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Zeitung << 2/2004 << Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung


Gulasch trifft Pelmeni, Wodka trifft Bier, Mittelosteuropa tanzt zusammen
Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung

Autorin: Renáta Récsi

Das Theodor-Heuss-Kolleg (THK) ist ein Programm der Robert Bosch Stiftung und möchte Jugendliche aus den Ländern Mittel- und Osteuropas ermutigen, sich in ihrem konkreten Umfeld zu engagieren, demokratische Spielregeln einzuüben und verantwortliche Aufgaben in der Gesellschaft zu übernehmen. Die Ziele des THK sind: Interesse für öffentliche Themen zu wekken, soziale Kompetenzen zu stärken, praktisches Wissen zu vermitteln, Projekte zu initiieren und gesellschaftliches Engagement zu fördern, Austausch über soziale und nationale Grenzen hinweg zu ermöglichen und ein Netzwerk von Initiativen zu bilden und zu betreuen. Im Prinzip kann sich jeder bewerben, der zwischen 18-24 Jahren alt ist und über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt. Die Studienleistungen zählen überhaupt nicht. Das Online-Bewerbungsformular sowie weitere Info findet man auf der Webseite des THK (www.theodor-heuss-kolleg.de).

Nach der Bewerbung und der Auswahl der Teilnehmer beginnt das Leben im THK mit den zweiwöchigen internationalen Sommerseminaren in verschiedenen Ländern Mittel- und Osteuropas. Diese bestehen meistens aus zwei größeren Einheiten. In der ersten Phase lernt man die anderen Kollegiaten und die Seminarleiter kennen, indem man sich auf vielfältige Weise mit dem Thema des Seminars auseinandersetzt. Ziel dieses thematischen Teils ist es, aktuelle gesellschaftliche Themen zu diskutieren, interkulturelle Kommunikation und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu erfahren und demokratische Handlungskompetenzen zu erwerben.
Den zweiten Teil der Sommerseminare bildet die Projektentwicklungswerkstatt. Hier geht es darum, Projektideen mit anderen Kollegiaten, oder auch alleine, zu entwickeln. Damit bekommen die Kollegiaten die Möglichkeit ihr persönliches Umfeld ehrenamtlich zu gestalten. Die Projekte können im Rahmen von sechs Themenbereichen durchgeführt werden: Umwelt, Politische Bildung, Hochschule & Lehre, soziales Engagement, Kultur & Geschichte sowie Medien & Information. Im September erfahren die Kollegiaten, ob ihr Projekt bewilligt wurde oder nicht. Falls ja, beginnt eine neue Phase im Kolleg, die Projektdurchführungsphase. Hier hat man die Möglichkeit, im Herbst an einem Projekttreffen und gegebenenfalls im Frühling an einer Fortbildung für Seminarleiter teilzunehmen. Dabei werden soziale Kompetenzen und Führungsfähigkeit entwickelt, Umgang mit Finanzen und der Öffentlichkeit erlernt, verschiedene Methoden zu Konfliktmanagement und Zeitplanung vorgestellt.
Nachdem die Projekte erfolgreich abgelaufen sind, endet das Kollegjahr mit einem zweiwöchigen Bilanzseminar in Berlin. Hier werten die Kollegiaten ihre Projektarbeit aus, und diskutieren ihre Erfahrungen. Abschließend wird über weitere Perspektiven gesprochen. Nach dem ersten Kollegjahr gibt es noch weitere Möglichkeiten im Netzwerk zu bleiben: durch den MitOst e.V. (Verein für Sprach- und Kulturaustausch in Mittel-, Ost- und Südeuropa), durch verschiedene Möglichkeiten für Fortbildungen, Praktika oder Seminarleitung, und es besteht auch noch die Möglichkeit, Projekte weiterzuführen.

Ich habe die Szegeder THK-Kollegiaten Piroska Dömény und Vivien Flaisz zu ihren Erfahrungen befragt.

Ihr seid dieses Jahr THK-Kollegiaten. Wo habt Ihr von dem Theodor-Heuss-Kolleg zum ersten Mal gehört?
Vivien: Zoltán Fehér, ein Kollegiat des THK, hat uns von dem THK in dem Sprachübungsseminar unserer ehemaligen Bosch-Lektorin Jasmin Groß erzählt. Jasmin hat mir gesagt, dass es für mich geeignet wäre. Dann habe ich mir die Webseite angeschaut und mich entschlossen, dass ich mich bewerbe.
Piroska: Ich habe davon auch von Zoltán Fehér und Jasmin Groß gehört, und mir hat die ganze Idee sehr gut gefallen. (vgl. „‘Bewerbt euch!’ Interview mit dem THK-Kollegiaten Zoltán Fehér“, GeMa 2/2003; „Lektorin mit Auslandserfahrungen. Interview mit der Bosch-Lektorin Jasmin Groß“, GeMa 2/2003)

Wie kann man sich bewerben?
Vivien: Man braucht ein ausgefülltes Bewerbungsformular mit Passfoto, wo man auch Adresse und E-Mail angibt. Dann noch einen Aufsatz zu dem für Dein Seminar gestellten Thema, ausführliche Motivation für die Bewerbung im Heuss-Kolleg und ein aussagekräftiges Empfehlungsschreiben eines Lektors oder Dozentens.

Das Kollegjahr fängt mit den Sommerseminaren an. Wo wart Ihr? Was habt Ihr gemacht?
Vivien: Ich war zwei Tage in Budapest und zwölf Tage in Piliscsaba. Die zwei Wochen waren sehr intensiv, abwechslungsreich und nützlich. Ich habe mich für das Seminar über Werte im Wandel beworben. Welche Werte sind in der heutigen Welt wichtig? Wie stabil sind sie und wie entstehen sie? Antworten auf diese Fragen haben wir mit Hilfe des Forumtheaters, in Diskussionen und mit kreativen Methoden gesucht. Daneben habe ich sehr viele Leute aus anderen Ländern kennen gelernt, mit denen ich immer noch im Kontakt bin. Wir hatten Zeit auch für Ausflüge, jede Menge Spaß, Partys und Sport.
Piroska: Ich habe zwei wunderschöne Wochen an der deutsch-polnischen Grenze, in Görlitz/Zgorzelec verbracht. Die Auswahl der Städte war kein Zufall, wir haben uns nämlich mit den Grenzen beschäftigt. Der Titel des Seminars lautete „Ein Strich in der Landschaft, die Grenze im Kopf“. Auf vielfältige Weise haben wir das Thema behandelt; von den Grenzen zwischen den Ländern bis hin zu den eigenen „persönlichen“ Grenzen. Wir haben in Görlitz auch ein Festival veranstaltet, worauf wir uns in verschiedenen Werkstätten vorbereitet haben. Natürlich hatten wir auch Spaß dabei, haben tolle Ausflüge gemacht, aber am wichtigsten waren für mich die anderen Teilnehmer. Durch sie konnte ich einen größeren Einblick in die Welt bekommen, andere Kulturen und Denkweisen kennen lernen und neue Freundschaften schließen.

Was war das Ziel der Seminare?
Piroska: Das eigentliche Ziel aller Sommerseminare war die Entwicklung von Projektideen. Dies geschah in den letzten Tagen der Seminare, wo wir schon die anderen Teilnehmer besser kennen gelernt hatten und über unsere Ideen und Interessen viel diskutiert hatten. Wir konnten kleine Gruppen bilden oder auch ganz alleine eine unserer Ideen konkretisieren und über die mögliche Verwirklichung nachdenken. Natürlich konnten wir selbst die Entscheidung treffen, mit wem wir zusammenarbeiten möchten.

Habt Ihr auch eigene Projekte entwickelt?
Vivien: Ja. Ich arbeite an einem Projekt mit zwei Leuten aus Polen und einer Person aus Russland. Unser Projekt ist ein internationales Tanzseminar zum Thema „Nationale Identität“. Nach Stettin/Polen kommen junge Menschen zwischen 18-24 Jahren aus verschiedenen Ländern Mittel- und Osteuropas. Sie lernen andere Kulturen kennen und versuchen ein gemeinsames Kulturerbe zu bestimmen. Das Thema wird nicht nur theoretisch erörtert, sondern kreativ bearbeitet, indem Elemente aus den traditionellen Volkstänzen der vertretenen Länder zu einem „mittelosteuropäischen“ Tanz verschmelzen.
Piroska: Ich habe auch ein Projekt entwickelt, mit dem Titel „Kultureintopf – eine interkulturelle Kochbegegnung“. Mit Teilnehmern aus Deutschland, Russland und Ungarn werden wir uns im April 2005 in Bátaszék/Ungarn treffen. Im Mittelpunkt stehen Traditionen rund um das Essen und Trinken. Dabei werden wir die eigenen Traditionen erforschen, dann kreativ und mit allen Sinnen sie auch den anderen Teilnehmern vermitteln. Wir möchten damit auch Vorurteile abbauen und am Ende ein Kulturkochbuch veröffentlichen, in dem nicht nur Rezepte der beteiligten Länder, sondern auch interessante Geschichten, Trinksprüche, Bilder, evtl. Karikaturen erscheinen werden. Wer sich dafür interessiert, kann das Buch ab dem Sommer 2005 auch online lesen.
Vivien: Und wenn das Projekt von dem THK bewilligt wird, dann hat man die Möglichkeit an einer Weiterbildung teilzunehmen. Ich war schon bei einer Weiterbildung in Vilnus/Litauen.
Piroska: Ich war in dem kleinen Parada in Polen.

Was bedeutet das Kollegjahr für euch? Was habt ihr daraus gelernt?
Vivien: Ich habe mich immer für neue Leute, Kulturen und Länder interessiert. Und während des Kollegjahres habe ich die Möglichkeit dafür. Man baut internationale Kontakte auf, entwickelt sich selbst durch das Kolleg und nicht zuletzt führt man ein eigenes Projekt durch. Meiner Meinung nach sind diese Erfahrungen auch für mein späteres Leben und den Beruf wichtig.
Piroska: Wichtig sind noch die Erfahrungen im Bereich Zeit- und Konfliktmanagement, Umgang mit Finanzen und noch viele andere Sachen, die noch zum Projektmanagement gehören. Sehr nützlich finde ich noch die interkulturelle Kommunikation. Wir sind ja mit verschiedenen Leuten aus verschiedenen Ländern ein ganzes Jahr lang in sehr engem Kontakt. Ich kann das THK jedem von Herzen empfehlen. es lohnt sich, sich zu bewerben, an einem so tollen Jahr teilzunehmen und dabei uns selbst weiter zu entwikkeln und Erfahrungen in Projektmanagement zu sammeln.