|
Zeitung << 2/2007 << Leseerinnerungen und Lustmacher
Leseerinnerungen und Lustmacher
Arno Geiger: Es geht uns gut
Autorin: Viktória Kóger
Im Sommersemester 2005 bot das Seminar von Attila Bombitz eine sehr gute Möglichkeit, uns sprachlich und schriftlich zu entwickeln, unsere perspektivische Sichtweise auf allen literarischen Ebenen zu erweitern. Das musste man unbedingt ausnutzen. Das Ziel des Seminars war außerdem, die StudentenInnen daran zu gewöhnen, deutschsprachige Originale zu lesen. Die Lexik und Stilistik des Romans wurde im Seminar untersucht und die Handlung sowie unsere Eindrücke wurden besprochen.
”Die Menschen treiben aneinander vorbei, einer sieht nicht die Schmerzen des anderen”
Arno Geiger ist in Wolfurt in Vorarlberg aufgewachsen, studierte Deutsche Philologie, Alte Geschichte und Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und Innsbruck. Mit seinem Roman” Es geht uns gut” hatte er einen Volltreffer. Es wurde ein Bestseller in Deutschland und als ein Österreicher war er der Hauptgastgewinner bei dem „Deutscher-Buchpreis 2005”. Sein erster Roman war „Kleine Schule des Karussellfahrens”. Das Buch „Es geht uns gut” ist das vierte in der Reihe.
Es ist ein Familienroman, in dem man über verschiedene Generationen und ihre Probleme liest, was nach einer Art Moder riecht. Der Moder ist (hier positiv gemeint) ein unerlässliches Requisit der alten, geheimnisvollen Möbel und Erinnerungen. Wenn man nach einem guten Rezept fragt, wie man einen richtig lesbaren Familienroman schreiben soll, hat Geiger folgende Zutaten gewählt: erstens eine Familie, die sich über wenigsten drei, besser aber über vier Generationen erstreckt. Viele Geheimnisse und unbeantwortete Fragen sind auch nötig. Am besten ist es, wenn die Urgroßeltern fragen und die Urenkelkinder antworten. Es soll bloß eine Frage (nicht zwei oder drei) gestellt werden, sonst wird der Leser die Spur verlieren. Zweitens würzen wir diese ganze Mischung mit Hilfe der Sprache. Wir brauchen noch die Persönlichkeit des Schriftstellers, dessen Humor, Ironie, Empathie, Phantasie und großartigen Stil.
Die Geschichte der Familie wurde interessant geschrieben; es ist eine Zeitmaschine mit vielen, die unterwegs aussteigen. Es gibt Gegenwartskapitel und mehrere Kapitel aus früheren Jahrzehnten, es gibt eine Handlungsebene und eine Erzählebene. Das Buch umarmt fast siebzig Jahre. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Zeitebenen wird erst nach einigen Seiten klar. Die „in medias res” Anleitung soll den Leser nicht stören: Die Geschichte ist schön rund, eckig rund. Philipp Erlach, der junge Nichtstuer, erbt eine Villa, die voll von Erinnerungen und alten Möbel seiner Großeltern ist. Er fängt mit Hilfe zweier ukrainischer Schwarzarbeiter an, sich von der Vergangenheit, vom Taubendreck zu befreien. Die österreichische Geschichte können wir auch näher einbeziehen, weil sie als Hintermotiv in der ganzen Handlung anwesend ist.
Die Darsteller sind gut charakterisiert und erkennbar. Hier findet man sowohl einen stolzen Minister als auch eine weise Großmutter, deren „Schürze als Hausfrau viel bedeckt”, später aber, weit (weg) von ihrem Mann, wie die pure Muttererde erscheint. Die Geduld und die Kraft verehre ich immer bei einer Frau. Alma, die Großmutter ist meine Lieblingsfigur im Roman. Nomen est omen: ihr Name bedeutet „Seele”. Ihr Charakter strahlt, trotz der vielen Stürme in ihrem Privatleben, von einer unendlichen Ruhe. Die Hauptfigur Philipp Erlach ist sehr komisch und traurig zugleich. Man könnte aber seinen Charakter eher peinlich nennen. Sein Leben ist voll von Schwäche und krankhafter Selbstironie. Mir hat sehr gefallen, dass das Bild der Familie von mehreren Perspektiven dargestellt wurde. Arno Geiger spielt schön an seinem „Instrument”. Seine gefährlichsten Solos sind: jede menge Sprachspiele und Ironie. Auch der Titel „Es geht uns gut” sagt, dass es uns überhaupt nicht gut geht. Am Ende können wir alle aufatmen, weil die Generationsanalyse doch einen Sinn hatte: das Peinlichste ist doch das Glücklichste.
Das Seminar hat mir so gut gefallen, dass ich es auch für das nächste Semester belegt hatte. Als mein erstes deutsches Bucherlebnis war dieses Buch für mich unvergesslich. Wir sollten doch nicht vergessen: Das Erste soll das Beste sein!
|
|