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Zeitung << 2/2006 << Literatur und Linguistik
Wenn man Andersch und Böll sagt, muss man auch Frau B. fragen – Literatur und Linguistik
Ein Versuch der Nachahmung des beziehungsreichen Gedankenflugs von Prof. Árpád Bernáth
Autorin: Emília Bata
Wenn man einen Bericht über ein Seminar schreibt, gibt es viele Wege, wie man sich dem Thema nähern kann. Ich könnte erwähnen, was wir Woche für Woche erledigen sollten: das Durchlesen der digitalisierten Böll-Rezensionen, welche wir mit der Kölner Ausgabe vergleichen sollten. Ich könnte die Romane erwähnen, die wir lesen sollten, wie z.B. Die Kirschen der Freiheit von Alfred Andersch. Oder die zum Roman gehörenden Rezensionen von Böll mit den Titeln Wo sind die Deserteure? und Trompetenstoß in schwüler Stille. Stattdessen möchte ich aber versuchen, die Stimmung der Seminarsitzungen kurz zusammenzufassen und vorzustellen – aus dem Gesichtspunkt einer Studentin.
Sie sind Studenten der Geisteswissenschaft, sie haben sich selbst dazu verpflichtet, Bücher zu lesen. Es gibt aber etwas, was noch wichtiger ist als Gedichte, Romane, Novellen. Wissen Sie, was es ist? Kultur. Ungarische Kultur. Vor allem aber deutsche Kultur, weil wir Germanisten sind. Sie sollen nicht nur Bücher lesen, sondern auch fernsehen (3Sat, arte), Radio hören (Deutschland Kultur, Bayerischer Rundfunk) oder Zeitungen lesen (FAZ, Pester Lloyd). Es ist egal, was Sie aus dieser Aufzählung wählen, es soll aber mit Kultur zu tun haben. Sie müssen nämlich ein umfangreiches, gesichertes geistiges Wissen haben, wenn Sie das Studium abschließen.
Es gibt deshalb keine echten Richtlinien in diesem Seminar, doch es gibt vier-sechs Romane, die wir lesen und besprechen werden. Sie sehen, dass ich keine Notizen vor mir habe, ich kann schon über alles aus dem Kopf sprechen. Falls wir ein interessantes Thema finden, kann es vorkommen, dass wir es die ganze Zeit besprechen. Falls Sie ein interessantes Thema finden, können Sie es erwähnen und einen Vortrag halten.
Einige Wörter und Sätze werde ich selbst aus den Texten herausheben und Sie müssen nachschlagen, woher sie stammen. Z.B. der Titel einer Böll-Rezension lautet „Wo sind die Deserteure?“. Womit hängt dieser Satz zusammen? …Alles hängt mit allem zusammen. …Die Welt ist voll mit Zusammenhängen, mit Parallelen, mit Gegensätzen. Wir müssen sie nur finden. …Wo sind die Deserteure? Wo sind sie? Wo waren… Wo warst… Wo warst du? Wo warst du, Adam? In welchem Werk steht dieser Satz „Wo warst du, Adam?“. Es ist ein Titel einer anderen Böll-Rezension. Es ist auch ein Zitat von Theodor Haecker: „Eine Weltkatastrophe kann zu manchem dienen. Auch dazu, ein Alibi zu finden vor Gott. Wo warst du, Adam? >>Ich war im Weltkrieg.<<“ Es stammt aus der Bibel. Warum hat Böll eben diese Titel gewählt? Er mag die Zusammenhänge verstecken.
Nehmen wir einen anderen Satz aus der Rezension „Der Wüstenfuchs in der Falle“: „Dem Besuch der Kollektivschuld folgt nun der Bogen der Verzeihung,…“. Es gibt einen Fehler in diesem Zitat. Ihre Aufgabe ist, ihn zu finden. Sie haben zwei Wochen. Böll hat ein Wort im Satz ursprünglich anders geschrieben, aber man konnte es nicht verstehen, deshalb wurde es zensiert. Welches Wort ist es? Warum war es nicht verständlich? Was wollte Böll mit dem Satz im originalen Text ausdrücken?
…Haben Sie etwas gefunden? …Immer noch nichts? …Wer hat Sie in Phraseologie unterrichtet? Haben Sie nichts bei meiner Frau gelernt?
…Beginnen wir mit Böll, mit diesem Zitat. Unser Leben besteht aus mehreren Schemen, wir können alles zu einem bestimmten Netz flechten. Dieser Begriff ´Netz´ ist auch nur ein Schema. In der Sprache gibt es keine Einzelausdrücke. Unsere Namen selbst sind nicht einmal individuell: es existieren etliche Menschen mit dem Familiennamen Kovács, es gibt noch mehr mit dem Nachnamen Sándor und es gibt sicher sehr viele mit dem Namen Kovács Sándor.
Bölls grundsätzliche Bemerkung ist, dass diese Schemen brechbar sind. …Kennen Sie den Ausdruck „im Bausch und Bogen“? Es bedeutet ´ohne Rücksicht auf die Einzelheiten´. Beide Richtungen sind Übertreibungen, Kollektivschuld und auch Verzeihung. Böll hat diese phraseologische Einheit gebrochen, wie er ähnliche in anderen Werken gebrochen hat. Also statt ´Besuch´ sollte im Zitat ´Bausch´ stehen, aber nicht viele erkennen die Wichtigkeit seiner Methode. …Was ist die Lehre dieser Aufgabe?
Sie dürfen Germanistik nicht in Literatur und in Linguistik einteilen und glauben, dass diese zwei Bereiche nichts miteinander zu tun haben. Sie können in solchen Fällen wie diesem gemischt werden. Sie sind nicht gegensätzliche Disziplinen. Aber Sie müssen nicht verzagen, wenn Sie diese Zusammenhänge zwischen den Disziplinen nicht gleich erkennen. Falls ich in linguistischen oder phraseologischen Sachen Hilfe brauche, frage ich selbst meine Frau nach einschlägiger Fachliteratur.
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