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Zeitung << 2/2007 << Interview mit Robert Lessmeister


Es ist nie zu spät!
Interview mit Robert Lessmeister, dem vielseitigen Germanistikstudenten

Autorin: Anita Ráczné Romsics

Ein etwas verschlossener Sonderling, man würde schätzen: ein Mittdreißiger. Mal vertieft er sich in altfranzösische Texte, mal bastelt er an seinem uralten Auto herum, oder er lernt eben mal Litauisch. Komischer Außenseiter, der oft vor sich grübelnd in den Seminaren sitzt, um aber ein anderes Mal der absolute Mittelpunkt zu sein. Ich wollte ihn schon öfters interviewen, aber er wich immer aus. Dann erklärte er sich doch bereit, als ich ihn am 23. Oktober 2007, dem ungarischen Nationalfeiertag zu Hause aufsuchte.

Robert, ich weiß, dass du heute noch einen anderen Grund zum Feiern hast.
Ich wüsste nicht, ob ich einen besonderen Grund zum Feiern hätte. Ich bin übrigens heute vierzig geworden, wenn du das meinst.

Na eben! Glückwünsche! Man merkt es dir gar nicht an.
Hätte ich mein Festkleid anziehen sollen?

Nein, dein Alter, meine ich.
Ach so, ja, für mich ist ja irgendwie die Zeit bei 30 stehengeblieben.

Wie kam dir der Gedanke in diesem etwas reiferen Alter mit diesem Studium zu beginnen?
Es hat sich einfach so ergeben. Schon viel, viel früher hatte ich das Bedürfnis, etwas zu studieren, aber es kam immer etwas dazwischen. Als gebürtiger Budapester zog ich vor vier Jahren nach Szeged zu meinen alten Verwandten, um sie zu betreuen. Mein Onkel, Zsigmond Szalay war Opernsänger, seine Frau, Györgyi Décsy, eine berühmte Schauspielerin im Szegeder Theater. Vorher war ich noch nie Szeged gewesen. Ich dachte mir, ich würde so nebenbei mal ein Studium machen. Die Pflege erwies sich aber als zu schwierig und so bin ich beim Studium geblieben, was ich nicht bereut habe.

Du kannst außer dem Deutschen noch eine Menge Sprachen. Wie viele sind das eigentlich?
Nur nicht übertreiben! Ich bin sehr kritisch in dieser Hinsicht und würde am liebsten sagen: Eine, das Ungarische, und auch das unter Vorbehalt. Es ist nicht einfach, mit einer konkreten Zahl zu antworten, weil es schwer ist, die Grenzen zu ziehen. Ich kann mich zum Beispiel, wenn es sein muss, auf Slowakisch verständigen, würde es aber auf keinen Fall zu den beherrschten Sprachen zählen.

Na, aber mal ganz ehrlich!
Gut, also, Deutsch, Englisch, Französisch, Schwedisch kann ich sozusagen fließend. Mein Polnisch, Russisch, Italienisch und Rumänisch ist eher passiv, und beschränkt sich mehr auf das Lesen.

Wahnsinn! Wie hast du das geschafft?
Auf jeden Fall nicht mit den herkömmlichen schulischen Methoden, d.h. durch endloses Büffeln von Wörtern, und langweiligen Aufgaben. Jede meiner Lebensperioden ist praktisch mit einer Sprache verbunden.

Gibt es so etwas wie sprachliche Begabung?
Wenn, dann hat sie meine Mutter bestimmt. Mit 45 Jahren in vier Monaten fließend das Deutsch zu erlernen, ist keine alltägliche Leistung. Aber ich glaube eher, dass das mit dem Zusammenspiel von glücklichen Faktoren zu tun hat.

Du hattest aber das Glück, vier Jahre in Deutschland leben zu können.
Gewiss, es hat meine Sprachkenntnisse auch bedeutend gefördert. Im Polnischen und im Rumänischen, meine ich. Ich war nämlich fast die ganze Zeit mit Ausländern in Kontakt, relativ isoliert von Deutschen. Dabei will ich nicht sagen, dass dieser vierjährige Aufenthalt gar keine Spuren bei meinen Deutschkenntnissen hinterlassen hätte, doch bei weitem nicht in dem Maße, wie man es erwarten würde. Ich konnte schon vorher gut Deutsch, und viel entscheidender war das permanente Lesen, dem ich nach meiner Heimkehr nachging.

Nach deinem Namen zu urteilen bist du wohl deutschstämmig?
Ich bin tatsächlich väterlicherseits deutscher Abstammung, doch mit meinem Deutsch hat das überhaupt nichts zu tun. Mein Vater wuchs in den fünfziger Jahren auf; da war Deutsch praktisch verboten, und so wurde das nicht an ihn weitergegeben. Er hat das viel später, im Erwachsenenalter gelernt. Ich bin auch in einem völlig einsprachigen Milieu aufgewachsen, und lernte das Deutsche mit vierzehn Jahren, völlig autodidaktisch, und es war nach Russisch und Englisch die dritte Fremdsprache.

Du hast Deutsch nie in der Schule gelernt?
Nein, niemals. Ich halte nicht viel von den Methoden. Wenn’s nach mir ginge, würde ich das ganze System vom Grund auf reformieren.

Darüber vielleicht ein anderes Mal. Kannst Du uns aber eine gut bewährte Methode verraten? Kommt es auf das Lehrmaterial oder den Lehrer an?
Lernmethode Nummer eins: Totale Hingabe! Du sollst deine Aufgabe gar nicht als Pflicht auffassen. Bei mir ist das schon fast wie eine Sucht und es ist ein Fehler von mir. So lernt man unbemerkt und spielend. Ich habe mit der aktuellen Sprache oder der Lektüre immer ein intimes Verhältnis. Das teuerste Lehrmaterial nützt nichts, wenn die innere Motivation fehlt. Am Lehrer kann viel liegen, wenn er dein Interesse weckt und dich ermuntert. Lernen wirst du aber immer von selbst. Wenn du dich daran machst, eine neue Sprache zu erlernen, dann eignet sich das im Keller seit Jahrzehnten herumliegende, verstaubte Lehrbuch der Oma genauso gut.

Das ist wohl nicht dein Ernst! Mit so veraltetem Zeug?!
Ich versuche es, anders zu formulieren. Sind für das Kleinkind, das seine Muttersprache lernt, in den ersten Jahren die Wörter wie ’trendy, klicken, umweltbewusst’ usw. wesentlich? Das Fremdsprachenlernen sollte dem Prozess der Aneignung der Muttersprache ähneln. Dann als Fortsetzung kannst du die albernsten Kitschromane, Frauenblätter und zur Hilfe Wörterbücher nehmen. Oder Märchen. Durch deren aufmerksames Lesen eignet man sich die grundlegendsten Redewendungen an. Sie sind persönlich, man lebt sich hinein, schafft sich dadurch ein inneres Sprachmilieu, identifiziert sich mit der Hauptperson. Ich kann mir schwer vorstellen, dass das mit den üblichen Lernthemen, wie Urlaub, Reisebüro, Kochen, Essen oder das deutsche Bierfest machbar ist.

Sind das denn keine alltäglichen Themen?
Die Themen schon, aber der Inhalt ist trocken, unpersönlich. Wenn wir bei der Gastronomie sind, (übrigens mein Erstberuf), dann doch lieber erst Sätze lernen wie z.B. ’Hol’ mal schnell ’nen Lappen, ich habe den Kaffee verschüttet! oder ’Die Soße ist angebrannt, ich muss wieder den Kochtopf auskratzen!’, oder ’Ich krieg’ die Flasche nicht auf’, anstatt sich mit dem deutschen Bierfest oder der Nationalmannschaft auseinanderzusetzen. Ich habe Schüler erlebt, die vor ihrem Abitur den Unterschied zwischen den Präpositionen ’von’ und ’mit’ nicht kannten, aber auswendig einen Text über die deutschen Volkssitten, u.ä. lernen mussten. Das ist ein Sprachunterricht!

Fernsehsendungen?
Sehr nützlich, das Hörverstehen wird gefördert, doch das reicht alleine nicht aus, denn wegen des schnellen Tempos können dabei wertvolle Sachen „verloren gehen”, die man beim Lesen festhalten kann. Darum hat Letzteres immer den Vorrang! Und noch was: Profitiere aus jeder Gelegenheit, zu lernen und zu üben!

Robert, ich dachte zuerst, ich sei hier in einen Antiquitätenladen gelandet. Hast du diese Sachen von deiner Uroma geerbt?
Nein. Ich habe eine extreme Nostalgie nach dem bürgerlichen Leben der Vorkriegszeit. Um uns herum ist heutzutage alles so hektisch und übermodernisiert, so dass ich diesen Ausgleich brauche.

Eine deiner Marotten. Was für welche hast du noch?
Tiere, Natur, Pflanzen, Gesteine, Lesen, Linguistik, Seelenkunde, Religion, Esoterik und vieles mehr.

Wie fühlst du dich in Szeged? Willst du auf die Dauer hier bleiben?
Schöne Stadt, ich habe sie schon lieb gewonnen. Doch die Budaer Berge vermisse ich sehr. Das ist mein Element. Ob ich hier bleibe, hängt wohl mit den Berufsaussichten zusammen. Heute ist alles unsicher und ich weiß nicht mal genau, was ich werden möchte, wenn ich mal „groß” bin. Jedenfalls denke ich, man sollte auf mehreren Standbeinen stehen und in keinem Alter mit dem Lernen aufhören. Oder eben anfangen. Es ist nie zu spät!