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Zeitung << 1/2007 << Medien- und Kulturkritik in der Zwischenkriegszeit
Medien- und Kulturkritik in der Zwischenkriegszeit
Ein Projektseminar
Autorin: Tünde Boda
Das Projektseminar war als literaturwissenschaftliches Seminar im Sommersemester 2007 gedacht, das dazu beiträgt, unsere Kenntnisse über literarische Werke hinaus auch im Bereich der Kultur- und Medienwissenschaften zu vertiefen.
In den Sitzungen dieses Seminars haben wir nach möglichen Antworten auf Fragen gesucht, die die Wandlungen in den Wahrnehmungsweisen infolge der medialen und technischen Entwicklung angeschnitten haben. Unter den wichtigsten Fragestellungen haben wir sowohl theoretische als auch praktische Probleme angesprochen, die die Entwicklung der neuen technischen Medien bzw. ihren Einfluss auf den Wissensstand und Wahrnehmungsweisen der Menschen betreffen. So wurde auch das Problem der Medienkonkurrenz aufgegriffen, z.B. das Verhältnis der Photographie zu den bildenden Künsten, das der Schrift zum Film, das des Hörspiels zu Erzählungen usw. Judit Szabó, die Seminarleiterin versuchte diese kulturellen Probleme und Phänomene mit literarischen und theoretischen Texten bzw. einem Film von Fritz Lang zu veranschaulichen, damit wir ein möglichst ganzheitliches Bild über diese abwechslungsreiche Periode bekommen. Dabei haben wir natürlich auch über die Sprachkrise am Anfang des 19. Jahrhunderts bzw. den Funktionswandel der Schrift diskutiert. Denn die Schrift lässt sich als das wichtigste Medium der Geschichte des Abendlandes betrachten, das das jeweilige Wissen und die Erfahrungen vermittelt. Mit dem Vorstoß der neuen Medien kann es jedoch vorkommen, dass die Funktionen der Schrift übernommen werden und die Wahrnehmungsweisen auch umgestaltet werden.
Ob die neuen optischen und akustischen Medien imstande sind, die Funktionen der Schrift in Frage zu stellen oder sie eventuell zu ersetzen, ist nach wie vor eine spannende Frage. Die im Rahmen des Seminars besprochenen Texte helfen uns, diesen Themenkomplex zu thematisieren, so z.B. haben wir Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ unter dem Aspekt der Mechanisierung der Schrift gelesen und dabei das Verhältnis der Schrift und des Körpers näher untersucht. Die theoretische Lektüre von Béla Balázs „Der sichtbare Mensch“ hat uns über eine neuartige Wahrnehmung (das Sichtbarwerden) der Körper in den Filmen neue Einsichten geliefert. Wir haben auch über die Techniken und Eigenheiten der frühen expressionistischen Filme gesprochen. Ein Text von Brecht (Der Rundfunk als Kommunikationsapparat) hat uns veranlasst, die Möglichkeiten des Rundfunks zu thematisieren. Ein Referat über die Neuentdeckung des Tanzes um die Jahrhundertwende hat uns die Ausdrucksmöglichkeiten des Tanzes gezeigt. Gefühle, Regungen und Empfindungen durch Bewegungen des Körpers bzw. durch eine theatrale Inszenierung zu vermitteln, war jedoch nicht nur für Tänzer, sondern auch für Theatermacher eine Herausforderung. So kamen wir auch zu Diskussionen über die Zielsetzungen der Theateravantgarde, zu Brechts neue Techniken und Methoden, die die Schauspielkunst radikal umzugestalten und das Theater von der Dominanz der literarischen Sprache zu befreien hatten. Vielleicht kennen alle Brechts Dreigroschenoper, die auch geeignet ist, seine Gesellschaftskritik mit einer neuartigen Inszenierung, mit illusionsbrechenden Songs und narrativen Einschüben darzustellen. Einige von uns haben auch ein Hörspiel aus diesem Stück verfasst. Dazu brauchten wir viel Kreativität und Phantasie, um uns in die einzelnen Figuren zu versetzen. Am Ende des Semesters haben wir noch einige Kapitel des großen Romans von Musil Der Mann ohne Eigenschaften interpretiert und dabei seine Schreibweise und Besinnung auf den Essayismus angesprochen. Auch wenn sich jemand für die Literatur nicht interessiert, lohnt es sich, an solchen Seminaren teilzunehmen, da die Literatur uns hilft, aus dem Labyrinth der Welt hinauszukommen.
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