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Zeitung << 1/2007 << Interview mit Thomas Brussig


Werkstattgeheimnisse eines Autors
Interview mit Thomas Brussig

Autorin: Emília Bata

Thomas Brussig (42) hat in Szeged am 12. April 2007 im Rahmen einer Lesung (unterstützt von dem Goethe-Institut Budapest und dem DAAD-Lektorat Szeged) eine Diskussion mit der ungarischen Übersetzerin (Lídia Nádori) seines Buches Am kürzeren Ende der Sonnenallee geführt. Obwohl er es nicht gerne tut („Ich begann zu schreiben, weil ich sprechen nicht mochte.“), hat er uns mit einem Interview beehrt.

Das Thema Ihrer Werke ist das Leben in der ehemaligen DDR. Woher stammen Ihre Ideen? Sind das eigene Erlebnisse? Sind es Geschichten eines Freundes eines Freundes?
Sie sind sowohl erlebte als auch ausgedachte Geschichten, die ich verlängere.

Was schreiben Sie lieber: Romane, Drehbücher oder Theaterstücke?
An Romanen ist schön, dass ich alleine arbeite und alleine dafür verantwortlich bin. An Drehbüchern ist schön, dass ich mit anderen zusammen arbeiten kann. Es ist manchmal doch einsam, Romane zu schreiben; Drehbucharbeit ist eine Zusammenarbeit, es ist nicht so asozial. Die Romane sind mir wichtiger, also wenn ich mich entscheiden müsste – wenn ich eines nicht mehr dürfte – würde ich mich für Romane entscheiden.

Wie lange arbeiten Sie an einem Werk?
Es ist wirklich ganz unterschiedlich. Wie ich schon erwähnt habe (während der Lesung), habe ich Sonnenallee in dreimal drei Wochen geschrieben und an Wasserfarben, meinem Erstling, habe ich viereinhalb Jahre lang gearbeitet.

Wie konstruieren Sie ein Werk? Was sind die Phasen Ihrer Arbeit?
Die wesentlichste Arbeit ist, den richtigen Ton zu treffen. In dieser Phase schreibe ich tatsächlich mit Bleistift auf Papier. Wenn ich glaube, dass ich den Ton gefunden habe, dann mache ich am Computer weiter. (er denkt nach) Es ist einfach so, dass ich Buchstaben und Wörter auf Papier male, und dann versuche… es ist nicht der Anfang einer Geschichte, es ist eine Szene, die mir als wesentlich erscheint und zwar wesentlich für den Ton; eine Szene, in der der Roman so klingen könnte wie mein ganzer Roman klingt. Es kommt auch vor, dass ich denke: „aha, es könnte auch so klingen, oder doch anders, es gefällt mir so besser, es ist doch interessanter so zu machen, das und das zu verändern“, dann nach einer gewisser Zeit habe ich einen anderen Ton. Normalerweise dauert diese Phase mit Bleistift ein Jahr.

Wann arbeiten Sie? Haben Sie einen bestimmten Tagesplan?
Jetzt, seitdem ich von Schreiben leben kann, gibt es keine speziellen Zeiten mehr, zu denen ich arbeite; aber bei meinem ersten Roman konnte ich wesentlich besser nachts schreiben. Nachts gibt es dieses Gefühl… man setzt sich an den Schreibtisch und alles, was passiert, passiert am Schreibtisch. Ich war nachts immer etwas mutiger, etwas wagemutiger, ich formuliere riskanter, kritischer. Am nächsten Morgen konnte ich sehen, was in der Nacht passierte, sehen, ob es tatsächlich da steht.

Was ist Ihre Aufgabe bei der Verfilmung eines Drehbuchs oder der Theateraufführung eines Stückes?
Ich schreibe, ich bin nur der Drehbuchautor. Natürlich diskutiert man die Szenen, die Rollen, aber die anderen sind doch keine Idioten, sie verstehen ihre Arbeit, so ist mein Einfluss begrenzt. Filmen ist arbeitsteilig, es ist eine Zusammenarbeit. Ich darf sagen, wie ich mir die Rolle vorstelle, aber ich kenne nicht jeden Schauspieler. Es gibt immer Lösungen, mit denen ich nicht gerechnet hätte, die mir aber richtig gut gefallen.

Haben Sie Ihre eigenen Bücher nach dem Erscheinen nochmals durchgelesen?
Nein, nur das, was ich bei Lesungen lese. Aber es kommt manchmal vor, dass ich eines auf einer Seite aufschlage und sehe, wie es mir heute gefällt.

Sind Sie mit allen Ihrer Arbeiten zufrieden, oder würden Sie etwas umschreiben oder einfach wegwerfen?
Wegwerfen würde ich keines. Ich würde heute sicherlich das eine oder andere anders machen, aber ich würde auch nicht überarbeiten. Ich habe mich verändert; jedes Buch steht für die Zeit, in der ich es geschrieben habe.

Gibt es ein Buch oder Theaterstück, das Sie nie beendet haben?
Ja. Es gibt einen Roman und etliche Theaterstücke, die ich nie bis zu Ende geschrieben habe.

Werden Sie diese einmal beenden?
Dass ich den Roman nie geschrieben habe, tut mir Leid. Wenn der fertig geworden wäre, hätte es mich wirklich interessiert. Bei den Filmen tut es mir nicht so weh, es ist nicht so dramatisch, dass es diese Filme nicht gibt.

Machen Sie gerne auch die Nacharbeit der Romane, wie z.B. solche Lesungen, oder würden Sie lieber nur schreiben, schreiben?
Die Nacharbeit ist wie eine Resonanz, die ich bekomme. Schreiben selber macht großen Spaß. Aber die Resonanz ist eine Bestätigung; es ist schön zu erleben, was ich geschafft habe, was andere interessiert.

Sie sind hier wegen der Lesung aus Ihrem Buch Am kürzeren Ende der Sonnenallee und dessen ungarischer Übersetzung. Sind die Übersetzungen Ihrer Werke wichtig für Sie?
Ja. Es ist eigentlich das schönste Segment meines Bücherregals; das Regal, wo die Übersetzungen stehen.

Haben Sie Kontakt mit der ungarischen Übersetzerin gehabt?
Nein. Auch nicht während der Übersetzung, sie hat es ganz allein gemacht. (Bemerkung: Die Übersetzerin hat dieses Werk ausgewählt, obwohl „Helden wie wir“ der berühmtere Roman des Autors ist.)

In einem Artikel in der FAZ (2004) liest man: „Was andere über seine Bücher schreiben, liest Thomas Brussig nicht.” Doch auf Ihrer Homepage gibt es viele Rezensionen.
Die wähle ich aber nicht aus. Ich habe früher die Rezensionen noch gelesen, heute nicht mehr. Ich habe Mitarbeiter, denen ich sie gebe, und sie wählen die Rezensionen für die Homepage aus.

In dem Interview mit Barbara Felsmann (1995) kann man Folgendes lesen: „Angefangen habe ich mit dem Roman, da war ich 20 und wußte nicht, was ich werden will. Und davon handelt auch der Roman. Ich wußte zwar, daß es Wahnsinn ist, einen Roman zu schreiben, aber ich habe mich durchgebissen.” Jetzt, mehr als zehn Jahre später, sind Sie mit Ihrem Leben zufrieden? Würden Sie etwas verändern?
Ich habe mich von diesem Glück, dass ich tatsächlich vom Schreiben leben kann, bis heute noch nicht erholt. Es fühlt sich irgendwie unverdient an, es gibt so viele Autoren, die talentierter sind als ich. Ich muss auch zugeben, je länger ich schreibe, desto unverdienter finde ich es. Wenn Kunst Leiden bedeutet, dann muss ich zugeben, dass ich in erschreckendem Maße wenig leide. (er lacht) Oder wenn Kunst aus Leiden entspringt, dann frage ich mich, (lächelt) welcher Berechtigung nach bin ich Künstler?!

Die Übersetzerin hat in der Lesung erwähnt, dass Sie in ein, zwei Jahren ein neues Buch veröffentlichen sollten, um der früheren Tendenz zu folgen (vierjährich ein Buch). Woran arbeiten Sie jetzt?
Ich habe gerade vor drei Wochen eines veröffentlicht. Kein Hauptwerk. Ich arbeite jetzt an dem Drehbuch „Wie es leuchtet“. Wann ich etwas Literarisches schreibe, weiß ich noch nicht.

Was sind Ihre zukünftigen Pläne?
Ich mache gerne Dinge, die ich noch nie gemacht habe. Es ist wichtig für mich, dass ich die eigene Entwicklung so weit im Auge habe, dass das Publikum nie das Gefühl hat, mich schon zu kennen. Ich muss es immer mit etwas überraschen, damit man nicht sagt: „Das kenne ich, darüber weiß ich Bescheid, das interessiert mich nicht mehr.“ Ich muss einerseits das bieten, was man an meinen Büchern liebt, aber so überraschend, dass man das Gefühl hat, er kennt mich doch nicht. Ich schreibe Bücher, die ich gerne gelesen hätte. Das muss so weitergehen. Aber wenn ich irgendwann keine Fragen ans Leben mehr habe und keine Antworten mehr suche, bei denen meine Bücher helfen könnten, dann würde ich aufhören zu schreiben. Das wäre auch keine Katastrophe. Ich schreibe sehr gerne, ich liebe diesen Beruf; aber ich schreibe nicht, weil ich muss, sondern weil ich es möchte. Wenn ich es nicht mehr möchte, sondern etwas anderes, dann würde ich das eben tun.