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Zeitung << 2/2007 << Gespräch mit Katalin Kis-Rabota


Studium in Szeged, Arbeit in Deutschland
Gespräch mit der Deutschlehrerin und Schauspielerin Katalin Kis-Rabota

Autorin: Anna Ferenczi

Katalin Kis-Rabota hat 1999 an der damaligen Pädagogischen Hochschule Juhász Gyula in Szeged ihr Studium als DaF-Lehrerin und drei Jahre später ihr Studium an der József-Attila-Universität in Szeged als Germanistin absolviert. Jetzt lehrt sie Deutsch als Fremdsprache an der Kölner Sprachschule Tandem. Der Weg bis hierhin war aber gar nicht so einfach: eine leidenschaftliche Liebe, ein schwerer Unfall, Kampf um einen Traum und sehr viel Arbeit.

Nachdem Du dein Diplom als Deutschlehrerin bekommen hattest, bewarbst Du dich um einen Studienplatz am Institut für Germanistik der Universität Szeged, um das zweite Diplom zu erwerben. Wolltest Du nicht lieber gleich mit dem Unterrichten anfangen? Soviel ich weiß, hast Du schon als Kind einen anderen großen Traum gehegt…
Ja, das stimmt. Als Kind und Jugendliche wünschte ich mir sehr, mein Brot auf der Bühne zu verdienen. Und diesen Traum konnte ich nicht einfach in eine Schublade stecken und mit dem Aufkleber „irreale Träume” versehen, sonst wäre ich unglücklich geworden, wenn ich es niemals versucht hätte, diesem Wunsch nachzugehen und mich selbst auszuprobieren, auch wenn sich mein Leben mit der Zeit doch ein bisschen anders entwickelt hat.
Das Theater war für mich immer schon „heilig”. Mit meiner besten Schulfreundin habe ich jeden Sommer sozusagen „Filme gedreht”: Wir konstruierten uns eine aristotelische Zeit-Raum-Handlung Struktur, was uns damals natürlich noch nicht bewusst war, und wir haben diese Geschichten gespielt. Manchmal ganze Serien bis zum Geht-Nicht-Mehr, des Öfteren mit Heulen am Ende.
Außerdem war ich als Schülerin sehr oft im Theater gewesen, wo ich mich selbst dabei ertappt habe, wie ich die SchauspielerInnen und ihre Techniken mit weit geöffneten Augen beobachtete. Alles versuchte ich wie ein Schwamm aufzusaugen: Körperhaltungen, Bewegungen, Sprechmodi, Tricks, Atmosphäre, Gesten, Gerüche. Es waren sehr schöne, lustige und erbauliche Zeiten für mich.
Aber ich hatte nicht nur diesen einen einzigen großen Traum: ich wollte zum Beispiel als Kleinkind auch noch nach Afrika, um den Leuten in Elend Kartoffelbrei und Frikadellen zu verteilen. Und ich wollte auch Lehrerin werden, um als solche interessante Dinge weitergeben zu dürfen. Diese drei Träume versuche ich jetzt in meinem Leben ineinander integriert zu erleben; das Charitative, das Exzentrisch-Durchgedrehte und die „Frau Lehrerin” sind alle wichtige Bestandteile meines Ichs, auch wenn ich mir und meiner Umgebung ab und an mal etwas schizophren vorkomme.

Auf Einladung einer deutschen Theatergruppe bist Du nach Deutschland gegangen. Hattest Du denn vor, mehrere Jahre im Ausland zu verbringen?
Nein, ganz und gar nicht! Höchstens ein Jahr und dann schnell zurück. Es ist eigentlich alles dem lieben Gott zuzuschreiben, dass ich immer noch hier bin. 2001 habe ich im Gymnasium Szilády Áron in meiner Heimatstadt Kiskunhalas als Deutschlehrerin gearbeitet und gleichzeitig an der Uni studiert. Im April bin ich irgendwann mal zu meinem Diplomarbeitbetreuer Robert Steinle nach Szeged gefahren und wollte mit ihm meine Arbeit diskutieren. Am gleichen Tag bin ich auf Poster und Aushänge vom deutschen Theaterensemble ”Die Kulturtechniker” aufmerksam geworden, das im Rahmen eines Böll-Seminars mit den Studenten ein Stück erarbeiten sollte.
Ich dachte, es ist ein Zeichen für eine – vielleicht letzte – Möglichkeit, Theater zu machen, und ich fragte dann den Theaterleiter Ralf Werner tatsächlich noch am gleichen Tag, ob er noch einen freien Stuhl für mich im Seminar hätte. Außerdem liegt es mir seit meiner Kindheit am Herzen, an meinem Deutsch zu arbeiten, wenn ich ohnehin schon seit dem Alter von zwei Jahren Kontakt mit dieser Sprache habe.
Wir haben eine Woche am Stück „Gruppenbild mit Dame” von Böll gearbeitet und es mit einem schönen Erfolg aufgeführt. Zwei Tage nach der Premiere besuchte mich Ralf in Kiskunhalas und lud mich in seine neue Produktion „Bildbeschreibung” von Heiner Müller ein.
Die Entscheidung war natürlich nicht einfach, es hieß ja, mich erstmal von der Familie und meiner Arbeit und vor allem von Ungarn zu trennen. Ich bin am 23. August 2001 mit einem Wahnsinnsgepäck für ein ganzes Jahr schließlich doch nach Deutschland gereist, aber schon mit dem festen Entschluss, dass mein Aufenthalt nicht länger als ein Jahr dauert, und dass ich keinen Deutschen heiraten werde.

Du brauchtest großen Mut, deinem Traum zuliebe deine sichere Arbeitsstelle zu kündigen. Wie konntest Du dich an die dortigen Umstände gewöhnen? Hast Du gleich neben dem Theater in Deinem Beruf weiterarbeiten können?
Nein, natürlich nicht. Nach unserem einmonatigen Engagement am Leipziger Theater wollte ich eigentlich zu meiner Kusine nach Berlin weiter, um mein Glück in der Hauptstadt zu versuchen. Doch dann kam die Liebe und zwar zum Musikerkollegen Raul Sengupta aus dem Ensemble, der wiederum in Köln wohnte. Das Herz übernahm die Entscheidung und so gelangte ich in die liberale Domstadt.
Unser Leben war alles andere als einfach, zumal wir vier Jahre lang auf 20 qm lebten, anfangs beide sehr krank waren und kaum Geld hatten. Mit zwei Diplomen habe ich das Klo anderer geputzt, auf Kinder aufgepasst und noch weitere „herausfordernde” Studentenjobs gemacht. Doch es war eine wunderbar intensive und tiefe Liebe mit ihren Höhen und Tiefen: wir haben uns menschlich und beruflich Kopf an Kopf sehr rasch weiterentwickelt, und die Beziehung würde vielleicht immer noch bestehen, wenn ich mich damit hätte abfinden können, dass er ständig auf Konzerttouren in der ganzen Welt unterwegs ist.

Neben der vielen Arbeit hast Du 2002 mit dem Studium an der Universität zu Köln angefangen, aber zwei Jahre später ist etwas Schreckliches passiert.
Ich wollte auf jeden Fall auch in Deutschland studieren – man lernt ja nie aus – und außerdem wollte ich eigene Freunde haben und mich nicht nur als Rauls Freundin determinieren lassen. Nachdem ich meine DSH-Prüfung abgelegt hatte, schaffte ich in den Fächern Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Italienisch und Kunstgeschichte die Aufnahme. In diesem und in den folgenden Jahren tourte ich mit den Kulturtechnikern weiter durch Ungarn und Deutschland, währenddessen ich zu meinem Entschluss kam, endlich mal an einer Schauspielschule vorzusprechen. Im November 2003 fing ich auch schon mit den Vorbereitungen an, d.h. mit der Suche nach den Vorsprechtexten. Und paar Monate später kam der Wendepunkt in meinem Leben.
Im Januar 2004, zwei Tage nach meiner Rückkehr aus Ungarn, erlitt ich einen schweren Unfall: ich war noch ziemlich geschafft von der langen Reise, aber auch schon richtig übermüdet von der Arbeit und vom Studium, als ich am 8. Januar abends bei Rot über eine verkehrsdichte zweispurige Straße laufen wollte. Ich hatte da einen ziemlich doofen Blackout. Ein Taxi hat mich angefahren, ich schleuderte auf die Motorhaube, fiel aber auch gleich auf die Straße. Mein Kopf blutete, mein ganzer Körper nahm eine komisch ausgedehnte Form auf; die Leute um mich herum wussten erstmal Minuten lang nicht, ob ich noch am Leben bin. Ich kriege auch heute noch Gänsehaut, wenn ich mir die detaillierten Erzählungen meiner beiden Freundinnen, mit denen ich unterwegs war, in Erinnerung rufe. Es war ein halbes Wunder, dass ich es überlebt hatte, sagten die Ärzte. Ich konnte erstmal nichts riechen und schmecken, nach dem Lesen von drei Zeilen hatte ich keinen blauen Schimmer mehr vom Inhalt. Ich hatte einen echten Schiss bekommen, dass meine Jugend hier und jetzt enden würde.

Mit riesengroßer Seelenstärke bist Du wieder gesund geworden. Im Jahre 2004 wurdest Du an der Schule der „Schönen Künste” aufgenommen. Woher hattest Du so große Kraft?
Sechs Monate lang lief ich mit Krücken, da mein linkes Bein an zwei Stellen gebrochen war. Doch durch enorm viel Training (ich habe laut Bücher gelesen, drei Wochen nach dem Unfall schon meine Texte gelernt, ab April als Regieassistentin gearbeitet) kam Gott sei Dank alles wieder. Sechs Monate später, also Ende Juni 2004, wurde ich an einer der besten Schauspielschulen Deutschlands (Schule des theater der keller) als einzige Ausländerin um 1 Jahr über der Altersgrenze (damals war ich 26) aufgenommen.
Vom lieben Gott, meiner Familie und Umgebung habe ich endlos viel Hilfe erhalten, wofür ich mich mein Leben lang bedanken muss. Es ist interessant, aber ein paar Monate nach dem Unfall habe ich gemerkt, dass ich mich noch viel besser konzentrieren konnte und wollte als vor dem Unfall und zu Leistungen fähig bin, von denen ich bislang keine Ahnung hatte. Da der Schock und die Angst, alles verloren zu haben, ziemlich beängstigend auf mich wirkten, habe ich tierisch viel gekämpft, um das alles zu verhindern. Jeder hat seine eigene persönliche Geschichte. Ich habe einen Denkzettel verpasst bekommen, dass ich ab jetzt bewusster leben muss und meine Energie, von der ich nach all den Ereignissen noch viel mehr zu haben meinte als zuvor, nicht vergeuden darf, sondern vernünftig verwenden muss.
Doch das Schauspielstudium konnte ich nicht länger als ein Jahr genießen, da ich, um meinen Unterhalt bzw. die ganztägige Schule finanzieren zu können, sieben Jobs hatte, die mich ziemlich erschöpften, so dass ich beinahe wieder einen Unfall erlitt. Diesmal wurde ich fast mit der überwältigenden Kraft einer Straßenbahn konfrontiert. Die Ausbildung habe ich dann beim hervorragenden Schauspieler-Regisseur-Coach russischer Abstammung Wladimir Matuchin in Düsseldorf fortgesetzt, dem ich sehr viel zu danken habe. Neben den Schauspielstunden nahm ich auch noch Sprechunterricht in Köln, damit meine Aussprache akzentfreier und bühnentauglicher wird.

Jetzt lehrst Du in einer Sprachschule in Köln. Wenn ich mich nicht irre, bist Du die einzige nichtmuttersprachliche Lehrerin dort. Was sagen Deine Kollegen dazu? Was für eine Chance hattest/hast Du ihnen gegenüber?
Ich habe mich auch schon in den ersten Jahren bei Kölner Sprachschulen beworben, aber da ich erstmal noch kein Visum hatte bzw. keine Deutsche bin, habe ich bis auf eine Schule von keiner anderen eine Zusage erteilt bekommen.
2004, als ich schon an der Schauspielschule war, habe ich die Ausschreibung der Sprachschule Tandem gelesen, die der internationalen Tandem–Kette angehört und zu der Zeit in Köln ins Leben gerufen wurde. Wie meine Kollegen wurde auch ich „gecastet” und kurz darauf aufgenommen. Seit drei Jahren unterrichte ich hier, und es macht mir sehr viel Spaß, was vor allem an der familiär-freundlichen Atmosphäre liegt.
Ich hatte erstmal ein sprachphilosophisch-methodisches Problem; ich fragte mich des Öfteren, ob es recht ist, dass die Schüler von einer Nichtmuttersprachlerin unterrichtet werden. Doch ich glaube, und das wurde vielmals bestätigt, dass ich vielen deutschsprachigen Kollegen gegenüber den Vorteil aufweise, einen Überblick aus einer bisschen anderen Perspektive, nämlich aus der der Deutschlernenden zu haben und die einzelnen Grammatikphänomene mit Hilfe dessen erklären zu können. Viele Kollegen bzw. Lernende wussten erstmal nicht, dass ich keine Muttersprachlerin bin, was ich ihnen natürlich nicht abnahm, mir aber recht schmeichelte.