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Zeitung << 1/2006 << Interview mit Jörg Dõtsch


Interview mit Jörg Dõtsch
Interview mit Prof. Dr. Wendelin Schmidt-Dengler

Autorinnen: Emma Sajben, Anna Simon

Jörg, wo hast du deine Studienjahre verbracht?
Das Grundstudium habe ich in Heidelberg gemacht, danach habe ich, weil ich eine andere Universität sehen wollte, ein Jahr in Dresden studiert. Dresden hat mir im Vergleich zu Heidelberg nicht so gut gefallen. Die Stadt war wunderschön und die Stimmung auch gut, aber die Universität selber war im Vergleich zu Heidelberg leider nicht so aufregend. Der Unterricht war nicht so gut und die Studenten waren nicht so motiviert. Dann bin ich zurückgegangen und habe dann noch zwei Jahre lang in Heidelberg das Hauptstudium gemacht. Das war natürlich toll, weil in Heidelberg sehr wichtige Lehrer waren: Wiegand, Kühlmann, Gardt, Telle und natürlich ist die Stadt auch sehr schön. Ein romantisches kleines Städtchen. Ursprünglich komme ich aber aus Koblenz, etwa 200 km weiter, wo Rhein und Mosel zusammenfließen, deswegen bin ich auch Moselfranke. Das hört man manchmal daran, dass ich /ch/ und /sch/ verwechsle.

Wie ist die Universität in Szeged im Vergleich zu der Heidelberger?
Sie sind natürlich sehr unterschiedlich, weil das hier in Szeged Auslandsgermanistik ist. Aber ich glaube, dass die Stimmung in Szeged viel besser ist als in Heidelberg, weil die meisten Studenten wesentlich motivierter sind als die deutschen Germanistikstudenten. Da die Universität hier auch nicht so groß ist wie die Heidelberger, ist sie ein bisschen privater. Wie ich sehe, gibt es einen besseren Kontakt, sowohl was die Lehrkräfte und Studenten betrifft, als auch innerhalb des Lehrerkollegiums. Für mich war das hier ein großartiger Empfang, die Kollegen sind zu mir sehr nett gewesen, und auch mit den Studenten komme ich sehr gut aus. Es ist hier insgesamt sehr schön. Und abgesehen von meinem Schulpraktikum in einem Gymnasium, wo ich Deutsch und Geschichte unterrichtete, habe ich einen regelmäßigen Unterricht erst hier in Szeged.

Was ist jetzt mit der Geschichte?
Zwangsläufig ist sie auf der Strecke geblieben, weil ich mich hauptberuflich mit Germanistik befasse. Wenn ich Lehrer in einem Gymnasium geworden wäre, dann hätte ich mich damit weiter beschäftigen müssen, was eigentlich auch sehr schön wäre. So bin ich aber sehr zufrieden, weil ich ohnehin mehr Germanist als Historiker bin.

Warum eben Ungarn und warum Szeged?
Ich bin im Herbst 2003 nach Ungarn gezogen, weil meine Frau Ungarin ist. Deshalb habe ich mich überall in Ungarn nach Arbeit umgesehen und es war ein riesiges Glück, dass ich in Szeged sofort eine Stelle bekommen habe, die auch mit Germanistik zu tun hat. Man bekommt ja sehr schwierig Arbeit, sowohl in Deutschland als auch in Ungarn. Das war eine tolle Sache, dass ich sofort in der Germanistik arbeiten konnte. Szeged ist auch nicht so weit weg, insofern habe ich das sehr gerne genommen.

Deine Studienjahre sind aber noch nicht zu Ende.
Ja, das stimmt. Ich studiere internationale Beziehungen an der deutschsprachigen Andrássy-Universität in Budapest. Das ist so gekommen, dass ich mich dort beworben hatte, als ich nach Ungarn kam. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass ich ein Stipendium des Landes Baden-Württemberg erhalte, so war das für mich natürlich eine große Auszeichnung. Da das mit dem Beruf hier zeitlich vereinbar war, habe ich mich entschlossen, es zu machen. Es dauert zwei Jahre lang, also bin ich in diesem Sommer fertig. Ich habe gedacht, dass es besser ist, wenn ich mich in irgendeinem Bereich weiterbilden kann.

Du hast das Seminar Europäische Union angeboten. Hängt das damit zusammen?
Ja, gerade über Europa lernt man an dieser Universität viel. Generell denke ich, dass es sich auch für die Germanistik einsetzen lässt. Mit interdisziplinärer Arbeit lernt man andere Denkweisen kennen, und das Germanistikstudium in Ungarn erfordert ja auch, dass man einen weiteren Horizont hat als in Deutschland, wo man nur an ganz speziellen Dingen arbeitet.

Du arbeitest jetzt am Lehrstuhl für germanistische Linguistik. Beschäftigst du dich auch mit der Sprachwissenschaft?
Ich komme aus der Literaturwissenschaft, weil ich in Heidelberg bei Kühlmann gearbeitet und mich dort mit der Edition von Texten aus dem 16. und 17. Jh. beschäftigt habe. Hier unterrichte ich auch Linguistik: Klassiker der Sprachphilosophie, Strukturalismus, sprachliche Relativität. Das macht auch Spaß, auch wenn ich nicht so ein richtig harter Linguist bin, der sich mit Grammatik befasst, sondern eher mit historischen Bereichen. Ich interessiere mich für Sprachphilosophie; wie es zu gewissen sprachwissenschaftlichen Fragestellungen kommt; also nicht für diese ganz harten linguistischen Fragen, wie Marco Winkler zum Beispiel.

Was denkst du, was für Möglichkeiten haben die Germanistikstudenten in der Zukunft?
Ich meine, dass die Zukunftschancen der Germanisten hier in Szeged ganz gut sind, weil ich die Studenten für sehr gut halte. Deshalb haben sie in Ungarn gute Chance, aber man muss sich überlegen, welche anderen Kenntnisse man braucht, weil nur Sprachkompetenz – besonders die von einer einzelnen Sprache – heute vielleicht ein bisschen wenig ist. Natürlich braucht man immer Übersetzer, Dolmetscher, und ich denke, dass die deutsche Sprache im mitteleuropäischen Raum wichtig bleibt. Ich bin selber Germanist, deshalb bin ich auch optimistisch. Ich habe auch ab und zu etwas für den Pester Lloyd geschrieben, wie zum Beispiel Theaterkritiken oder über Magyar Vándor, als der Film herauskam. Das ist auch eine Arbeitsmöglichkeit für Germanisten.

Ungarisch hast du in einer Sprachschule gelernt oder nur selbst?
Im Februar 2004 bin ich in das Balassi-Bálint-Institut gegangen. Es ist eine sehr gute Sprachschule gewesen, ich hatte eine sehr gute und altmodische Lehrerin und habe drei Monate lang dort einen Intensivkurs besucht. Danach hatte ich noch ein Paar Privatstunden, und seitdem lerne ich eigentlich nur zu Hause. Meine Frau ist eine sehr strenge Lehrerin, die ganze Familie hilft auch. Ich muss sagen, dass die Kollegen hier mir sehr viel helfen und mich verbessern. Zum Beispiel unterhalte ich mich mit Péter Kappel meistens nur auf Ungarisch. Wenn ich sage, dass ich Ungarisch sprechen möchte, dann helfen sie mir.

Ist es schwer, Ungarisch zu sprechen?
Sehr schwer! Sehr schön, aber auch sehr schwer. Schwierigkeiten habe ich zum Beispiel mit der „bestimmten“ und „unbestimmten“ Konjugation. Man braucht eine ganz andere Denkweise. Es gab auch sehr viele witzige Situationen. Ich habe mir einmal auf dem Markt statt „kelbimbó“ (Rosenkohl) „mellbimbó“ (Brustwarze) bestellt. Meine Aussprache verursacht manchmal auch witzige Situationen.

Was machst du in deiner Freizeit? Hast du genug Zeit für deine Familie?
Für die deutsche Familie habe ich sehr wenig Zeit. Mit der ungarischen Familie verbringe ich viel mehr Zeit, weil in Ungarn das Familienleben wichtig ist, und das gefällt mir sehr. Wir sehen uns am Wochenende, spätestens alle zwei Wochen treffen wir uns mit der ganzen Familie. Für die Hobbys bleibt mir nicht viel Zeit. Einmal in der Woche gehen wir tanzen – das muss irgendwie drin sein – und manchmal am Wochenende gehen wir schwimmen. Tanzen ist aber das Wichtigste.

Fehlt dir etwas von zu Hause?
Das einzige, was mir fehlt, ist, dass ich nicht so selbständig sein kann wie zu Hause. Solche Dinge, die man in Deutschland überhaupt nicht bemerkt, werden hier zum Problem. Ich kann zum Beispiel einem Techniker nur sehr schwer erklären, was für ein Problem ich mit der Heizung habe. Generell fühle ich mich hier gut; Wetter ist besser, Wein ist besser, Essen ist besser.
Was sind deine Pläne für die Zukunft? Möchtest du in Ungarn bleiben?
Ich möchte auf jeden Fall in Ungarn bleiben. Beruflich würde ich gerne in der Germanistik bleiben, was man aber nicht so sicher sagen kann. Ich beende mein Studium in Budapest und im Sommer kann man weiterplanen. Sicher ist, dass ich in Ungarn bleibe.


Steckbrief von Jörg Dõtsch

Hast du gewusst?

Familie
Seine Frau ist Zita Hollós, die Verfasserin des Deutsch-Ungarischen Schulwörterbuches (Német-magyar suliszótár).

Studium
Er studierte Germanistik und Geschichte.

Sprachkenntnisse
Englisch, Französisch, Latein, Ungarisch.

Hobbys
Tanzen, Filme, manchmal Theater, Oper, Kochen.

Kochen
Er kocht sehr gerne. Zum Beispiel Pute in Weinsoße. Ungarisch kocht er nicht, dafür ist seine Frau die Spezialistin.

Essen
Er isst gerne Speisen der ungarischen Küche, besonders die Rakott-Gerichte. Paprikáskrumpli hat er noch nicht gekostet.

Ungarische Lieblingsfilme
Boldog Születésnapot, Valami Amerika, Magyar Vándor und alte schwarz-weiß Filme.

Was wusste er von Ungarn, bevor er hierher kam?
Volkstanz, Balaton, Essen mit Paprika.

Lieblingswort im Ungarischen
Szelepszárszimmering-regeneneráló folyadék (ungefähr: Ventilstilreinigungsflüssigkeit) Es ist sein erstes Männerwort, und er hat es von seinem Schwiegervater gelernt.

Was würde er mit auf den Mond nehmen?
Wenn keine Person, dann ein Fernglas, damit er nach Hause gucken kann.