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Zeitung << 1/2006 << Mehr als zwei Fliegen mit einer Klappe


Mehr als zwei Fliegen mit einer Klappe
Ein Semester im Mittelalter mit Tünde Katona und Orsolya Rauzs

Autorin: Anna Simon

Im Wintersemester 2005/2006 war ich eine von den Glücklichen, die sich für den Kurs „Ein Semester im Mittelalter“ anmelden konnten. Meine Entscheidung war eine Premiere, weil ich bis dahin weder bei Tünde Katona noch bei Orsolya Rauzs eine Lehrveranstaltung belegt hatte. Ich probiere es, dachte ich. Das Thema interessierte mich aber sehr und der Zeitpunkt passte auch in meinen Stundenplan, was für uns Studenten – ehrlich gesagt – gar kein unwichtiger Gesichtspunkt ist.
Dort saß ich also in der ersten Sitzung und wartete neugierig auf die organisatorische Besprechung. Beide Dozentinnen waren dabei und waren auf den ersten Blick sympathisch. Ein bisschen merkwürdig wirkte es, als sie uns mitteilten, dass sie alle Seminare zusammen halten werden. In einer literarischen Lehrveranstaltung kommt das nicht so oft vor. Die Thematik, die sie uns vorgaben, war sehr gut und logisch strukturiert. Für alle Sitzungen wurde genau vorgeschrieben, mit welcher Primär- und Sekundärliteratur wir uns bekannt machen sollen. All diese Lektüre konnten wir in einem Copyshop bekommen, so hatten wir nur die Aufgabe, sie zu lesen.
Im Laufe des Semesters beschäftigten wir uns mit Themen wie der Periodisierung des Mittelalters; der Erklärung des Begriffs Mediävistik; Mündlichkeit und Schriftlichkeit; Untersuchung verschiedener Handschriften; der Entstehung und Verbreitung des Christentums; Erkenntnis des damaligen Weltbildes, was auch Religion, Aberglaube und Gedanken der Menschen beinhaltet. Über die damals entstehenden und existierenden literarischen Gattungen diskutierten wir auch sehr viel. Fast zu allen Gattungen erwähnten wir ein Werk als Beispiel: Pferdesegen, Taufgelöbnisse, das Hildebrandslied, die zwei Merseburger Zaubersprüche, der Abrogans, der Heliand, das Ludwigslied, Hartmann von Aues Der arme Heinrich und das Nibelungenlied. Außerdem war das interessante Thema einiger Seminare die Herstellung von Kodices und einige ihrer charakteristischen Merkmale, die sie von Büchern unterscheiden. Wir erübrigten auch Zeit für die Kosmogonie. Das bedeutet, dass wir viele Vorstellungen über die Entstehung und die Entwicklung der Welt kennen lernten, wobei germanische Götter eine wichtige Rolle gespielt hatten.
Von den aufgezählten vielfältigen Themen kann man sehen, dass diese Lehrveranstaltung mehr als ein gewöhnliches Literaturseminar war. Sowohl aus geschichtlichen, kulturellen und literarischen als auch aus religiösen, philosophischen Aspekten wurde das Hauptthema, das Mittelalter, untersucht. Der Traditionen, der Normen und der ideologischen Auffassung der Germanen bewusst, war es viel leichter, ihre Literatur besser verstehen zu können. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Kurs „Ein Semester im Mittelalter“ sogar als verknüpfendes Bindeglied zwischen Literatur und Linguistik betrachtet werden kann. Parallel zu diesem Kurs besuchte ich nämlich die Vorlesung Sprachgeschichte und die Tatsache, dass ich ungefähr das gleiche Thema von mehreren Seiten sehen konnte, war mir eine sehr große Hilfe. Deswegen kann ich nichts anderes sagen, als dass ich dieses Seminar wärmstens allen empfehle, die sich nicht für das literarische Mittelalter interessieren und die das alles in einer gutgelaunten Gesellschaft machen möchten. Ich bin überzeugt, dass diese gute Laune auf dem vollkommenen Einklang zwischen den beiden Dozentinnen beruht.
Das beste ist aber, dass im Sommersemester der zweite Teil der Lehrveranstaltung angeboten wurde. So wurden denjenigen, die den ersten Teil verpasst hatten, eine neue Möglichkeit gegeben; und denen, welche den ersten Teil fortsetzten, wurde wieder die Möglichkeit gegeben, mit Tünde Katona und Orsolya Rauzs im Mittelalter herumzuschlendern.