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Zeitung << 1/2008 << Gloomy Sunday


Gloomy Sunday
Ein Lied von Liebe und Tod – Ein Film von Rolf Schübel

Autor: Gábor Szágos

Auf ungewöhnlicher Weise wird im Folgenden kein neuer Film, sondern ein Klassiker aus 1999 vorgestellt. Leider kennen nur relativ wenige Leute die Geschichte des „Traurigen Sonntags“, doch sie ist weltberühmt. Mindestens das Lied im Film, das vom ungarischen Pianisten Rezsõ Seress komponiert wurde und als Gloomy Sunday von Billie Holiday in Amerika weltbekannt geworden ist. Trotz niedriger Kosten und der einfachen Ideen ist es Meisterwerk. Ein Film, der eine Botschaft besitzt.

Die Geschichte spielt in der ungarischen Hauptstadt. Die Story fängt im Restaurant Szabó an, in dem eine wichtige deutsche Delegation ankommt. Der Botschafter Hans Eberhard Wieck (Ben Becker), der seinen 80. Geburtstag hier feiert, und seine Frau nehmen Platz und bestellen Rollenfleisch und „das Lied, das Berühmte“. Als diese Bitte befriedigt wird und Hans, der einstige „Herr Standartenführer“ ein von ihm 60 Jahre zuvor photographiertes Bild erblickt, scheint er Gewissensbisse zu haben und stirbt sofort anscheinend an Herzinfarkt. Ob Gift den Tod verursachte, ist eine andere Frage. Niemand weiß, welche Erinnerungen das Photo in ihm wachgerufen hat. Um Antworten zu finden, gehen wir in die Vergangenheit.
Es geht im Film um eine Rahmengeschichte. Der Anfang und das Ende werden mit den gealterten und noch lebenden Hauptpersonen gespielt. Die Idee finde ich sehr gut. Die Ereignisse der Gegenwart können anhand der Vergangenheit rekonstruiert werden, wie ein Puzzlespiel. Das Dreiecksverhältnis des Trios von Restaurantbesitzer László Szabó (Joachim Krol), seiner Frau Ilona Várnai (Erika Marozsán) und dem neuen Pianisten András Aradi (Stefano Dionisi) spielt eine große Rolle in der ersten Hälfte des Films. Damit können wir sie kennen lernen und sie werden zu fühlenden Menschen, was wichtig ist, um ihre spätere Lage zu verstehen.
Im zweiten „Aufzug“ werden vor allem die Schwächen, die schlechten Seiten der menschlichen Seele beschrieben. 1944 kommt der Faschismus in Ungarn an. Der Nationalsozialismus verstärkt die Frage des Seins und Nicht-Seins. Die Botschaft des inzwischen von András komponierten Liedes (Das Lied des traurigen Sonntags) hilft vielen Juden ihren Weg im dunklen Wald des Nationalsozialismus zu finden. Die Lösung heißt: eher der hoheitsvolle Tod als das schnöde Leid.
András, der Pianist schießt sich in den Kopf und lässt seine Freunde zurück. Auch László will Selbstmord – mit Gift – begehen, aber er wird gefangen und deportiert. Ilona wurde, um László zu retten, sogar zur Liebhaberin von Hans, der Standartenführer ist. Eine der tragischsten Geschehnisse für mich ist die Szene, in der Herr Wieck statt László einen anderen Juden rettet. Ist das eine Kleinigkeit, Rache oder Neid? Ich fühlte mich sehr enttäuscht, als ich dieses Ereignis erfahren habe. Aber später kam ich darauf, dass es eine sehr gute Illustration der gegenmenschlichen Eigenschaften der nazistischen Ideologien ist. Wieck rettet jedoch viele Juden vor dem Tod, allerdings für Geld und vielleicht aus Angst vor Bestrafung wegen der nazistischen Sünde.
Um die Missverständnisse aufzulösen, bringt der Film eine Pointe am Ende. Die Frau, die mit dem alten Hans Wieck im Restaurant angekommen ist, trällert das Lied vom traurigen Sonntag und wäscht die Giftphiole, mit deren Hilfe László Szabó einst Selbstmord begehen wollte. Da die Frau auch Geburtstag hat (wie Hans), klingeln sie und ihr Sohn (der neue Restaurantbesitzer) mit den Gläsern, wobei in ihren Haaren die Haarnadel glänzt, die Ilona 60 Jahre zuvor zu ihrem Geburtstag von László bekommen hat. Ein Umschwung, den man sich gar nicht vorstellen könnte. Meines Erachtens bekommen wir einen tollen und überraschenden Schluss.
Als ich den Film das erste Mal gesehen habe, dachte ich sofort, dass ich ihn mir noch öfter ansehen würde. Es ist kein Aktionsfilm, der voll von Blut ist, keine amerikanische Komödie für Teenies, kein spannender Abenteuerfilm – doch es lohnt sich, diese Geschichte kennenzulernen. Spezielle Lebenslagen, betrübende Gefühle, die seelischen Seiten werden gezeigt. Situationen, Leben, in denen man sich mithilfe des Films leicht hineinversetzen kann.
Die Geschichte ist relativ einfach, trotzdem treten viele Wendepunkte auf und wir erleben viele Überraschungen. Das ist eines der wichtigsten Gründe, warum der Film zu meinen Lieblingsfilmen gehört. Außerdem mag ich die Philosophie der Geschichte: Leben, lieben, leiden, aber was das Wichtigste ist: alles mit Würde.
Auch die Musik des Films ist großartig, das Lied wurde schon mehr als hundertmal aufgearbeitet. Rezsõ Seress hat etwas Außerordentliches geschaffen (der Text wurde von László Jávor geschrieben). Es ist eigentlich der einzige ungarische „Welthit“. Nicht zufällig. Ich muss bekennen, obwohl ich härtere Musik bevorzuge, dass ich Gänsehaut bekam, als ich das Lied nach vielen Jahren wieder hörte.
Wer den Film bisher noch nicht gesehen hat, sollte es nachholen. Es lohnt sich, man kann damit nur bereichert werden. Der Film soll angesehen und das Lied angehört werden. Das ist meine Botschaft.