|
Zeitung << 2/2007 << Der Wartburg
Der Wartburg
Erlebnisse eines Old-Timer-Fahrzeugsammlers
Autor: Robert Lessmeister
Die Eisenacher Automarke geht auf das Jahr 1898 zurück, da eine pferdewagenartige „Motorkutsche“ diesen Namen trug. In der Vorkriegszeit wurden hier allerdings Fahrzeuge unter dem Namen BMW hergestellt. Sieben Jahre nach der Trennung Deutschlands wurde die ostdeutsche Automarke Wartburg wiederbelebt, und sogar in den westlichen Ländern als hochmodernes Fahrzeug verkauft. 1967 kam der wohlbekannte Kasten-Wartburg heraus, der, neben dem Trabi, den „DDR-Volkswagen“ verkörperte. Der 34-jährigen Geschichte der Wartburg-Zeit bereitete die Wiedervereinigung Deutschlands ein Ende, wobei der Industriekomplex von den Opel-Werken aufgekauft wurde.
Der Titel könnte auch „die“ Wartburg lauten. Kaum jemand würde in Ungarn beim Hören dieses Namens an die Eisenacher Wartburg denken, von der die Automarke ihren Namen erhielt, und deren Türme seit über 800 Jahren stolz in den Himmel ragen. Für die meisten ist er ein Begriff von einer der einst meist gefahrenen östlichen Automarken und schon fängt man an, die Reihe fortzusetzen: Trabi, Lada, Skoda, Volga usw.
So tief ist übrigens der kastenförmige Autotyp (ung. ironisch: kockawartburg) in unserem Bewusstsein verankert, dass nur ganz wenige an seinen Vorgänger denken, der mit seinen schönen abgerundeten Formen das übliche Autodesign der 60er Jahre verkörperte, und damals ein Symbol des Wohlstands war, und in über zehn westliche Länder exportiert wurde.
Schon als kleines Kind haben mich die schönen Autos dieser Ära fasziniert, vor allem aber der alte Wartburg Typ 1000, der schon damals als altes Auto zählte und massenweise von den Kasten-Wartburgs und Ladas verdrängt wurde.
Resigniert winkte jeder mit der Hand, als ich meinen „Wenn-ich-mal-Erwachsen-werde-Wunsch“ von einem solchen Old-Timer Auto äußerte. Nach fast zwanzig Jahren, als mein kindliches Steckenpferd vergessen war, machten meine Eltern große Augen, als sie vor dem Haustor ein schönes Exemplar von einem Trailer herunterrollen sahen. Hätte ich vorher das „neue Familienmitglied“ angekündigt, wäre ihm der Eintritt wahrscheinlich untersagt worden. Nicht ohne Stirnrunzeln hörten alle in meiner Umgebung, dass aus dem „Schrott” mehr werden sollte, als ein im Vorgarten aufgestelltes Denkmal an die ehemalige DDR-Autoindustrie. Da ich so gut wie nichts von Autos verstand, war ich auf die Hilfe bekannter Automechaniker angewiesen, die nur skeptisch dastanden, und bedenklich an ihren Köpfen herumkratzten.
Nach einem Jahr anstrengender Arbeit kam endlich der Tag, an dem ich mit meinem Traumauto das Haustor passieren konnte und meine ersten Runden in der Gegend machte. Das Feeling lässt sich nicht beschreiben. Vom Anblick des weißen Armaturenbretts und der glänzend-verchromten Teile überall fühlt man sich in die 60er Jahre zurückversetzt. Berauscht von dem Bewusstsein, mit einem zum Leben erweckten Stück Vergangenheit durch die Gegend zu rasen, erntete ich die staunenden Blicke und Sätze älterer Ehepaare, wie: „Sieh mal, unser erstes Auto!“
Fährt mir ein seltenes „aus dem Museum entlaufenes Automobil“ entgegen, dann wird meistens heftig gehupt und gewinkt. Neulich machte ich Halt auf einer Autobahnraststätte. Ein feuerroter Wartburg von gleichem Typ bremst plötzlich neben mir, es dröhnt Rock-and-Roll-Musik heraus und ein Elvis-Fan in authentischer Kleidung springt zur Begrüßung heraus. Ein freudiges Zusammentreffen. Als Cadillac-Ersatz scheinen manche das Symbol der Elvis-Ära in dem Wartburg 1000 gefunden zu haben.
Seit neun Jahren ist der alte Wartburg mein zuverlässiger Begleiter und hat mich noch nie im Stich gelassen. 2005 brachte ich ihn nach Szeged. Im November des gleichen Jahres feierten wir seinen 40. Geburtstag. „Kriegt man noch Ersatzteile dazu?“ – „Willst du nicht verkaufen?“ – „Darf ich einmal mitfahren?“, höre ich oft die Leute fragen. Nein, ich will nicht verkaufen. Ich plane sogar, an seinem fünfzigsten Geburtstag am schönen Eisenacher Burggelände eine Spazierfahrt zu machen und an den ehemaligen Wartburg-Werken vorbeizufahren.
Meine Sehnsucht nach alten ostdeutschen Autos wurde aber noch nicht ganz befriedigt, und ich bekam heftiges Herzklopfen, als ich vor vier Jahren bei einem Autozerleger das glänzende Kühlgitter einer anderen Marke eines 1967er Jahrgangs erblickte, das dort sein trauriges, zum „Verschlachten“ verdammtes Dasein fristete. Nach einer halber Stunde wurde ich Retter und stolzer Besitzer eines Old-Timer Trabis, den ich mit eigenen Händen aus der Werkstatt hinaussteuerte. Seit der Anschaffung des „neuen“ Autos wurde ich von Freunden mit Recht als Old-Timer-Fahrzeugsammler bezeichnet. Diesen Ruf hatte ich eigentlich schon früher mit Anschleppen von alten Vorkriegszeit-Fahrrädern verdient. Ich bin Mitglied im Ungarischen Wartburg Fan Club, wo sich jedes Jahr die wenigen Wartburg-1000 Besitzer treffen.
Nur selten hole ich ihn aus der Garage. Von seinem puffenden, typisch zwei Takten Motorgeräusch begleitet rolle ich die Szentháromság Straße in Richtung Universität entlang. An der Kreuzung kommt ein ergrauter Opa mit Enkelkind auf mich zu, streift mit nostalgischen Blicken das Auto-Denkmal, und sagt mit gerührter Stimme: „Na, mein Junge, wir können uns den Besuch ins Automuseum sparen. Jetzt kann ich dir es nämlich zeigen: in so einem Auto habe ich die Omi verführt.“.
|
|