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Zeitung << 2/2008 << Ein spezielles Kulturangebot in Berlin
Ein spezielles Kulturangebot in Berlin
Begegnung mit der Geschichte homosexuellen Lebens im Schwulen Museum
Autor: András Horváth
„Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.“ Diese Aussage betrifft nicht nur die Zeit der 1970er Jahre, in der der gleichnamige deutsche Film spielt. Das Leben der Schwulen war immer von Schwierigkeiten gekennzeichnet, auch wenn es sich bis heute stark veränderte. Während die Weimarer Republik eine Blütezeit für die schwulen Subkulturen Berlins bedeutete, wurde 1872 der bekannte und befürchtete Paragraph 175 erlassen, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Die Nationalsozialisten verschärften das Gesetz, was im Zeitraum zwischen 1933-1943 wegen „widernatürlicher Unzucht“ zur Verurteilung von Tausenden geführt hat. Der Paragraph blieb auch nach Kriegsende Jahrzehnte lang in Kraft, bis er nach mehreren Reformen und Milderungen 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Trotz aller Miseren hörten die Berliner Schwulen nie auf, in der Hoffnung der allgemeinen Anerkennung gegen ihre Diskriminierung zu kämpfen. So entstand beispielsweise 1897 unter der Leitung des berühmten Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld als weltweit erste Organisation von homosexuellen Männern und Frauen, das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee. Auch nach der Ruinierung aller homosexuellen Institutionen durch die Nazis konnten Schwulenbewegungen wiederhergestellt werden, und der lange Weg zur Emanzipation begann. Als Wegweiser standen ihnen ihr ungebrochenes Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit zur Seite.
Zur Schau gestellt: die Vergangenheit
Auf diese Merkmale soll auch der Titel der Dauerausstellung des Berliner Schwulen Museums hinweisen, die ich im Oktober 2008 besucht habe. Fotos, Plakate, Briefe, Kleider und zahlreiche andere Gegenstände dokumentieren die Geschichte und Leben der Homosexuellen in Berlin in den letzten gut 200 Jahren bis zur Zeit der Wende. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, sodass der Besucher den Weg zur heutigen homosexuellen (Sub-)Kultur Schritt für Schritt verfolgen kann. Die hohen Wände erzählen über die jeweiligen betreffenden politischen Verhältnisse und gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen. Zur Schau gestellt werden hier unter anderem Dokumente über Schwulenorganisationen, kulturelle Veranstaltungen sowie Bilder und Zeitschriften. Erinnert wird hier an den Züricher Lesezirkel „Der Kreis“, der in den 50er Jahren als Vorbild für die Entwicklung homosexueller Vereine diente, und die Tagung des „International Committee for Sexual Equality“ 1952. Mit Überraschung habe ich erfahren, dass die erste Schwulenzeitschrift der Welt, „Der Eigene“ 1896 in Berlin erschien. Zum homosexuellen Lebensstil gehört auch die männliche Nacktheit, mit der der Besucher durch anspruchsvolle Gemälde und Fotografien konfrontiert wird.
Die Ausstellung befindet sich in einem Gebäude auf einem Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Die Initiative für ein Museum wie das stammte von drei Berliner Studenten Mitte der 80er Jahre. Den Anfang sollte die Ausstellung „Eldorado“ im Berliner Museum im Jahre 1984 machen, deren Erfolg die Erwartungen weitaus übertraf. Dies trug zur Gründung des „Vereins der Freunde eines Schwulen Museums in Berlin e. V.“ bei, der bis heute für das Museum haftet. Erwartet werden die Besucher seit 1988 im heutigen Gebäude, in dem neben den Ausstellungsbereichen ein Archiv und eine Bibliothek beheimatet sind.
Ein Ort der Recherche für Forscher und Interessente
„Bei uns sind alle willkommen, die sich für das Thema der Homosexualität interessieren. Wir bieten ein umfangreiches Dokumentinventar zur Kultur und Leben von Schwulen, und helfen gerne, wenn man Material zur Queerforschung oder einfach nur Lesestoffe braucht.“ – erklärte mir Thomas, einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter im Archiv und Bibliothek des Museums. Er war wirklich nett und hilfsbereit, während ich meine Fragen an ihn richtete, und mich durch das Gebäude führen ließ.
Die Bibliothek verfügt über eine Sammlung von etwa 15.000 Büchern, die aber leider im Präsenzbestand sind, sodass man sie nur vor Ort benutzen kann. Die Bücher sind thematisch sortiert, wobei der Akzent auf den schönen Künsten, der Belletristik und den wissenschaftlichen Werken liegt. Der Bezug in literarischen Büchern zur Welt der Schwulen wird überwiegend entweder durch homosexuelle Inhalte oder durch die Person des Autors hergestellt. Den Besuchern steht außerdem ein vielseitiges Angebot an wissenschaftlichen Fachbüchern zur Verfügung, in denen vor allem Geschichte, Sexualwissenschaften, Soziologie und die Aids-Forschung im Mittelpunkt stehen.
Das Archiv teilt sich in drei Bereiche. Im Videoarchiv werden Filme mit schwulen Themen oder schwuler Regisseure gesammelt, oder diejenigen, in denen dem nackten Mann eine wichtige Rolle zukommt. Ferner werden hier gedruckte Materialien aller Art aufbewahrt. Ich habe zahlreiche Broschüren, Postkarten, Zeitungsausschnitte und –Artikel gefunden. Sie werden nach Schlüsselworten sortiert, um die Suche zu erleichtern, trotzdem ist man dabei auf die Erinnerungen der sortierenden Person angewiesen. Im größten Bereich des Archivs erstrecken sich Regale mit verschiedenen schwulen Zeitschriften. Ich habe mich äußerst gefreut, dass im internationalen Presseangebot auch einige ungarische Zeitschriften vorhanden sind.
In mir ist sofort die Frage aufgetaucht, wie sich das Museum eine solche Sammlung verschafft. Thomas teilte mir mit, dass hier alles in erster Linie aus Spenden und Nachlässen stamme. Das Museum und die dazu gehörenden Einrichtungen würden von Eintrittsgeldern, Spenden und größtenteils vom Verein finanziert.
Das Museum öffnet heute auch in Richtung Frauen. Oktober 2008 fand auch eine Sonderausstellung statt, die zum ersten Mal die Geschichte der Lesbenbewegungen und das lesbische Engagement in den verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen präsentierte. Sie wurde mit einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet, in dem auch der im Auftakt erwähnte Film vorgeführt wurde.
Das ist eine einzigartige Sammlung, die Berliner können darauf stolz sein. Ich freue mich sehr, ein weiteres Stück der breiten Palette des kulturellen Angebots von Berlin kennen gelernt zu haben. Ein Besuch im Schwulen Museum lohnt sich nicht nur für Insider. Es bietet eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung einer breiteren Allgemeinbildung, und trägt zum näheren Kennenlernen der Vielfältigkeit des Lebens unserer europäischen Mitmenschen und dem Abbau von Vorurteilen bei. Man muss sich weder für die Ausstellung noch für Homosexuelle begeistern, aber bevor man über die Berechtigung ihrer Existenz zu diskutieren beginnt, sollte man sie wie alles Unübliche aus folgender neutralen Perspektive betrachten: „Es ist so schön anders.“
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