuch nach Ungarn ein Visum beantragen muss, und so kommt 1989 die Idee der Heirat (natürlich war es ihre Idee), denn so würde alles viel leichter werden. Das junge Paar konnte ja noch nicht ahnen, dass die DDR und die Mauer bald zur Geschichte gehören würden.
Aber gerade einen Ausländer zu heiraten, war nicht leicht. Zuallererst brauchte man eine Heiratserlaubnis, sie von der deutschen Botschaft in Budapest, er eine von der ungarischen Botschaft in Berlin. Das dauerte erst mal ein halbes Jahr, und dann hätten die beiden vier Wochen Zeit, denn danach würde die Erlaubnis verfallen und man müsste wieder von Neuem beginnen. Mit ihrem Ausreiseantrag gab es auch Probleme, da kurz vor der Wende viele in den Westen fliehen wollten, und man wurde schon beim Beantragen einer Erlaubnis abgeschrieben, man verlor sogar seine Arbeit. Hunderte saßen auf der Prager Botschaft im Asyl, die ihre ganze Vergangenheit hinter sich ließen, um ein neues Leben zu beginnen. Bei den Umständen war es keine Frage, wo die Trauung stattfinden würde. Auch hätte ihre Familie kein Visum nach Ungarn bekommen. Es wäre jedem ein Dorn im Auge gewesen, wenn eine ganze sächsische Familie von der Oma bis zum Bruder ein Visum nach Ungarn beantragt hätte. Man hätte die Hochzeit schlicht und einfach als Vorwand erklärt, um aus dem sozialistischen Block abzuhauen, und niemand wäre irgendwo hingefahren.
So stand also fest, die Feier findet in Dresden statt. Viel leichter ist es trotzdem nicht geworden, denn wenn ihre Familie nicht nach Ungarn kann, muss seine eben in die DDR. Und die Bescherung kommt noch. Denn ihre Mutter weiß noch von nichts! Sie ist auf einer vierwöchigen Kur, weit weg von dem ganzen Rummel. Als sie nach Hause kam, wurde sie im Auto vor vollendete Tatsachen gestellt. „Übrigens, Mama, wir heiraten in zwei Wochen.” – „Und hast du schon etwas organisiert?!” – „Na ja, ich dachte, du kennst so viele, und machst das schon”. Jetzt muss alles schnell gehen, sie haben 14 Tage, bis die Papiere wieder ungültig sind.
Er mietet einen ganzen Schlafwagen, um die Kollegen, Freunde und die Familie einreisen zu lassen, man kann sich wohl vorstellen, wie amüsant die Reise gewesen sein muss. Aber wie kommen die vielen Leute zum Standesamt? Zum Glück kennt die Mutter einen Busfahrlehrer, der am Sonntag nicht arbeiten muss, er holt die Gäste mit einem alten Schulbus ohne Sitze ab. Das ist besser als nichts. Die Stimmung ist prächtig, und als der erste kleine, schwarzhaarige Mann mit Bart aus dem Bus steigt, singend, mit einer Palinkaflasche in der Hand, werden die Eltern zum ersten Mal mit der ungarischen Ausstrahlung konfrontiert. Jedenfalls kommen alle wohlbehalten am Standesamt an. Auch der Gast, der auf keinen Fall fehlen darf: Erich Honecker lächelt dem glücklichen Paar aus einem vergoldeten Rahmen von der Wand entgegen. Sie in einem einfachen weißen Kleid, er in schwarzer ungarischer Tracht. Dem Blick der Standesbeamten entgeht nicht das rot-weiß-grün gefärbte Band am Arm des Bräutigams. Und wenn erst am Ende der Zeremonie die ungarische Hymne aus dem Mund der Gäste aufklingt, ist die Szene perfekt. Die Trauung verlief auf Deutsch. Es muss schon komisch sein das Ja, dieses so wichtige kleine Wort nicht auf deiner eigenen Muttersprache sagen zu dürfen. Oder gar um die Hand deiner Geliebten in einer fremden Sprache anzuhalten.
Sie gaben sich das Jawort im Oktober. Im November fiel die Mauer. Das krempelte ihre Zukunft einigermaßen um. Die Bahnunternehmen der zwei Länder hatten nämlich eine Abmachung miteinander, so hätte er auch in der DDR einen Arbeitsplatz bekommen. Nach dem Mauerfall gab es diese Abmachung nicht mehr, und da es sowieso schon viele Arbeitslose gab, wäre ein Ausländer der letzte gewesen, der einen Platz gefunden hätte. Also blieb nichts anderes übrig, als nach Budapest zu ziehen, was der Mama natürlich nicht gefiel! Wer will schon seine Tochter, (und in Kürze auch mich, die ich in sechs Monaten in Dresden auf die Welt komme) in ein weites Land reisen lassen, mit der Sicherheit, sie ab dann nur ganz selten zu sehen?!
Aber sie gingen fort, und begannen ein neues Leben 900 Kilometer weiter im Osten. Und es sei allen Autoren gesagt: die schönsten Geschichten (auch wenn sie nicht unbedingt schön enden) schreibt immer noch das Leben selbst.