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Zeitung << 1/2006 << München
München
Autorin: Anna Simon
Immer wenn Steven Spielberg einen neuen Film präsentiert, gerät er in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Manche sind voreingenommen und denken, dass alles, was er macht, zum Kassenerfolg wird – da das bislang immer so geschah. Auch sein neuestes Meisterwerk mit dem Titel München tanzt nicht aus der Reihe, ist aber auf jeden Fall ein Einzelstück unter den anderen.
Es kommt oft vor, dass ich mir einen Film anschaue, weil viele Leute eine positive Meinung darüber haben. Aber dann bin ich manchmal enttäuscht, weil ich ihre Meinung nicht teile. Wenn das öffentliche Urteil einen Film für schlecht befindet, werde ich wahrscheinlich auch keine Zeit dafür vergeuden. Sollte eines von den großartigen Juwelen Hollywoods die Meinungen ganz spalten, dann fühle ich eine Art Motivation und Neugier, mir diesen Film anzuschauen. In diesem Fall starte ich von Null: die gegenseitigen Einflüsse machen einander unwirksam. Vorher lese ich keine Filmmagazine, sehe nicht fern, um das Kino nur mit meinen eigenen Gedanken im Kopf verlassen zu können. Auch im Fall von München habe ich nichts anderes getan.
Alles geschah 1972 auf den 20. Olympischen Spielen in der damaligen BRD-Stadt München. Die Deutschen hofften, mit dieser großzügigen Veranstaltung das rassistische Leid, das Hitler verursacht hatte, irgendwie mildern zu können. In der Welt gärte es aber vom Krieg in Vietnam und von Gewalt im Nahen Osten. Der friedliche Geist der Olympiade war schnell weg: am Morgen des 5. Septembers, 6 Tage nach der Eröffnungszeremonie, stiegen fünf arabische Terroristen in Trainingsanzügen und mit Sporttaschen in der Hand über den Zaun, der das olympische Dorf umgab. Einige Leute sahen sie, aber maßen der Angelegenheit keine Bedeutung bei, weil es schon mehrmals vorkam, dass Athleten den Zaun routiniert übersprangen. Diese fünf Männer trafen sich mit ihren drei Komplizen, die wahrscheinlich durch falsche Papiere das Dorf betreten konnten und nahmen Waffen aus den Taschen heraus. Sie brachen in die zwei Appartementhäuser ein, in denen die israelischen Sportler untergebracht waren und erschossen bereits dort, an Ort und Stelle, zwei von denen, die versuchten, die Tür zuzuhalten, bis ihre Mitkollegen flüchteten. Zwei Mitglieder der israelischen Delegation konnten entkommen und weitere sechs sich verstecken. Dennoch gelang es den Terroristen, neun Menschen als Geisel zu nehmen. Sie meldeten, dass sie palästinensische Araber von der Terrororganisation „Schwarzer September“ seien und forderten die Freilassung 234 arabischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen von Israel und die von zwei deutschen Terroristenführern aus Frankfurt. Sie forderten auch, die BRD frei verlassen zu können. Nach stundenlangen Verhandlungen einigten sich die deutschen Behörden mit den Terroristen und sicherten freies Geleit bis zur NATO Flugbasis in Fürstenfeldbruck und von dort den freien Flug nach Kairo zu. Deutsche Scharfschützen warteten schon auf die Araber am Flughafen, um sie zu erschießen, ohne die Geiseln zu verwunden. Die Rettungsaktion ging schief und während des blutigen und grausamen Feuergefechtes wurden fünf Araber, ein deutscher Polizist und alle neun israelische Geiseln getötet.
Die Handlung des Filmes beginnt mit diesen schrecklichen Ereignissen und wird später – durch zeitweise eingeschnittene Szenen – ergänzt. Sie zeigt uns, was eigentlich danach passierte. Israel kam nämlich nicht zur Ruhe, ohne eine Antwort gegeben zu haben. Ministerpräsidentin Golda Meir wies den israelischen Geheimdienst Mossad an, die Planer und Teilnehmer des Münchener Massakers aufzuspüren und zu töten. Dieser sehr präzis geplante Rachefeldzug bekam den Namen „Zorn Gottes“ und fasste die Arbeit von mehreren geheimen Teams zusammen. Diese Gruppen waren namenlos und von der Regierung unabhängig, finanziell wurden sie von Mossad unterstützt. Sie bekamen eine Liste mit den Namen der Zielpunkte.
Spielbergs Geschichte stellt den Prozess ausführlich und wirklichkeitsgetreu dar, wie eine von diesen Gruppen der Racheaktion ihre Mission zu erfüllen versucht. Sie haben die Liste und dazu eine Grundregel: Zivilisten auf keinen Fall töten. Avner (Eric Bana), der Führer dieser Gruppe ist ein junger Israeli, der – seine schwangere Frau zurücklassend – aus Vaterlandsliebe und Pflicht diesen Auftrag übernimmt. Aber die Ereignisse häufen sich und werden kompliziert, immer neue verdächtige Typen tauchen auf, die Pläne gehen schief oder scheitern und es gibt Auseinandersetzungen innerhalb des Teams. Avner kommt immer schneller an den Rand des Abgrundes. Er gerät in ein moralisches Dilemma. Der heilige Zweck, den er am Anfang vor sich hatte, trübt sich. Die Mission fängt an, ihren Sinn zu verlieren: die schon erfolgreich ermordeten Terroristenführer werden von neuen Personen ersetzt, die sogar viel skruppelloser als ihre Vorgänger sind. Es wird nie zu Ende sein. Avner muss wählen, ob er seine Aufgabe weiterführt oder – im eigenen Interesse und in dem seiner Familie – mit dem Kampf aufhört.
Die Darstellung von Eric Bana ist wirklich überzeugend, ebenso die seiner Kollegen. Die Tatsache, dass Spielberg die Rollen mit nicht so bekannten Schauspielern besetzte, macht den Film interessanter und speziell. Die Art und Weise, wie die Araber in ihrer Muttersprache und auf Englisch sprechen, schafft eine einzigartige Stimmung. Denjenigen, die Englisch verstehen, würde ich auf jeden Fall empfehlen, den Film mit Untertitel anzuschauen. Man muss hervorheben, dass die Aufnahmen die 70er Jahre ganz getreulich widerspiegeln: die Atmosphäre der Städte, die Kleider, die Fahrzeuge, die verschiedenen Gebrauchsgegenstände – alles ist aufs kleinste Detail ausgearbeitet. Es besteht kein Zweifel, dass dieses Werk das Ergebnis einer sehr gründlichen Forschungsarbeit ist. Die ungarischen Bezüge müssen wir auch erwähnen. Erstens: Budapest diente als Schauplatz zahlreicher Szenen. Zweitens: das Buch „Bosszú“ von dem in Kanada arbeitenden, aber aus Ungarn kommenden Publizisten György Jónás war zum Teil die Basis für das Drehbuch.
Eins ist sicher: es war ein gewagtes Unternehmen von Steven Spielberg, dieses Thema für einen Film zu wählen. Was er damit sagen will, können wir nur raten. Vielleicht sagt dieser Film allen etwas anderes. Aber alle können damit einverstanden sein, dass auf Gewalt mit Gewalt zu antworten keine gute Lösung ist. Mit solchen Gedanken verließ ich das Kino. Es freute mich, dass ich keinen gewöhnlichen Actionfilm aus Hollywood gesehen habe, sondern etwas ganz anderes.
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