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Zeitung << 1/2009 << Orientierungssuche und Unsicherheit


Orientierungssuche und Unsicherheit
Chancen für Germanisten

Autorinnen: Viktória Kóger, Anna Angyalka Lukács

Eine Arbeit zu finden wird heute immer schwerer. Es gibt wenig Plätze, aber umso mehr Bewerber. Die Universitäten werden oft als Diplomfabriken bezeichnet. Diese Behauptung bezieht sich auf die Menge der Absolventen, die jährlich mit der lang erwarteten Auszeichnung die Uni verlassen. Jährlich bewerben sich mehr als 140.000 Studenten in Ungarn, weil sie der Meinung sind, dass sie sich mit viel Lernen und einem Diplom einen festen Platz in der Arbeitswelt sichern können. Aber selbst mit einer guten Ausbildung ist man heutzutage nicht abgesichert. In den 90ern war das ganz anders. Man wusste, dass man mit einer guten Ausbildung gebraucht wird, eine sichere Chance auf dem Arbeitsmarkt hat. Heute ist das nicht mehr so. Man braucht viel mehr als nur gute Noten.

Orientierungssuche und Unsicherheit sind die typischen Merkmale dieser Generation. Das beweisen auch die Aussagen der Studenten nach dem ersten Semester in der Szegeder Germanistik. Auslandsaufenthalte, Kenntnis mehrerer Sprachen und jede Menge Praxis gehören zu den gewachsenen Forderungen, nicht zu sprechen von den Erwartungen an die Persönlichkeit wie Kreativität, Selbstständigkeit, Flexibilität. Nur wenige haben das konkrete Ziel Lehrer zu werden. Die Übersetzer-und-Dolmetscher-Spezialisierung in Szeged wird zum Beispiel mehr als Sicherheitsboot empfunden, aber natürlich gibt es auch hier Studenten, deren Lebensziel es ist, in dieser Branche zu arbeiten. Die meisten Antworten von Studenten, die zu diesem Thema angesprochen wurden, lauten: „Ich weiß noch nicht, was ich machen möchte, aber Lehrer werde ich bestimmt nicht.” Wie zielorientiert klingt das? Da stellt sich die Frage, warum man sich für Germanistik entschied, da es ja viele andere, weniger wissenschaftlich und mehr praktisch betonte Richtungen gibt, wo man ein „Handwerk“ erlernen kann, denn die Antwort „Ich möchte Wissenschaftler werden” gab keiner. Und es ist eine abgedroschene Phrase, dass es in Ungarn eine Schwemme an Geisteswissenschaftlern auf dem Arbeitsmarkt gibt. Gute Fachleute werden natürlich immer gebraucht! Eine häufig gehörte Antwort auf die Frage, warum gerade Germanistik: „Weil ich die deutsche Sprache sehr gern habe, und mich die deutsche Kultur interessiert”. Zu welchem Beruf gibt diese Aussage genug Ansporn, um sich durch die Studienjahre durchzukämpfen? Das stellt sich erst nach ein paar Semestern heraus. Schauen wir mal nach, wie es zwei Studenten ergangen ist, die schon ihr Diplom in der Hand haben. Wo arbeiten sie? Wir haben zwei ehemalige Germanistikabsolventen angesprochen.

Zwei ehemalige Germanistikstudenten in Szeged als gute Beispiele
Alexandra Korom, Präsidentin der Selbstverwaltung der deutschen Minderheiten in Szeged bzw. Kulturreferentin im Szegeder Nationalitätenhaus sowie Dániel Galó, Deutschlehrer im Gymnasium Attila József in Makó und technischer Redakteur beim GeMa. Als ihnen die Fragen gestellt wurden, welche Konzeptionen, konkreten Vorstellungen bezüglich der Germanistik sie damals an der Uni hatten, antworteten sie folgendermaßen. Beide haben mit der deutschen Sprache schon als Kind Kontakt gehabt, und dank der Vorsorge und Strenge ihrer Eltern haben sie sie auch gut gelernt. Vater und Mutter haben gedacht, dass es nicht schadet, außer der Muttersprache auch andere Sprachen zu erlernen. Doch nur von den Sprachen zu leben, schaffen nur wenige. Die Eltern haben damals völlig Recht gehabt, aber die Welt ändert sich. Langsam wird die Wortform Universität nicht mehr existieren, sie wird leer vom Gehalt her. Heute studiert man nämlich nicht an der Uni, sondern, ganz trendy gesagt, im BA, und man kann noch eine Stufe weiterstudieren, im MA. Über ihre Erfahrungen haben die beiden ehemaligen Germanistikstudenten offen gesprochen.
Alexandra Korom, Absolvent des Jahres 2000, hat zur Zeit zwei Stellen. Als Präsidentin der Selbstverwaltung der deutschen Minderheiten in Szeged hat sie eher eine repräsentative Aufgabe. Sie ist außerdem noch als Kulturreferentin im Nationalitätenhaus tätig. Zu ihren Aufgaben gehören vor allem die vielfältige, interethnische Repräsentation der Minderheiten in Szeged, die Organisation von verschiedenen Veranstaltungen, Kulturprogrammen wie Literatur-, Tanz- und Filmabenden sowie Kinderprogrammen. Ferner ist sie Mitglied des Vereins der Ungarndeutschen im Bezirk Csongrád. Dort werden auch bunte Programme organisiert.
Auf die Frage, was sie nach dem Abschluss ihres Diploms von Beruf ist, kam die eindeutige Antwort: „Theoretisch Lehrerin”. Dieses „theoretisch Lehrerin” ist bei vielen Interviews oder bei spontanen Gesprächen aufgetaucht. Die beiden haben an der Universität Szeged auf Lehramt studiert. Alexandra übt die Sprache leider nicht so oft, wie sie möchte, obwohl sie sich täglich mit der deutschen Kultur beschäftigt. Bloß wenn deutsche Delegationen in die Stadt kommen oder im Verein, hat sie noch die Möglichkeit Deutsch zu sprechen. Uns interessierte besonders, mit welchen Erwartungen sie damals als naive 18jährige in die Zukunft blickte und welche davon in Erfüllung gegangen sind.

Studium der Germanistik
Vom zweisprachigen Gymnasium István Tömörkény in Szeged mit sehr guten Deutschkenntnissen an der Uni zu landen, wäre aber eher der Wunsch ihrer Eltern gewesen - teilte Alexandra mit. Sie habe den Traum gehabt Opernsängerin zu werden, doch das Leben und der Einfluss der Eltern hätten was anders vorgehabt, und sie hätte ihre schon vorhandene Musikkarriere unterbrechen müssen.
Dániel hatte ähnliche Erfahrungen bezüglich der Sprache bzw. seiner Zukunft als Germanist. Vor der Uni hatte er sich keine Gedanken gemacht hinsichtlich seiner Karriere. Damals, 1998, war eine Oberstufenprüfung genug, um es bis zur Uni zu schaffen. Sein einziges und eindeutiges Ziel war, die Uni durchzumachen und zu überleben. Er hatte sich nicht extra bemüht Lehrer zu werden, obwohl er mit einem Lehrerexamen die Uni absolviert hatte.
Die fünf Jahre an der Uni seien schön und enttäuschend zugleich und doch sinnvoll für Alexandra gewesen. Ihre Erfahrungen als Erstsemester seien nicht der Realität entsprechend gewesen. Hinsichtlich ihres Studiums hat sie sich nicht beschwert, doch tiefe Spuren hat es trotzdem nicht hinterlassen. Was die studentische Aktivität beträfe, damit hat es schon damals Probleme gegeben. Sie habe gedacht, an der Uni sei die Atmosphäre kommunikativer. Als einziges Forum habe sie das GeMa erwähnt und den Stammtisch. Letzterer existiert heute leider nur auf der Homepage des Instituts, wie auch der studentische Verein der Germanisten in Szeged, der NSZK (Német Szakosok Közössége).

Arbeit als Germanist
Im optimalen Fall findet man erst ein halbes Jahr nach der Uni eine Arbeit. Besonders Geisteswissenschaftler sollen sich auf diese lange Phase vorbereiten. Auch Alexandra hat diese „Tradition“ nicht unterbrochen. Doch laut Dániel gäbe es keine Unterschiede im Bezug auf die Arbeitssuche zwischen den Naturwissenschaftlern und den Geisteswissenschaftlern.
Wie gewohnt, haben die beiden mehrere Bewerbungen abgeschickt, bis eine Antwort kam. Zur Wahrheit gehört aber, dass Alexandra während der Uni mit 21 schon Mitglied der Selbstverwaltung der deutschen Minderheit wurde und auch Dániel beim GeMa als technischer Redakteur die Möglichkeit hatte, einen kleinen Ausflug in die Arbeitswelt zu machen. Dank der elterlichen Unterstützung und der musikalischen Erfahrungen konnte Alexandra im Chor „Tiszavirág” des Vereins der deutschen Minderheit mitwirken. So kam zufällig die Möglichkeit, sich 2002 um eine Position in der Selbstverwaltung zu bewerben, wo plötzlich motivierte junge Leute gesucht worden sind. Mit der Zeit kam sie mit ihren amtlichen Aufgaben gut zurecht und wurde 2004 zur Präsidentin gewählt. Auch Dániel hatte als GeMa-Redakteur schon einige Arbeitserfahrungen gesammelt. Kontakte während der Uni auszubauen, ist auch von Dániel stark empfohlen.
Viele von den Studenten haben keine Perspektive oder machen sich Sorgen, am Arbeitsmarkt nicht bestehen zu können. Es wäre mehr Praxis nötig, denn das BA/MA-System erfordert neue Perspektiven. Besonders für Germanisten wäre es vorteilhaft, zielorientierter zu studieren. Die Laufzeit des Studiums ist kürzer geworden, viele machen den MA nicht mehr, und auch deswegen ist es noch dringender geworden, schon während der Unijahre Kontakte auszubauen, Praktika zu machen, einen Nebenjob zu finden und Zusatzqualifikationen zu erwerben. Alexandra und Dániel haben Erfolge im Leben. Sie hatten die Möglichkeiten und ihre Kontakte genutzt. Ob wir alle so erfindungsreich sind?

Fachberatung für Germanistikstudenten an der Uni
Eine gute Idee wäre beispielweise, was schon in Deutschland seit langem funktioniert, mit Hilfe motivierter Studenten eine Fachberatung für Germanisten zu organisieren, vielleicht auch im Rahmen eines Moduls oder Seminars, was für die zukünftigen Germanisten eine große Hilfe und auch eine gute Möglichkeit wäre, selbst einige unbezahlte Praktikumstellen zu schaffen. Die Kooperation mit den verschiedenen Nachbarbranchen, wie Journalismus, Verlagen wäre eine Notwendigkeit. Auf die Frage, ob eine solche Fachstudienberatung für Germanisten eine gute Idee ist, stimmten beide Interviewten zu.

„Gute Kontakte und Arbeitserfahrungen braucht man schon während der Uni, sonst werden wir bei McDonalds landen, wo ein Absolvent jederzeit herzlich willkommen ist“, meint Dániel.

Dániel und Alexandra haben noch im alten System Germanistik studiert, was für uns Bachelor-Studenten schon langsam eine Legende wird. Das Gespräch mit den beiden ehemaligen Germanistikstudenten repräsentiert deswegen nicht die heutige Lage. Es könnte uns aber die Ideenverwirklichung-Phase während und nach der Uni leichter machen. Seitdem das Bologna-System existiert, sind neue Worte, neue Inhalte, neue Perspektiven aufgetaucht, die wir alle wahrnehmen müssen. Ob auch die Arbeitsmärkte bereit waren, diesen Perspektivenwechsel durchzuführen, darüber könnt ihr im GeMa im Februar 2010 lesen, wo die frisch absolvierten BA-Germanisten aus Szeged nach ihren Erfahrungen gefragt werden.