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Zeitung << 1/2007 << Silvesternacht in Prag


Silvesternacht in Prag
Begeistert von Kafka

Autorin: Anita Ráczné-Romsics

Die Silvesternacht verbrachte ich in Prag. Mein Mann wollte wegen des Bieres nach Prag fahren. Er entdeckte alle Arten von „Hospodas”, in denen man gut essen kann, wenn es auf den Bierbänken Platz gibt, und natürlich kann man solche Biersorten relativ billig ausprobieren, die in Ungarn teuer oder ganz unbekannt sind. Wegen des Bieres sahen wir das Kafka-Museum nicht. Es war eigentlich ein Wunder, dass dieses Museum am 31. Dezember geöffnet war, trotzdem sahen wir es nicht. Aber ich war so glücklich, dass ich das Grab von Franz Kafka sehen konnte. Ich musste mehr als eine Stunde spazieren, aber es lohnte sich. Vielleicht bekam ich ein bisschen Inspiration wegen meiner Pilgerfahrt zu Kafka. Ich sah das Grab von Kafka und führte mit ihm ein Phantasiegespräch.

„Ich war immer ein Außenseiter, ich habe mich abgekapselt. Kannst Du dir das vorstellen?”, begann ich den Dialog mit Kafka. „Ich lernte noch im Gymnasium, dass Du als Sohn eines tschechisch sprechenden vom Land nach Prag übergesiedelten jüdischen Kaufmanns in Prag geboren wurdest und deutsche Schulen besuchtest…“. „Anita, das ist keine Prüfung!“, erwiderte Kafka. „Ich kenne meinen Lebenslauf. Sprechen wir lieber über meine Werke! Du hast sicher nur die bekanntesten gelesen, wie die anderen StudentInnen: Verwandlung, Prozess…“ „Nein, ich las nicht nur die Plichtlektüre von Dir, ich kenne auch die kleineren, aber „besseren” Werke von Dir, zum Beispiel Kleine Fabel, Gibs auf!, Heimkehr, Gemeinschaft. Mein absolutes Lieblingswerk von Dir ist die Gemeinschaft, weil…“. Ich konnte mein Gespräch mit Kafka nicht beenden, weil eine sehr ungeduldige Frau mit ihm sprechen wollte. Langsam ging ich nach Hause und war froh, dass ich so weit von dem Friedhof entfernt wohnte. Mein Inneres wollte mit Kafka weiterreden und hasste die andere Frau. Ich dachte darüber nach, warum ich gerade diese Werke von Kafka mochte.
Die Kleine Fabel und ein anderes Werk von Kafka, Gibs auf!, sind kürzere Werke, haben aber eine tiefere Bedeutung. Für den Alltag kann man die Lebensauffassung, die sich hier wiederspiegelt (vgl. den Rahmentext), aktualisieren, man darf nicht vor der „Falle” Angst haben und die noch unerreichten Ziele aufgeben.
Aus dem Werk Heimkehr tritt uns die Ausgestoßenheit und die Einsamkeit entgegen. Als Kern des Werkes kann man vielleicht den folgenden Satz ansehen: „Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man”. Diese Philosophie kann jeder selbst weiterdenken, ob sie stimmt oder nicht.
Die Helden des Werkes Gemeinschaft will die Gemeinschaft, Gesellschaft nicht aufnehmen oder nur ganz einfach nicht akzeptieren. Egal, was er macht, er bleibt immer nur ein Außenseiter, ein Ausgestoßener. Es gibt eigentlich keinen Grund dafür, warum das nicht gewollt wird. Fünf ist fünf, fünf ist gut, aber sechs wäre schon zu viel. In dem Kreis der Grundmitglieder gibt es ja auch nichts Gemeinsames. Es ist ihnen egal. Statt dessen stoßen sie ihn mit den Ellenbogen weg, aber er kommt wieder. Er kann nicht verstehen, dass er überflüssig ist, kommt immer wieder. Er scheitert, beginnt aber alles noch einmal. Er ist der Gefangene eines Teufelskreises, der nie endet. Aus eigener Erfahrung können wir sicher ähnliche Beispiele nennen. Wir versuchen Freundschaften, Partnerschaften zu retten, die keinen Sinn mehr haben. Oder wir versuchen eine Karriere, irgendwelche Ziele zu verfolgen, die wir schon erreicht haben und oft gar nicht mehr interessant sind. Es gibt im Leben oder in unserer Vergangenheit solche Fragen, die „unbeantwortet” sind. Es ist besser, wenn wir darauf keine Antwort bekommen.
Ich vertiefte mich in meine Gedanken, langsam kam ich nach Hause. Ich erzählte alles meinem Mann. Er hat nur sowas gesagt wie: „Ach! Er ist der Jude, der etwas von einem Käfer geschrieben hat, nicht wahr?”


Auszüge aus vier Werken von Kafka

Kleine Fabel
„Ach”, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell auf einander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.” „Du musst nur die Laufrichtung ändern”, sagte die Katze und fraß sie.

Gibs auf!
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicherer werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von mir willst du den Weg erfahren?” „Ja”, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.” „Gibs auf, gibs auf”, sagte er und wandte sich mit einem großem Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Heimkehr
Und ich wage nicht an der Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das die vor mir waren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der ein Geheimnis wahren will.

Gemeinschaft
Wie soll man aber das alles dem sechsten beibringen, lange Erklärungen würden schon fast eine Aufnahme in unserem Kreis bedeuten, wir erklären lieber nichts und nehmen ihn nicht auf. Mag er noch so sehr die Lippen aufwerfen, wir stoßen ihn mit dem Ellbogen weg, aber mögen wir ihn noch sehr wegstoßen, er kommt wieder.