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Zeitung << 2/2008 << GRIPS Theater


GRIPS Theater
Wie lernt man durch Theater? – anhand des Seminars ‚Theater’ von Ellen Tichy

Autorin: Viktória Kóger

Unter der Leitung der DAAD-Lektorin Ellen Tichy fand im Wintersemester 2008/2009 ein Seminar namens Theater an der Universität Szeged statt. Man konnte den Kurs im Rahmen eines Blockseminars belegen. Am Ende nahmen alle Teilnehmer an einem dreitägigen Workshop teil, wo Susanne Rieber, Theaterpädagogin vom Berliner GRIPS-Theater, Einblick in die Theorie der Theaterpädagogik gewährte und mit ihrer Kollegin, Julia Benninger, die situativen Übungen leitete.

Ganz am Anfang erschienen noch viele Studentinnen im Seminar, doch die Vorworte und die ersten Eindrücke vom Seminarplan erschreckten sie. Die Studenten fühlten sich mutlos und hatten Panik, deutsch zu sprechen und Offenheit zu zeigen. Es ging jedoch nicht um Theatergeschichte, wie die meisten gedacht haben, sondern um Theater selbst. Nach kurzen Referaten über das GRIPS-Theater, über Volker Ludwig, den Gründer und Leiter des GRIPS begannen schon die erste Schritte zum Theater. Erstmal nahm man möglichst viele Infos vom Dokumentarfilm über das GRIPS-Theater auf. Schon da konnte man die nette, strahlende Susanne Rieber im Kreis deutscher Schüler sehen, die anscheinend sehr große Freude an den theaterpädagogischen Übungen haben. Wir hatten noch mehr Lust auf den Workshop, den auch Alma Dreyer und Ivana Basic mitgemacht haben. Die beiden DAAD-Sprachassistentinnen brachten noch mehr Turbulenz ins Spiel, waren kreativ und originell.
Weil viele von uns keine Routine in spontanen Äußerungen hatten, änderte Susanne nach den ersten misslungenen, sprachorientierten Szenen ihr Konzept. Die Struktur des Workshops baute die deutsche Sprache ins Theaterspiel sehr bewusst ein und dank Susannes Erkenntnisfähigkeit sind die ’Schauspielerinnen’ hinsichtlich der Sprache Schritt für Schritt aufgeschlossener geworden.
Beim GRIPS spielt man übrigens u.a. Forumtheater, wo das Publikum ins Bühnengeschehen einbezogen wird, Profis arbeiten mit Laien zusammen. Diese Art und Weise des Theaters dient zur besseren Integration ins Kulturleben, führt zum demokratischeren Denken und fördert soziale Kompetenzen. Die Reflexion, wie man auf Sachen reagiert, ist im Leben allgemein wichtig, bei GRIPS aber besonders.
Die Übungsarten wurden im Workshop gut thematisiert. Die Vorübung war eine Vorstellungsrunde, bei der man seinen Namen mit einem Tiernamen verbinden sollte. Man musste sich auch wie das jeweilige Tier verhalten. Z.B. Helga, die Hündin bellte oder Vera, die Vipera zischte. Es folgten dann Situationsübungen, wo meistens Paare zusammenarbeiteten und dabei die Körpersprache große Bedeutung hatte. Eine meiner Lieblingsübungen war das so genannte „in der Szene einfrieren”. Wir bildeten zwei Reihe vis-a-vis, anhand eines Begriffes sollten wir ohne Laute, nur mit Hilfe von Mimik und Körperhaltung etwas für den Begriff Charakteristisches improvisieren. Darstellungen wie Schweiß brachten uns zum Lachen, aber die zu Todesangst, Liebe und Gewalt waren eher schockierend. Ich selbst habe nie gedacht, dass Liebe so viele Gesichter und Umarmung so viele Erscheinungsformen haben kann. Mal traurige, mal stark leidende, ganz erotische, aber auch enorm gewaltsame. Als Krönung des Workshops wurde eine kurze Gemeinschaftsszene mit Hilfe aller problematischen Gesellchaftscharaktere vorgeführt. Diese Endszene war eine Hochzeit, wo die Anwesenden ihre innere Theatralität ausüben und überprüfen konnten. Neben Neugier und Herausforderung dienten die Persönlichkeiten von Susanne und Julia zur größten Motivation. Im Workshop ging es um Ehrlichkeit, Toleranz, Empathie, Selbsterkenntnis. Es machte große Freude, dass während der Übungen immer Konzentration herrschte, alle Teilnehmerinnen waren offen, Theater zu zeigen und Theater aufzunehmen. Es passierten sichtbare Persönlichkeitsentwicklungen, und das Mitspiel, die menschlichen und fachlich kundigen Anweisungen von Susanne Rieber und Julia Benninger haben tiefe Spuren hinterlassen. Wie auch Volker Ludwig einmal gesagt hat: „Mutmach-Theater ist übrigens mein Lieblingswort für GRIPS.”
Wir danken dem DAAD Bonn und dem Lehrstuhl für Germanistische Linguistik in Szeged für die großzügige Unterstützung, ohne die dieser Workshop nicht möglich gewesen wäre.


Gespräch mit Susanne Rieber

Wolltest Du schon immer Theaterpädagogin werden oder entwickelte sich das mit der Zeit?
Schon als Kind reizte mich das Theater sehr. Ich wollte, bis ich ungefähr 16 Jahre alt war, immer irgendetwas in diesem Bereich arbeiten. Dann kam die Zeit, in der ich dachte: „So jetzt musst du vernünftig werden – und Theater ist Leidenschaft, aber keine gesicherte Zukunft“. Während eines Praktikums in einer Einrichtung für körperlich und geistig Behinderte entdeckte ich meine Freude daran, Menschen über eine berufliche Tätigkeit oder ein Hobby zu begeistern und weiterzubringen. Zufällig lernte ich einen Dramatherapeuten zur gleichen Zeit kennen, der mir Einblicke in Theaterpädagogik bot. Und ab da war es für mich dann klar: Das ist es! Und dabei blieb es auch.

Bist Du eher eine Pädagogin oder ein Theatermensch?
Das ist eine schwierige Frage, zu der ich bestimmt zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Antworten geben könnte. Meine Ausbildung war sehr künstlerisch praktisch orientiert, daher bin ich von der Ausbildung her mehr Theatermensch als Pädagogin. Wenn ich mit Jugendlichen oder Kindern arbeite, ist der Prozess für mich sehr entscheidend, also bin ich da eher Pädagogin. Aber dennoch bleibt ein hoher Anspruch, dass das Ergebnis des Prozesses ein künstlerischer Erfolg wird.

Managertraining in der Wirtschaft?
Theaterpädagogische Arbeit mit Managern ist gerade ziemlich angesagt und insofern für alle Theaterpädagogen interessant, weil es sehr gut bezahlt wird. Gemeinsam Theaterspielen fördert viele soziale Kompetenzen, die in einem Team unerlässlich sind. Es bringt positive gruppendynamische Prozesse in Gang und stärkt das Selbstbewusstsein jedes Einzelnen. Außerdem entwickelt sich über das Spielerische ein neues kreatives Miteinander.

Die Gesellschaft erfordert immer mehr Flexibilität und braucht die Phantasie und Kreativität des Einzelnen. Ich halte es für eine gute Idee, schon in der Grundschule Theaterpädagogik als Pflichtfach einzuführen.
Ja, Theater sehen und Theater spielen sollte eine noch viel größere Rolle in der Bildungsarbeit bekommen. Denn gerade für die Entwicklung eines Kindes sind die Kompetenzen, von denen ich im Zusammenhang mit den Managern sprach, noch entscheidender. Je früher in Kreativität, Teamgeist und Stärkung des Selbstbewusstseins investiert wird, desto besser.

Wie führt man Kinder im Theaterspiel an gesellschaftliche Probleme heran?
Kindern muss zu jedem Thema klargemacht werden, welchen Bezug sie dazu haben, sonst kann kein Interesse geweckt werden. Spiele und Improvisationen mit Kindern müssen sich mit Themen befassen, in denen sie sich auskennen. Über die Darstellung ihres Alltags zeigen sie automatisch, was sie beschäftigt, über was sie sich ärgern und wovor sie Angst haben. Und genau da kann weitergearbeitet werden.

Du warst vorher noch nie in Szeged.
Ja, Szeged gefällt mir total gut. Die vielen wunderschönen Jugendstil-Gebäude, die schönen großen Plätze, das leckere Essen und der gute Palinka... Toll! Ich habe mich sehr wohl gefühlt. Vor allem aber auch, weil mir die Arbeit mit Euch so viel Freude gemacht hat.




Gespräch mit Julia Benninger

Julia studiert zurzeit Erzieherin an der Fachhochschule für Sozialpädagogik in Berlin und leitet mit anderen Kollegen eine Theatergruppe.

Du bist Mitglied einer Theatergruppe, kannst Du uns darüber erzählen?
Unsere Theatergruppe besteht aus derzeit 10 Studierenden. Wir treffen uns einmal wöchentlich und machen zwei Stunden Theater, wobei uns ein ehemaliger Lehrer von meiner Schule anleitet. Wir machen verschiedene Übungen, es geht dabei hauptsächlich um Improvisation. Wir wollen lernen besser aufeinander einzugehen und zusammen zu spielen. Ziel ist aber auch, dass wir eine kleine Präsentation auf die Beine stellen.


Hast Du Ratschläge für uns? Möglicherweise stellen wir auch eine Gruppe aus begabten Studenten zusammen.
Zunächst einmal denke ich, dass niemand begabt sein muss um Theater zu spielen. Für mich geht es mehr um den Spaß und den Ehrgeiz etwas über sich selbst und die anderen Menschen zu lernen. Ich denke, Theater und Theaterspielen ist für alle Menschen gut, auch für diejenigen, die nicht theatral begabt sind. Wichtig ist es meiner Meinung nach daher, niemanden auszuschließen, nur weil er oder sie scheinbar kein Talent hat, sondern eine Gruppe mit Menschen zusammenzuführen, die neugierig und motiviert ist zu experimentieren. Mir persönlich ist außerdem die Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit in der Theatergruppe wichtig, denn nur so kann ich Vertrauen zu meinen MitspielerInnen aufbauen. Wenn ihr eine Theatergruppe gründen wollt, solltet ihr euch auf jeden Fall anfangs auf gewisse Regeln, wie z.B. regelmäßige Anwesenheit, einigen und euch auch über eure Wünsche, Hoffnungen und Ziele klar werden. Es ist wichtig, dass ihr wisst, wo ihr hin wollt und wie eure Zielsetzung und der Prozess aussehen.

Wie hast Du dich unter uns gefüllt?
Ich habe mich unter euch sehr, sehr wohl gefühlt. Es war jeden Tag wieder schön zu kommen, denn ihr habt uns von Anfang an mit offenen Armen aufgenommen und uns das Gefühl vermittelt, dass wir willkommen seien. Ihr wart eine sehr offene, freundliche und liebenswerte Gruppe, in die ich mich gleich aufgenommen fühlte. Es war zwar zu merken, dass ihr euch untereinander unterschiedlich gut kennt, aber ihr habt sehr gut zusammengearbeitet. Ich fand’s toll mit euch! Szeged fand ich einfach wundervoll! Eine sehr schöne alte Stadt, ohne viele Touristen, sehr angenehm. Mir gefiel die Stadt v.a. außerhalb der top-sanierten Füßgängerzone: die schönen alten noch nicht renovierten Gebäude haben einen sehr speziellen, romantischen Charme. Auch das Nachtleben hat mir sehr gut gefallen. Wir haben wirklich tolle Bars kennen gelernt. Von dem tollen Essen träume ich immer noch! Einzigartig lecker! Ich habe schon überlegt, was ich euch bieten kann, wenn ihr nach Berlin kommt; schwierige Aufgabe bei dem guten ungarischen Essen!




Theaterpädagogik

Theaterpädagogik wurde von Sozialpädagogik abgeleitet und kann in sehr vielen Bereichen, von Schulen und Seniorheimen bis zur Wirtschaft angewendet werden. Es sind alltägliche Themen und Situationen, die behandelt werden und mit denen man sich auseinandersetzt. Szenische Spiele helfen dabei, ein Geschehen oder Verhalten aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Die geprobten Gespräche und Dialoge sowie stille, bewegungslose Bilder werden dann diskutiert und besprochen. Das Themenfeld ist sehr vielfältig. Die Palette reicht von anderen Menschen, von der Gesellschaft unterdrückten, diskriminierten Personen oder Gruppen und Minderheiten bis zu nicht akzeptablen Tätigkeiten wie z.B. Erpressung, Gewalt, Mobbing.
Szenen, die Liebe, Freundschaft, Familie darstellen, werden auch improvisiert, weil besonders Teenager damit schwer umgehen können, und auch bei der Kinder-Eltern-Beziehung kann die Theaterpädagogik große Hilfe leisten, die Dinge von außen zu betrachten.