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Zeitung << 2/2006 << Sprache als Zweitheimat
Sprache als Zweitheimat
Autor: Konrad Gerescher
Erkenntnisse aus dem Intercity
Fahrt mit dem Intercity Budapest – Stuttgart. Der Zug ist nicht sehr voll. In meinem Abteil leistet mir nur eine junge Dame Gesellschaft, so dass wir beide sozusagen gezwungenermaßen miteinander ins Gespräch kommen; und das entwickelt sich umso schneller und angenehmer, als wir uns fließend auf Deutsch unterhalten können. Wie das so von dem Schnellzug diktiert wird, bleibt es nicht lange beim Blabla des Woher-Wohin, und wir waren noch nicht einmal bei Hegyeshalom, da wusste ich das Wesentliche über den typischen Werdegang einer Szegeder Studentin, die kurz vor der Abschlussprüfung in Germanistik stand. Da sie jedoch noch etwas unsicher war über den weiteren Werdegang, das „danach und so“, gab sie sich noch eine halbjährige Pause, um in Deutschland bei einer befreundeten – oder nur bekannten – Familie etwas ausländischen Wind zu schnuppern. Sie meinte, das tue sie deshalb, weil sie sich noch nicht endgültig entscheiden könne, welchen Beruf mit verlangten Deutschkenntnissen sie nach dem Abschluss ergreifen solle. „Die Chancen sind vielfältig!“, meinte ich. „Ja, doch fast alle schlecht bezahlt.“ Es gäbe die Wahl, außer im Lehrerberuf noch im Fremdenverkehr unterzukommen. Und da wisse einer nicht, was von beidem schlechter bezahlt ist. Warum dann überhaupt eines von beidem, weshalb habe sie im Hauptfach nicht etwas anderes studiert, z.B. Handel oder Industrie, mit vielen Aufstiegsmöglichkeiten bis zur Chefsekretärin? Das wollte sie auf keinen Fall. Es musste etwas mit dem Hauptfach Germanistik sein, denn dazu fühle sie sich schon seit dem Gymnasium hingezogen, nur dabei fühle sie sich wohl – und zuhause.
Soweit sinngemäß das etwa insgesamt zweistündige deutsche Intercity-Gespräch mit einer Ungarin! In den langen Schlummerpausen stellte ich mir halb träumend vor, dass so ein Palaver auch auf anderen Strecken, in anderen Himmelsrichtungen – vielleicht sogar auf anderen Kontinenten, mit Deutschstudenten aus Afrika oder Asien – hätte stattfinden können. Kurz, die Assoziationen blieben deutlich in der Vorstellung haften und beschäftigen gelegentlich meine Fantasie mit unendlich vielen Variationen, deren Hauptkonsens eine unumstößliche Erkenntnis beinhaltet, nämlich die, dass nichts so stark und endgültig dem Menschen eine zweite Heimat bieten kann wie eine Fremdsprache.
Stichwort Kontinuität
Kontinuität, das ist ein wichtiges Stichwort und eine grundsätzliche Lebensqualität beim Erlernen einer zweiten Sprache. Mangelt es daran, kann sogar eine Erstsprache Schaden nehmen. Dazu kann ich ein persönliches Beispiel zitieren: In dem Dorf meiner Geburt erlernte ich die Sprache meiner slawischen – schokatzischen – Umgebung parallel zum Schwäbischen meiner Eltern. Schule und Straße prägten mein Wesen genauso wie das meiner Freunde anderer Nationalität – Serbokroatisch. Dann kam in meinem elften Lebensjahr unsere Internierung in eine reindeutsche Gemeinde – und ich verlernte in dreieinhalb Jahren das zusammenhängende slawische Sprechen und Denken. Dabei blieb es aber nicht: Berufslehre und –schule, danach Studium in wiederum mehrheitlich serbisch sprechender Umgebung, gaben mir das Verlorene für einige Jahre zurück. Die Umsiedlung nach Deutschland und Fortsetzung des Studiums und danach das vollständige Aufgehen im Deutschen bauten auf dem uneinheitlichen Sprachenfundament nach und nach einen neuen Sprachenbau auf, der nur durch entschiedene Kontinuität von Jahr zu Jahr fester und dauerhafter wurde.
Ein zweites wichtiges Element bei dem Bau des Sprachhauses – in dem man sich wohl fühlen möchte – ist die Erweiterung seiner sprachlichen Umgebung. Diese kann durch gedankliche Beschäftigung und schriftliche Artikulation verwirklicht – oder, wie bei mir, wiederhergestellt - werden. Meine Eltern sprachen die sogen. schwäbische Mundart, und für mich waren Ausdrücke wie „kumsch aa pezaaja?“ (kommst auch angeln?) bis zum elften Lebensjahr das Normalste der Welt. Dreißig Jahre in Deutschland verdrängten und verschütteten meinen Heimatdialekt fast vollständig. Restlos schafften sie es nicht, dafür waren die „Karmanadl“ und „Motschuga“, die „Baas“ und die „Godl“ (Fleischpartien vom Schwein, Tante und Taufpatin) zu tief im Bewusstsein eingeprägt. Diese Tatsache selbst kam aber erst sozusagen wieder ans Tageslicht, als ich in der ungarischen Umgebung – also in meiner alten, wieder gefundenen Heimat – auf Schritt und Tritt mit ihr konfrontiert wurde und, ob ich wollte oder nicht, sie wieder beim Beginn des Schreibens meiner Mundart-Bücher „Tes hermr khat“, „So hemrs kmacht“ und „So hemr klebt“ aktivierte.
Mundartseminare
In diese Zeit, den ersten Jahren nach der Wende, fällt auch ein neuerlicher fruchtbringender Kontakt zur ungarischen Deutschlehrerschaft. Die Wiederentdeckung meines Batschkaer, Bereger Dialektes und dessen ausstrahlende Wirkung in meinen Tagesablauf brachte mich in dem Deutsch-Ungarischen Freundeskreis von Szeged, der sich 1991 wieder formiert hatte, zuerst mit Dr. Csaba Földes von der Juhász-Gyula-Hochschule für Lehrerbildung und etwas später mit Prof. Dr. Árpád Bernáth von der JATE zusammen. Wie von selbst ergab sich dadurch die Gelegenheit, über mein Forschungsthema Deutsche und Batschkaer Mundarten zu sprechen. Dr. Bernáth gegenüber empfahl ich mich für „kostenlose Vorlesungen“ bei seinen Studenten. Mit großem Erstaunen erreichte mich einige Wochen später ein Telefonat von Dr. István Hansel mit der Einladung, an seinem Mundart (MA)-Seminar teilzunehmen und evtl. auch selbst etwas vorzutragen. Juhu, wie jauchzte ich innerlich vor Freude! Mein Herzthema an der JATE, da musste ich dabei sein! Freilich merkte ich schon in den ersten Stunden, dass Mundart nicht nur Theorie heißt, sondern vielmehr Feldforschung. Und dazu fehlten jegliche anfänglich unabkömmliche Finanzmittel und Geräte. Ein Aufruf in unserer Wochenzeitung DER DONAUSCHWABE brachte bald das Nötigste zusammen, so dass der stattliche Kreis interessierter Seminaristen bald in alle MA-Regionen Ungarns ausschwärmen konnte und eine stattliche Zahl von 142 MA-Kasetten voll bewahrenswerten ungarndeutschen Dialektmaterials sammelte (das sich, meines Wissens, heute noch im Besitz von Dr. Hansel befindet und der Aufarbeitung harrt). Wie nebenbei wurde damals auch manche interessante Prüfungsarbeit in MA geschrieben.
Fruchtbringende Bekanntschaft
Noch während meiner Teilnahme an den JATE-Seminaren machte ich eine weitere perspektivisch ungemein wertvolle Bekanntschaft, die mit Prof. Dr. Burkard Schaeder, dem Dekan der Uni Siegen, der durch den DAAD in Ungarn weilte und eine Vortragsreihe mit lexikalischen Themen hielt. Ihm zuzuhören und mein Lexikon DONAUSCHWÄBISCH – DEUTSCH zu kreieren war eins. Was in den drei vorangegangenen MA-Büchern an Dialekt-Fachwörtern zusammenkam, konnte ich mit der Systematik von Prof. Schaeder leicht in Lemmataform bringen und kurz erklären, so dass für die Nordbatschka, von Apatin bis Kalotscha, rund 3000 donauschwäbische Begriffe ihre lexikalische Auflistung fanden. Als das Werk 1999 nach siebenjähriger Arbeit fertig war, hatte ich – ehrlich gestanden – von Mundarten genug; und bis heute bringe ich es nicht fertig, nötigste Korrekturen und Ergänzungen in einer zweiten Auflage zu vollziehen. Doch dieser schöpferische Stau auf der einen Seite, brachte auf der anderen einen neuen Fluss in Bewegung: Es ist der, von dem alle Welt fasziniert ist und ihm sogar die mediale Führungsrolle gegenüber der Druckerschwärze voraussagt – der virtuelle mit dem weltweiten Internet. Dieses Medium entwickelt sich immer mehr zum Überbau, unter dessen schützendem Dach viel Sprache Heimat und Zuflucht findet.
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