|
Zeitung << 1/2008 << Literatur und Kultur in Körpernähe erleben
Literatur und Kultur in Körpernähe erleben
Konferenz über die Kultur der Frühen Neuzeit an der Universität Szeged
Autorin: Réka Bányai
Zu den Aufgaben einer Universität gehören nicht nur eine gute Lehrtätigkeit der Dozenten, sondern auch Konferenzen und wissenschaftliche Tagungen, die nicht nur für die Dozenten ein wichtiges Forum der Zusammenarbeit zwischen Instituten und Fachleuten von verschiedenen Wissenschaftsfeldern ermöglicht. Diese Veranstaltungen sind auch für Studenten hochinteressant, werden aber von diesen nur selten besucht. Vom 22. bis 25. April 2008 fand im Institut für Germanistik an der Universität Szeged eine Tagung mit dem Titel Kultur und Literatur im Donau-Karpatenraum in der Frühen Neuzeit statt.
Organisation der Konferenz
Die Konferenz war ein gemeinsames Projekt der Universität Bonn (Zentrum für Kulturwisenschaft / Cultural Studies), der Universität Osnabrück (Forschungsstelle Literatur der Frühen Neuzeit), des Bundesinstitutes für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Osnabrück und der Universität Szeged (Institut für Germanistik). Die Germanistik in Szeged nahm damit als das einzige, nicht in der Bundesrepublik tätige Institut an der Kooperation teil. Die Ergebnisse dieser erfolgreichen Zusammenarbeit waren zahlreiche Vorträge mit einem breiten Themenspektrum von hohem Niveau. Wie Frau Tünde Katona, die Hauptorganisatorin der Tagung an der Universität Szeged bestätigte, sind diese Foren des Gedankenaustausches sehr sinnvoll, da sie zur Gesamtforschung und zu deren Forschungsfeldern aus breiterem Spektrum beitragen.
Die Vielfältigkeit der betroffenen Wissenschaftsfelder zeigte sich auch am Programm der Konferenz. Von 28 Wissenschaftlern aus 7 Ländern konnten die Gäste Vorträge hören, die in unterschiedlichen Gebieten der Neuzeitforschung tätig sind. Die meisten Vorträge betrafen literarische Schriften, da aber in dieser Zeitepoche des 16., 17., teilweise des 18. Jahrhunderts noch eine enge Einheit der verschiedenen Fachgebiete der Schriftlichkeit vorherrschte und in dieser Zeit statt literarischer Schriftlichkeit eher über gesamtkulturelle Schriftlichkeit die Rede sein kann, waren auch ungewöhnliche Themen betroffen, wie Musiker-Migration, medizinischer Wissenstransfer, Gemeinden- und Konfessionenforschung.
Die Gäste wurden von mehreren prominenten Persönlichkeiten bei der Eröffnung am Vorabend, dem 22. April begrüßt. Neben den Vertretern der Universität Szeged – Vizerektor Béla Pukánszky, Leiter des Instituts für Germanistik Géza Horváth, Leiter des Lehrstuhls für deutsche Literatur Árpád Bernáth – hat der deutsche Hauptorganisator Detlef Haberland seine Freude über die Konferenz ausgedrückt. Dem Eröffnungsabend folgte am nächsten Morgen das vielseitige Programm, das drei Tage dauerte.
Kalender und Migranten in Ungarn
Rita Nagy aus Eger hat über ihre Forschung im Bereich der alten deutschsprachigen Kalender im ungarischen Königreich berichtet. Von ihr konnten wir erfahren, dass unter den zahlreichen interessanten Kalendern zwei grundlegende Typen zu unterscheiden sind. Auf die eine Gruppe, die sog. Zipsenkalender – u.a. in Lõcse herausgegeben – haben die historischen deutschen Kalender großen Einfluss gehabt, während die Kalender aus Westungarn – wie auch die aus Pest oder Ofen (auf. ung.: Buda) stammen – den Vorbildern der Wiener und Krackauer Kalender folgten.
Julia Riedel ging mit ihrem Vortrag über die Bildungsreform und das geistliche Ordenswesen in die Epoche von Maria Theresia und Joseph dem II. zurück. Auch soziale Verhältnisse wurden berücksichtigt: die Vertreibung der Migranten sowohl aus dem Deutschen Reich ins Ungarische Königreich, als auch umgekehrt wurden unter den Themen berücksichtigt.
Über die transportierten Kulturvermittler hat Márta Fata neben ihrem Vortrag auch eine Anekdote über eine Migrantenfamilie erzählt, die aus dem Deutschen Reich ins Ungarische Königreich übergesiedelt war. Sie konnte das Zollgebühr von 1,2 Gulden, welche zu der Zeit auch nicht eben unbezahlbar war, kaum bezahlen. Von geistigen Werten haben sie aber um so mehr gehabt, auf die sie auch wegen der Migration nicht verzichteten, da sie neben den Hausbibeln und Gesangbüchern sogar 150-200 Andachtsbilder in die neue Heimat mitgebracht haben.
Die Beteiligung von Szegeder Vortragenden an der Konferenz
Auch drei Mitarbeiter des Lehrstuhls für alte ungarische Literatur an der Universität Szeged – Zsuzsa Font, Mihály Balázs und Péter Ötvös – haben sich mit anspruchsvollen Vorträgen an der wissenschaftlichen Arbeit der Konferenz beteiligt. Péter Ötvös hat ein interessantes Thema aufgegriffen: er sprach über die Wahrnehmung der Ungarn im Deutschen Reich im 17. Jahrhundert, wobei er auch auf Stereotypen und Vorurteile, die mit der Zeit zu Topos geworden sind, einging. Während der drei Tage saßen im Konferenzraum der Fakultät, wo die Tagung stattfand, fast mehr Hungarologen als Germanisten.
Am 24. April gab es auch ein Zusatzprogramm: Bibliothekarin Erzsébet Szõkefalvi-Nagy, die für die Altbestände der Stadtbibliothek Somogyi in Szeged zuständig ist, bot für die eingeladenen Forscher eine Führung in der Bibliothek, unter anderem über die eigenartige persönliche Sammlung des Namengebers der Bibliothek Károly Somogyi an. Die Bibliothekarin sprach in ihrem persönlich gefärbten Vortragsstil sehr genussvoll über die Prager Missale, die Notensammlungen von Paul Westhoff aus dem Jahre 1696 oder die Inkunabeln, also die Urdrucke aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, von denen es in der Bibliothek 38 Exemplare gibt.
Literatur und Kultur in Körpernähe
Auf der Tagung konnten wir Literatur und Kultur in Körpernähe erleben. Es war eine Betrachtung aus Körpernähe, weil auf dieser Konferenz in Ungarn der Donau-Karpatenraum behandelt wurde. Die Thematik betraf nämlich nicht nur unsere Deutschkenntnisse, sondern auch die ungarische Geschichte und Kulturgeschichte. Es waren in Körpernähe gebrachte Diskurse, weil die Vorträge – trotz ihrer weiteren Entfernung in der Zeit von unserer Epoche – interessant, durchschaubar, durch Illustrationen und Bilder den einzelnen Zuhörern näher gebracht wurden. Auch deshalb können wir von einer Körpernähe sprechen, weil die ganze Veranstaltung in unserer unmittelbaren Umgebung, an der Universität Szeged stattfand.
An interessanten Veranstaltungen an der Universität Szeged und dem Institut für Germanistik wird es auch in den folgenden Semestern nicht mangeln. Ich kann allen Studenten Folgendes raten: Gehet hin, höret zu, bereichert euch mit interessanten Themen und amüsiert euch dabei!
|
|