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Zeitung << 2/2007 << Eine Ungarin in Bayern


Eine Ungarin in Bayern
Reiseproviant für Anfänger

Autorin: Viktória Kóger

Eines war in meinem Leben immer sicher: Ich machte mir keine Sorgen um meine Zukunft. Ich blieb sowohl mit zehn als auch mit dreißig entspannt, als man mich fragte: „Was willst Du später machen?”. Die Antwort hörte sich ganz einfach, zu einfach, an: „Ich möchte nach Deutschland fahren und Erfahrungen sammeln und mit diesen in meiner Tasche, möchte ich etwas tun, wofür ich mich wirklich interessiere”. Mein Lebensmotto ist bis heute dasselbe. Das Leben ist eine lange Reise – mal hart, mal traurig, einsam oder verliebt – und man muss diesen Weg von A bis Z, von unserer Geburt bis zum Tod, mit Inhalt füllen und durch unsere innere Entwicklung reicher machen.

Mein kleines Abenteuer mit mir selbst und mit der Bürokratie fing schon in Ungarn an. Ich hatte einen Artikel in der Tageszeitung gelesen, eine Statistik über ungarische Arbeitsnehmer in Deutschland. Der Bericht wollte allgemein Mut machen und die Augen öffnen, dass wir alle die Möglichkeit haben, andere Kulturen kennen zu lernen, in fremde Länder zu reisen, dort zu arbeiten, dort mit anderen Problemen konfrontiert zu werden als hier in Ungarn. Wenn die perfekte Möglichkeit an meine Tür klopft, dann lasse ich sie unbedingt herein. Hier tritt in erster Linie der schon früher erwähnte Selbstkampf ins Bild und wenn man ihn gewonnen hat, dann kommen die unendlich langen, bürokratischen Prozeduren. Wir befinden uns noch zur Zeit der deutschen Mark. Heute ist die Lage schon viel einfacher und flexibler. Ich musste mich damals beim Arbeitsamt anmelden, an der Abteilung für Arbeitnehmer in Deutschland und Österreich. Ich musste dann eine kleine Prüfung ablegen, um meine Deutschkenntnisse zu beweisen. Als alles erledigt war, musste ich auf einen Anruf aus Deutschland warten, der mich total fertig gemacht hat. Nach einigen Monaten kam dann der erste aus Frankfurt. Frankfurt? So weit? Allein? Bevor man das erste Mal Arbeit sucht, sollte man in der Realität bleiben und nützliche Infos sammeln. Ohrfeigen kann man überall bekommen, aber gleich nach Hause zu fahren von so entfernten Teilen der Welt, das ist ein bisschen schwer. Die Frankfurter Arbeit habe ich abgesagt. Mein innerer Engel wollte diese Arbeit nicht.
Der zweite Anruf bot schon wesentlich bessere Chancen und passte auch zu meinen Vorstellungen. Arbeiten in Bayern, zwischen den Bergen, das klingt aber romantisch! Das Geld? Oh, ja! Das Jahresgehalt meiner Mutter und alles in drei Monaten? Oh, ja! Natürlich wollte ich es! Ich habe sofort Herrn Enthart, meinen zukünftigen Chef in Steingaden, angerufen und die Arbeit als Bedienung angenommen. Eine geregelte Arbeitszeit, ein Ruhetag und Vollverpflegung standen im Vertrag und außer dem Vertrag stellte ich mir jede Menge Erfahrungen, eine ideale bayerische Hochzeit im Dirndl und große Berge vor. Aber wo ist dieses Steingaden eigentlich? Wie komme ich da hin? Und allein? Als meine Fantasie die Wirklichkeit traf, das war aufregend und erschreckend zugleich. Ich war jung, wollte immer nach Deutschland und im Mai 1999 bin ich endlich in Steingaden angekommen. Die ersten zwei Wochen habe ich meine Tage neben der Arbeit mit ständigen Weinen verbracht. Ich hatte Heimweh, fühlte mich so allein und fremd in dem großen bayerischen Gasthof in dem kleinen Dorf, Steingaden. Ich habe jeden Tag telefoniert und wollte, dass alle zu Hause endlich verstehen, in was für einer schweren und schrecklichen Lage ich mich fühle. Das wollten sie aber nicht! So blieb mir nur als einzige Lösung, die Ausdauer. Ich muss unbedingt hinzufügen, dass meine Arbeitgeber, Kollegen und Gäste die liebsten und nettesten Leute waren, die ich in meinem Leben bisher gekannt habe. Ich hatte ein Zimmer mit Dusche, konnte essen und trinken, was ich wollte.
Ich war wirklich im Paradies zwischen den Bergen, 25 km weit von Füssen entfernt. Ich habe auf Deutsch gesprochen, wir sind doch in Deutschland! Besser gesagt war ich ziemlich sicher, dass ich nach 14 Jahren Deutsch lernen, Deutsch sprechen und verstehen konnte. Die Frage, mit der ich täglich konfrontierte wurde’ I’ mog a halba Wo’za!’, stand leider nicht in meinem Wörterbuch. Und die Stammgäste, mit denen ich täglich konfrontiert wurde, zählten zu keinem Menschentypen, den ich bisher kannte. ’Grieß Eich, du Victoria, hokka ma’ hea! ’ Schon nach einem Tag bin ich ausgerastet und ich habe, ohne jemanden zu beleidigen, gefragt, ob hier jemand Hochdeutsch spricht. Sie waren nicht beleidigt, sie hatten Geduld und nur wegen mir hat der Martl – einer meiner späteren Lieblingsgäste, ein Achtzigjähriger – schön artikuliert wiederholt: ’ I’ mog a halba Wo’za! Natürlich hat meine Kollegin Heike sofort erste Hilfe geleistet und ein halbes Liter Weizen (Weißbier) gezapft und in meine Hände gedrückt. Ich hatte dann nur noch eine Aufgabe, schön zu lächeln. Diese viel geübte Choreografie funktionierte, bis ich angefangen habe, den bayerischen Dialekt zu verstehen. Es machte mir unendlich viel Spaß, diese schöne „Sprache” zu erlernen.
Die Männer in Lederhosen am Stammtisch sahen auf den ersten Blick wie die nördlichen Wikinger aus. Bloß, statt auf ihre Muskeln, waren sie auf ihren Bauch stolz. Der Max, der Franzl, der Michl, alle sehr lustige, höfliche Leute und wenn man als Frau Distanz zu ihnen hält, dann bleiben sie Kumpel für ewig. Später wurde es leichter, ich habe die Berge, die Natur, die wunderschöne Natürlichkeit und Einfachheit der Menschen des Dorfes entdeckt. Als ich am Ende Abschied nahm, war ich wie eine Tochter der Chefin und bin wie ein richtiges Mädl geworden. Meine Arbeit hat ihnen so gut gefallen, dass sie mich im nächsten Jahr zurück erwarteten. Bayern ist mir eine Herzenssache. Ich habe viele gute und tiefe, unbezahlbare Erfahrungen gemacht. Ich möchte jeden Menschen dazu ermutigen, der in diesem Moment zögert, ob er fahren soll oder nicht. Mein Ratschlag ist: Fahren! Erfahren! Ich habe sehr Vieles durchgemacht, aber Eines hat sich seit meiner Kindheit nicht verändert. Ich bin immer noch, was meine Zukunft betrifft, sehr ruhig. Ich studiere Germanistik und nach meinem Studium möchte ich in Deutschland leben. Die Liebe habe ich da auch gefunden: die Berge rufen mich und fehlen mir wahnsinnig.