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Zeitung << 2/2008 << Ein Studium rund um Berlin


Ein Studium rund um Berlin
Internationales Intensivprogramm für engagierte StudentInnen

Autor: András Horváth

Vom 23. September bis zum 10. Oktober 2008 fand zum ersten Mal an der Humboldt Universität zu Berlin ein Intensivprogramm mit dem Titel „Berlin inter3“ statt. Diese Studieneinheit richtete sich an Studenten der Erasmus-Partneruniversitäten der HU Berlin, und förderte eine internationale, interdisziplinäre und interkulturelle Zusammenarbeit. Als Vertreter der Universität Szeged konnten sich daran sieben StudentInnen mit der Begleitung der Didaktikerin Katalin Petneki beteiligen.

Im Frühjahr 2008 wurde ich auf eine Ausschreibung am schwarzen Brett vor Frau Petnekis Büro an der Uni Szeged aufmerksam. Es ging darin um die Möglichkeit der Teilnahme an einem dreiwöchigen Studienprogramm in Berlin. Bewerben konnten sich StudentInnen, die im Wintersemester 2008/09 im vierten oder fünften Studienjahr waren und ein Lehramtstudium machten. Ich zögerte nicht lange, mich anzumelden, obwohl wir leider keine genaue Information darüber bekommen konnten, wie wir die Zeit dort verbringen würden. Ich wollte schon lange einmal nach Berlin, und es erwies sich als eine gute Möglichkeit, die Stadt kennen zu lernen und mit dem Gelernten meinen Horizont zu erweitern. Ähnlich wie viele andere Hinweise vor und während unseres Aufenthaltes, erhielten wir die offizielle Nachricht, dass unsere Teilnahme durch Unterstützung des Erasmus finanziert wird, erst spät. Wir hatten Vieles schnell zu erledigen, denn die Reise stand schon vor der Tür.

Internationale Kooperation
Wie schon erwähnt, nahmen am Programm StudentInnen aus verschiedenen Ländern teil. So waren dabei Universitäten wie die Aristoteles Universität Thessaloniki, die Universität Istanbul, Palermo und Paris VIII Saint Denis präsent. Der Großteil der Teilnehmer studierte natürlich Germanistik.
Bei der Ankunft haben wir mitgekriegt, dass wir möglichst nach Nationalitäten vermischt untergebracht werden. Das hat mich sehr gefreut, denn in diesem Fall ist man darauf angewiesen, in allen Situationen Deutsch zu sprechen. Jedoch konnte sich mein Wunsch wegen komischer Umstände nicht ganz erfüllen. Als ich unsere Wohnung betrat, traf ich sofort einen Mitbewohner aus England. Ich grüßte ihn auf Deutsch und fügte hinzu, dass ich übrigens aus Ungarn komme. Daraufhin erwiderte er auf Ungarisch: „Hallo, ich bin Miki aus Pécs!“ Mir versagte sofort die Stimme. Dann erklärte er mir, er sei in Ungarn geboren und lebe seit Jahren in London. Von da an bestand unsere ungarische Gruppe aus acht Studenten.
Die zweite Überraschung war unsere Unterkunft selbst. Wir wohnten nämlich in einem Hostel, das nach DDR-Stil eingerichtet war. Die Wände bedeckte eine Tapete, die in den 70ern in allen Plattenbauwohnungen üblich war. Außerdem gab es in den Wohnungen Radio- und Fernsehgeräte, die wir aus unserer Kindheit schon gut kannten. Die Mitbewohner aus westlichen Ländern konnten sich gar nicht vorstellen, wie man ohne Fernbedienung die Kanäle wählen kann, jedoch hat diese Ostalgie uns allen Spaß gemacht.

Interdisziplinäres Studienangebot
Am nächsten Tag nach unserer Ankunft fanden eine kurze Begrüßung und danach die erste Lehrveranstaltung statt. Von da an wurde jeder Tag einer anderen wissenschaftlichen Disziplin gewidmet. Es gab unter anderem historische, soziologische, linguistische, kultur- und literaturwissenschaftliche Themenbereiche. Für jedes Thema war ein anderer Dozent zuständig, teils von der HU Berlin, teils aus einem der anwesenden Länder. Es stand uns also ein vielseitiges Angebot zur Verfügung, doch alle Gebiete hatten etwas gemeinsam: im Mittelpunkt stand Berlin. So analysierten wir mit Herrn Fries Berliner Stadtzeitungen nicht nur aus praktischer, sondern auch aus textlinguistischer Sicht. Ein anderes Mal verfolgten wir die Entwicklung Berlins zu einer Metropole von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hätten Sie gedacht, dass Berlin gleich vor dem zweiten Weltkrieg eine Million mehr Einwohner hatte als heute? Das klingt ja unglaublich. Anschließend unternahmen wir einen Stadtrundgang, wobei Herr Abramowski das vorhin Gesagte vor Ort erleben ließ. Das hat mir einen großen Spaß gemacht, obwohl Geschichte nie zu meinen Lieblingsfächern zählte. An dieses Thema knüpfte sich ein Vortrag von Frau Abramowski über die Berliner Sprachgeschichte an, bei dem wir unter anderem festgestellt haben, dass sich das Berlinerische in der geteilten Stadt anders entwickelte, und im ehemaligen Ostberlin stärker erhalten blieb als im westlichen Stadtteil. Es gab noch unter anderem Vorträge über die Entstehung der bekannten Berliner Subkulturen von Herrn Clarkson, und Frau Calabrese aus Italien ließ uns mit den jüdischen Identitäten in der heutigen Stadt auseinandersetzen. Letzteren begleiteten ein Rundgang im jüdischen Viertel und der Besuch der neuen Synagoge in der Oranienburgerstraße.
Unsere Dozentin, Frau Petneki machte natürlich Fachdidaktik. In ihrem Vortrag ging es darum, wie sich Landeskunde im Schulunterricht repräsentieren kann. Nach der theoretischen Einführung haben wir selbst in kleinen internationalen Gruppen Lehrwerke analysiert, und diskutierten darüber, wie man als LehrerIn landeskundliche Inhalte in den Deutschunterricht einschmuggeln kann. Nachfolgend gingen wir in zwei große Verlage zu Besuch. Bei Hueber und Klett wurden wir neben wichtigen praktischen Ratschlägen zum Unterricht auch mit Arbeitsmaterial versorgt.
Die Vielfältigkeit bezeichnete nicht nur die Unterrichtsthemen, sondern auch die Methoden der Wissensvermittlung. Neben den Vorträgen sollten wir die Aufgaben oft in Arbeitsgruppen machen. Im Rahmen von Workshops konnten wir auch unserer Kreativität freien Lauf lassen. Auf diese Weise entstanden Pläne einer idealen Stadt und Referate über die historischen Ereignisse im Deutschland des 19. Jahrhunderts.

Interkulturelle Vielfalt
Unser Programm beschränkte sich nicht nur auf die Aktivitäten innerhalb des Unterrichts. Es gab auch verschiedene Möglichkeiten zur kulturellen Freizeitgestaltung. Unsere TutorInnen organisierten einen Besuch im Jüdischen Museum und eine Führung durch den Bundestag. Ich werde nie vergessen, dass das Photo über mich auf der Kuppel des Bundestagsgebäudes ausgerechnet am 3. Oktober, am Tag der deutschen Einheit gemacht worden ist. Wir erhielten von unseren Organisatoren auch noch einen Gutschein für kulturelle Veranstaltungen. Es wurden uns dann Eintrittskosten für Museen, Ausstellungen, Theateraufführungen in Höhe von 10 Euro erstattet.
Um auch eine lockere Seite Berlins kennen zu lernen, gingen wir an einem Samstag mit unseren TutorInnen auf einen Flohmarkt. Trödelmärkte gehören nämlich zum allgemeinen deutschen Stadtbild. Hier sahen wir neben guten billigen Büchern bekannte Gegenstände aus der Wohnung unserer Großeltern in der Zeit vor der Wende wieder.

Abschluss und Ausblick
Anschließend habe ich mit Frau Petneki und den anderen Teilnehmern aus Szeged über unseren Aufenthalt in Berlin diskutiert. „Ich halte dieses Intensivprogramm für eine sehr gute Initiative, und ich bin mir sicher, dass die Studenten sehr davon profitieren konnten. Vielleicht hätte man sie als Studenten mehr einbeziehen sollen, damit sie ihre Erfahrungen und ihre Beziehung zu Berlin präsentieren. Schade, dass die Dozenten von der Arbeit der Kollegen nur wenig mitbekommen konnten, und dass wir im Gegensatz zu den Studenten keine Gelegenheit gehabt haben, untereinander Gedanken auszutauschen. Trotzdem lohnt sich eine Fortsetzung auf jeden Fall. Ich kann schon besser einschätzen, wie es funktioniert und kann die Teilnehmer besser darüber informieren.“
Dieser Aufenthalt gilt für uns alle als eine wertvolle Ergänzung zum Germanistikstudium. Trotz einigen kleineren Unannehmlichkeiten und organisatorischen Problemen, die vor allem an der Zeiteinteilung und der rechtzeitigen Vermittlung von Informationen zu merken waren, ist das Programm gut gelaufen. Wir sind alle froh, dass wir mitmachen konnten, und wir sind unseren OrganisatorInnen sehr dankbar, dass sie sich immer bemüht haben, ihr Bestes für die Teilnehmer zu tun. Ich hoffe sehr, dass dieses Intensivprogramm wie geplant im Weiteren regelmäßig veranstaltet werden kann. Ich empfehle es allen Germanistikstudenten, die eine Neigung zur Vertiefung ihrer Kenntnisse über die deutsche Sprache und Kultur zeigen, sich nächstes Mal um die Teilnahme zu bewerben.