Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2007 << etr


etr
Kursbelegungsmisere der Germanistikstudenten

Autor: Robert Lessmeister

Die Szegeder Uni und darunter das Institut für Germanistik erfreut sich in ganz Ungarn und sogar im internationalen Vergleich eines hervorragenden Rufs. Ihre jugendliche Atmosphäre mit dem flexiblen, gut qualifizierten Lehrerteam und wohl auch die schöne Lage der Stadt mit der langen Tradition einer Universitätsstadt sind die Faktoren, die das Institut so beliebt machen und viele Studierende aus den verschiedensten Gegenden hierher locken. Meine Erfahrungen sind auch die besten, bis auf eines. Schon durch die bloße Erwähnung des ETR verzieht man den Mund, und den meisten Germanistikstudenten schnürt sich dabei der Magen zusammen.

Eine weite Palette an Seminaren und Vorlesungen gibt uns die Möglichkeit, mittels des ETR die optimale Wahl zu treffen, oder doch nicht ganz? Bei einer Umfrage im Kreise meiner Kommilitonen fiel die Bewertung des Systems äußerst negativ aus. Ich stellte die Frage: „Wie sind deine Erfahrungen mit den Kursbelegungen?”
„Es ist eine Stressperiode, bei der ich um Jahre älter werde. Das letzte Mal arbeitete ich im Ausland, um meinen Lebensunterhalt während der Vorlesungszeit zu sichern. An dem Tag, an welchem das System geöffnet werden sollte, nahm ich mir naiverweise frei, um in aller Frühe in die Nachbarstadt zu fahren und in einem Internet Café die Kurse belegen zu können, wo ich dann den ganzen Tag wartend verbrachte, weil nämlich kein Zugang möglich war! Die nächsten Tage musste ich dann wieder arbeiten. Es ist ein Wahnsinn!“
„Katastrophal! In den früheren Semestern hat es noch funktioniert, denn wenn mir alles vor der Nase weggeschnappt wurde, waren die Lehrer mit einer Erweiterung der Teilnehmerzahl einverstanden. Diesmal wollte aber niemand mehr unterschreiben. Als käme es auf die paar Leute an.“
„Ich ärgere mich nicht mehr darüber. Die guten Kurse sind im Nu vergriffen, durch den Tausch mit den anderen kriegt man es dann doch irgendwie zusammen. Es sind aber meistens nicht die Kurse, die ich gerne gehabt hätte.“
Meine Erfahrungen sind auch nicht anders. Naht der Semesterbeginn, so naht die Kursbelegung, der Alptraum aller Germanistikstudierenden. Man hat seine Wunschliste aufgrund der angekündigten Kurse schön zusammengestellt und für einen guten Internetzugang gesorgt. Wer zu Hause nicht die Möglichkeit hat, schleicht sich bei Freunden zu später Stunde ein, oder steht schon lange vor Mitternacht vor einem Internetcafé Schlange.
Phase 1.: Kampfbereit, voller Hoffnungen setzt man sich vor die Maschinen. Endlich kommt der Augenblick, zu welchem sich das System öffnen sollte. Im Idealfall ist das der Fall, und dann geht der nervenaufreibende Wettbewerb der Kursbelegung und die Hölle los. Schnelle Reaktionszeit, ein Internetanschluss mit großer Bandbreite und jede Menge Glück sind dabei die entscheidenden Faktoren. Blitzschnell wird auf die Mäuse geschlagen, wie besessene Spielsüchtige versuchen wir das Bestmögliche aus dem ETR herauszuquetschen. Kapituliert schon nicht nach wenigen Minuten das mehrfach überforderte und verwünschte System, dann ist alles „ausgebucht”, kein Platz mehr frei. Oft taumeln dann die armen Gäste, nachdem sie ihre Internetrechnung – inklusive der koffeinhaltigen Stimulanten – beglichen hatten, mitten in der Nacht unverrichteter Dinge aus den Lokalen. Versagt aber das System, gibt es noch Hoffnung! Es kommt dann eine durchwachte Nacht, wie auch das letzte Mal. Mit Ringen unter den Augen, fängt man an, den Wachdienst untereinander zu organisieren, um sich zu alarmieren, wenn uns die Gnade des Zugangs zuteil wird. Zusammenbruch oder nicht, solange das System noch Lebenszeichen zeigt, klicken wir wie verrückte Raubkatzen auf den Mäusen herum, um alles kursartige einzuhamstern. Auch das, was wir nicht brauchen. Es bildet nämlich die Grundlage für den Tauschhandel. Nun haben einige reiche Vorräte gesammelt, manchmal das dreifache, doch viele sind zu kurz gekommen.
Phase 2.: In dieser Phase geht der „Tauschhandel” los. Die Luft vibriert vor lauter Telefonaten. Ein wahres SMS- und Email-Wirrwarr entsteht. Wer kann dieses gegen jenes eintauschen. „Ich habe das und das am Lager. Möchte dies und das dafür! Gut, abgemacht. Ich hab’ das, aber weiß nicht, ob ich’s behalte.”
Bisher war es aber nicht so tragisch, wenn etwas voll belegt war. Es hieß ein bisschen Schlangestehen vor dem Studienreferat (TO), dann betteln beim Lehrer um eine Unterschrift, und die Sache war erledigt. Bisher. Diesmal die gleiche Tortur, doch dann stieß man bei den Lehrern auf ein kategorisches Nein!
Phase 3.: Nur Mut! Es ist nicht alles verloren! Es heißt Geduld haben, vor dem PC wachen und abwarten! Am Ende der Kursbelegungszeit, wenn die ersten Sitzungen vorbei sind, werden die „Reserven”, die nicht mehr zu verwerten sind, „ausgeplündert”. Dann ist noch mit ein paar fetten Knochen zu rechnen!
Ich persönlich war froh, dass die Kursbelegungszeit – entgegen der früheren Gewohnheit - diesmal ab acht Uhr begann, weil man sich nicht bis spät in die Nacht hinein mit den gewöhnlichen Praktiken abmühen musste. Meine Freude erwies sich aber als verfrüht. Die Uhr schlug acht, doch das ETR schien noch nicht aus seinem Nachtschlaf aufgewacht zu sein. Ein Blick auf den Kalender, nein, ich hab das Datum nicht verpasst. Es heißt also ein bisschen warten. Stunden vergehen. Nichts. Immer wieder logge ich mich ein. Die Antwort lautet: „Es sind keine Kurse zu belegen.” Merkwürdig. Die für den technischen Hintergrund Zuständigen im TO sind nicht zu erreichen. Keine Fehleranzeige, keine Information darüber, wie lange wir blöd da sitzen müssen.
Gegen halb elf war es dann soweit! Der bereits geschilderte Wettbewerb, aber dieser währte nicht lange. Nach ein paar Minuten: Zusammenbruch. Die Hälfte meiner Kurse hatte ich. Tage und Nächte vergehen. Studenten anderer Fakultäten haben ihre Kursbelegungen schon längst vergessen! Mit verkrampften Muskeln und Augenschmerzen lege ich mich nach der durchwachten Nacht ins Bett. Ich musste aber jede Minute mit einem Anruf vom „Wachdienst” rechnen, um nichts zu verpassen. Vor meinen Augen flimmern Kurse und endlose Daten. Auch solche, die aus unverständlichen Gründen mit in der Liste sind und die Übersicht stören. Noch im Halbschlaf kreisen mir Gedanken im Kopf herum, wie man diese Zustände verbessern könnte. Etwa vorher die Ansprüche seitens der Studenten in Hinsicht auf die Teilnehmerzahl pro Kurs ermitteln? Und erst danach die Kurse zusammenstellen und genügend Plätze sichern. Das ist aber bestimmt nicht so einfach. Ich mache mir auch weiter keine Gedanken. Wir sind ja sowieso die letzten Mohikaner der vierjährigen Ausbildung.
Ich konnte ruhig durchschlafen. Kein Anruf riss mich aus dem Bett. Auch am nächsten Tag nicht. Am dritten Tag aber hat sich das System erholt und wir hatten dann endlich die Ehre! – Bilanz: Von den ersten 60 Stunden der Kursbelegungsperiode 5-6 Minuten Zugang! Ich versuche mir Folgendes vorzustellen: Hätte es damals in der Vor-ETR-Zeit passieren dürfen, dass die Angestellten im Studienreferat anstatt um acht Uhr, erst um halb elf die Türen für die Warteschlangen aufmachen, um dann für wenige Minuten dem Angriff der Studierenden standzuhalten, um dann zusammenzubrechen und die Tür den Wartenden wieder vor der Nase zuzuschlagen? Ein Zettelchen ausgehängt: Keine Kurse zu belegen. Dann hätten sie tagelang Urlaub genommen, ohne etwas von sich hören zu lassen? Am dritten Tage wären sie, als wäre nichts passiert und ohne ihr Fernbleiben zu rechtfertigen, geschweige denn sich zu entschuldigen, einfach reingeplatzt, um ihren Dienst wieder aufzunehmen? Es mag witzig klingen, aber ist es im Endeffekt nicht dasselbe? Man ist einfach den Launen der Technik ausgeliefert. Verschlafen erscheint man in den ersten Sitzungen. Es herrscht ein paar Wochen lang Unsicherheit, da wir unseren Lehrplan zunächst nur in vagen Umrissen haben. Dann versucht man langsam, den Alptraum zu vergessen. Bis das neue Semester kommt. Dann fängt alles wieder von vorne an.