Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 1/2005 << Die Theaterbauten von Fellner und Helmer


Die Theaterbauten von Fellner und Helmer
Eine Wiener Baufirma baute viele pompöse Gebäude in Ungarn

Autorin: Bernadett Paor Smolc

In der Österreich-Ungarischen Monarchie gab es zwei Architekten, die 1872 eine gemeinsame Theaterbaufirma grün­deten. Es waren der Wiener Ferdinand Fellner und der Hamburger Hermann Helmer. Während ihrer 43-jährigen Zu­sam­menarbeit bauten sie neben anderen Gebäuden 48 Theater inner- und außerhalb der k.u.k.-Monarchie, die mit ihren speziellen und damals neuartigen Grundrissen auffallen. Von ihnen er­richtete Gebäude waren Vertreter des europäischen Späthistorismus. Bekannt wurden Fellner und Helmer vor allem als Spezialisten des Theaterbaus. Aber sie erbrachten auch bedeutende Leistungen in der Wohnarchitektur, sowie im Hotel- und Kaufhausbau (z.B. Warenhaus Rothberger-Kranner in Wien, zerstört 1945). Als virtuose und moderne Vertreter des Späthistorismus vereinigten sie dekorative Phantasie und funktionale Struktur in neobarocken Gestaltungen ebenso wie in sezessionistischen Stilvarianten.

Fellner und Helmer bauten „nur” 13 Theater im Ausland und zwar in Bulgarien, Deutschland, Rumänien, Russland und der Schweiz. Alle andere Bauten, von Fiume bis Klausenburg, von Wien bis Budapest waren Monarchieaufträge. Die beiden Architekten bauten 1875 das Budapester Volkstheater, das spätere Nationaltheater, das 1965 abgerissen wurde. Zu ihren interessanten Bauten gehört das Budapester Operettentheater, bei dessen Bau nur ein kleiner Baugrund zur Verfügung stand. Dieses Problem lösten die beiden mit optimaler Raumeinteilung. Das Lustspieltheater in Budapest, das mit einem speziellen Treppensystem ausgestattet ist, wurde ebenfalls von ihnen gebaut. Das Architektenduo hatte riesigen Erfolg und wurden immer berühmter. Wegen ihrer zahlreichen Referenzarbeiten wurden sie bei Ausschreibungen bevorzugt. Die einheimischen Architekten protestierten gegen die privilegierte Stelle der Wiener Baufirma. Die Bauten von Helmer und Fellner richten sich nach der Wiener Barockformwelt. Ihre Gebäude zeigen eine hochqualifizierte Konstruktionsroutine.
Es ist ihr Verdienst, dass sie einen für das Stadttheater charakteristischen Plan erarbeiteten, nach dem im 19. Jahrhundert in Europa ein spezieller Gebäudetyp errichtet wurde. Sie beachteten die Größe, die finanziellen Möglichkeiten und die Repräsentationsbedürfnisse einer Stadt, was ihren Erfolg ausmachte. Fellner und Helmer waren in einer Zeit tätig, als das Theatergebäude ein wichtiges Kriterium war, um eine Stadt zu werden. Das Theater wurde zum Mittel der Selbstrepräsentation der Stadt und war der Schauplatz der Kultur und des Gesellschaftslebens. Sie sind die einzigen Architekten, die so viele Theater in Europa bauten. An fast allen Ausschreibungen nahmen sie teil. Sie offerierten niedrigere Baukosten und verlangten weniger Honorar als die anderen Firmen. Das konnten sie sich auch leisten, weil sie fertige Standardpläne hatten und diese nur adaptieren mussten.
In einer städtischen Umgebung ist die Dreiteilung ihres Gebäudetyps am auffälligsten: der hohe Theatertrakt, der den Schnürboden umfasst, der niedrigere Zuschauerraumtrakt und die mit einem Kuppelturm bedeckte Vorhalle. Diesen Gebäudetyp bauten sie besonders nach 1881, als ihr individueller Stil sich voll entfaltete. Das Architektenpaar führte in dem Inneren der Gebäude auch eine strukturelle Lösung ein, die sich auf die Gestaltung der Räume bezog, die dem Publikumsverkehr dienten. In ihren Theatern ist die Hierarchie der Gesellschaft spürbar. Während bis zu den Plätzen der Adeligen wunderschöne Treppen aus der Vorhalle führten, mussten diejenigen, die ihre Plätze im 3. Stock hatten, einen separaten Aufgang von der Seite des Gebäudes nehmen. Ihre Gebäude geben einen einheitlichen österreichischen Stil und ein Reichsbild wieder und spiegeln den Wohlstand, die Pracht, das sogenannte „Goldene Zeit­alter” wider.
Eine Ausstellung mit dem Titel „Fellner und Helmer. Die Architekten der Illusion, Theaterbau und Bühnenbild in Europa” wurde 1999 in Graz organisiert. Die Veranstalter in Graz hatten die Absicht, dass die Ausstellung in jeder Stadt zu sehen ist, in der Theaterbauten der beiden Architekten zu finden sind. Das Grazer Theater wurde im so genannten „echten österreichischen Stil” gebaut, der die an die Architektur Fischer von Erlachs erinnernde barockisierende Lösung bevorzugte. Helmer und Fellner hielten eher Fischer von Erlach für ihren Vorgänger als den Architekten der Dresdner Oper Gottfried Semper, der sich in dieser Zeit (1870) ebenfalls in Wien betätigte. Semper übte eine große Wirkung z.B. auf den Architekten Miklós Ybl aus, der die Budapester Oper, den Budapester Stephansdom und das Gebäude der Budapester Wirtschaftswissenschaftlichen Uni­versität baute.
Das Nationaltheater in Szeged wurde ebenfalls von den beiden Haus- und Hofarchitekten der Monarchie 1883 im eklektisch-neobarocken Stil errichtet. Die Fassade ist mit Skulpturen von József Katona und Ferenc Erkel geschmückt. Ármin Kern malte die Decke des Zuschauerraumes. Eineinhalb Jahre nach der Einweihung brannte das Gebäude nieder. 1886 wurde das Theater wieder eröffnet. Neben prosaischen Theaterstücken werden hier Oper- und Operettenvorführungen gespielt. Das Theater hat ein eigenes Ballett­ensemble. Das Gebäude ist vierstöckig und bietet 750 Personen Platz.
Trotz der vielen Aufträge und fertiggestellten imposanten Gebäude beschäftigten sich die Architekturhistoriker nur wenig oder überhaupt nicht mit der Tätigkeit von Fellner & Helmer. Das kann man wahrscheinlich damit erklären, dass sich die Baukunsthistoriker in erster Linie auf das Neue und auf die für die Entwicklung der Architektur bedeutenden Lösungen konzentrieren. Ákos Moravánszky war der erste in Ungarn, der ihren Werken große Bedeutung zuschrieb und ihre Tätigkeit in seinem Buch „Die Architektur in der Österreich-Ungarischen Monarchie” wissenschaftlich behandelte.