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Zeitung << 1/2005 << „Als der Halbmond essbar gemacht wurde“


„Als der Halbmond essbar gemacht wurde“
Literarische Lesung der österreichischen Autorin Barbara Frischmuth in Szeged

Autorin: Szilvia Gál

Anfang März 2005 ist die Schriftstellerin Barbara Frischmuth über Vermittlung des Österreichischen Kulturforums Budapest nach Szeged gekommen. Die Autorin hat – entgegen den Erwartungen – nicht aus ihrem neuen Roman („Der Sommer, in dem Anna verschwunden war“), sondern aus ihrem im Jahre 1998 erschienenen Werk „Die Schrift des Freundes” im kleinen Kreis vorgelesen. Die Aktualität der Lesung war durch die Verfilmung des ORF 2005 unter der Regie von Fabian Eder gegeben.

An einem besonders regnerischen und trüben Tag traf die berühmte Autorin und Übersetzerin ein wenig erkältet in Szeged ein. Sowohl die Moderatorin Andrea Horváth als auch die Schriftstellerin fühlten sich infolge der Krankheit leider offensichtlich nicht besonders wohl, was aber die Stimmung der Lesung nicht beeinflusste. Aus der abwechslungsreichen Biographie von Frischmuth ist zu entnehmen, dass sie am 5. Juli 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren wurde. Sie studierte Englisch, Türkisch und Ungarisch (Dolmetsch) in Graz und Debrecen, und Orientalistik in Wien. Außerdem verbrachte sie eine längere Zeit in der türkischen Stadt Erzurum. Seit dem Jahre 1962 ist sie Mitglied der berühmten Grazer Gruppierung “Forum Stadtpark”, einer Aktionsgemeinschaft von Künstlern, Wissenschaftlern und Kulturschaffenden. Ihr zartes Äußeres verbirgt eine sehr energische, kraftvolle Persönlichkeit. Das verrät auch ihre bisherige literarische Tätigkeit: Frischmuth ist Verfasserin zahlreicher Romane, Kinder– und Jugendbücher, Theaterstücke, Hörspiele und Filmdrehbücher. Ebenso ist sie als Übersetzerin ungarischer Autoren (wie Miklós Mészöly, István Örkény, Iván Mándy, András Sütõ und Péter Nádas) und als Preisträgerin zahlreicher Preise (etwa Anton-Wildgans-Preis) bekannt. Bisher sind zwei Romane von Frischmuth ins Ungarische übersetzt worden: „Die Klosterschule“ („A zárda“ 1974, übersetzt von Imre Oravecz) sowie „Bindungen“ und „Die Ferienfamilie“ („Kapcsolatok, Családi nyaralás” 2 kisregény 1990, übersetzt von Imre Kertész).
Als sie aus ihrem umfangreichen Buch einige kurze Teile vorgelesen hat, hat sie alle Worte überzeugend betont, was ihrem Werk eine besondere Atmosphäre gegeben hat. Schon während der Lesung haben alle, die bisher noch keine Gelegenheit hatten, ihre Werke kennen zu lernen, ein komplexes Bild über ihre schriftstellerische Intention bekommen. In diesem Roman, so wie auch in ihren anderen Werken, hat sie nämlich die verschiedenen Kulturen, die orientalische (mit der sie sich jahrzehntelang beschäftigte) mit der westlichen Kultur vermischt. In „Die Schrift des Freundes“ wird die tragische Liebesgeschichte zwischen einer jungen Österreicherin und einem Türken erzählt. Einige Informationen über die Handlung des Romans, die das Verstehen erleichtern, sind von Frau Frischmuth während der Lesung geliefert worden: Anna ist eine Computerspezialistin (wie im Roman steht: sie „hat ein kaltes Programmierungshirn“) bei einer internationalen Computerfirma im Auftrage des Innenministeriums und arbeitet an einem Programm zum Fahnden nach gefährlichen Gruppen sowie Ausländern. Die Ironie des Schicksals ist, dass sie sich in einen türkischen Mann mit Namen Hikmet verliebt. Dadurch bekommt sie Einblick in die Traditionen und Riten der Türken. Die Romanheldin wird sich der Diskrepanz zwischen Nationalismus und Islamismus und dem normalen türkischen Leben bewusst, was ein häufig wiederkehrendes Motiv in Frischmuths Werken ist. Hikmet ist aber eines Tages verschwunden, (wie „Aschen­puttel vom Ball“), und Anna entdeckt, dass ihr Freund ein politischer Verfolgter ist. Anna sucht überall nach Hikmet, der inzwischen in den Untergrund geflohen ist. Das Werk erzählt die spannende Suche nach dem Türken und weist außerdem stellenweise eine humorvoll-satirische Erzählweise, aber auch handfeste Kritik an den politischen Verfahren in Österreich auf. Frischmuths Kritik an der Ausländerpolitik wird aber nie offen ausgesprochen, sie versteckt sich hinter den Zeilen. Leider wurde nach der kurzen Lesung nicht darüber gesprochen, warum eben dieser Roman verfilmt worden ist. Der Regisseur Fabian Eder, der als Kameramann bisher bei zahlreichen TV- und Kinofilmen gearbeitet hat, hat wahrscheinlich das aktuelle innenpolitische Thema und das kritische Auftreten der Autorin gegen die Ausländerpolitik der österreichischen Bundesregierung als Anlass für diese ORF-Literaturverfilmung genommen und jetzt auch als Regisseur sein Bestes geben wollen. Das Drehbuch zum Film stammt allerdings nicht von der Autorin, sondern von Heide Pils und Fabian Eder.
Was diesen Roman und das heutzutage stark diskutierte Thema konsumierbar macht, ist das „Servieren“ der im Roman versteckten Meinung, die gewaltlose Lösung der Probleme. Das hat auch eine Äußerung von Frischmuth in einer Fernsehsendung untermauert: „Wir können nicht entscheiden, ob wir wollen, dass Muslime bei uns leben – das tun sie längst“. Als Fortsetzung dieses Themas ist im Sommer 2004, fast parallel mit der Verfilmung von „Die Schrift eines Freundes“ ein weiterer Roman zum Thema erschienen: „Der Sommer, in dem Anna verschwunden war“.