Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2004 << Klassische Musik – Peinlich?


Klassische Musik – Peinlich?
Autorin: Annamária Széll

– Welche Musik hörst du gern?
– Zum Beispiel klassische Musik und…
– Was? Klassische Musik? Sie ist langweilig und chaotisch. Ich liebe Kylie, Robbie Williams, Madonna, Britney und die anderen „big stars”! Ich habe klassische Musik zum letzten Mal in der Musikstunde gehört. Was für ein schreckliches Erlebnis!
– Mensch! Du weißt doch nicht, worüber du sprichst. Wenn du eine schlechte Musiklehrerin hattest, konnten die Stunden echt langweilig sein. Ich hatte eine gute Lehrerin, zum Glück. Aber warum denkst du, dass ich nur klassische Musik höre. Du glaubst, wer klassische Musik hört, darf keine andere Musik hören? Ich weiß, es klingt ein bisschen seltsam, aber in meinem Regal stehen die CDs von Bach und Britney nebeneinander.


Solche Dialoge hört man heutzutage oft, zum Beispiel an unserer Uni. Wenn ich mit jemandem über klassische Musik spreche, bekomme ich meistens negative Meinungen zu hören. Ich denke aber, dass man seine Vorurteile abbauen und sich endlich ein klassisches Werk anhören sollte. Dafür gibt es heutzutage viele Möglichkeiten. Man muss keine CDs kaufen, nur den Fernseher oder das Radio einschalten. Viele haben Kabelfernsehen, mit dem sie „Arte” und „Mezzo” empfangen können. Der Radiosender „Bartók” spielt fast nur klassische Musik. Man hat also Möglichkeiten, man muss sie nur nutzen. Man verändert sich im Laufe des Lebens. Es kann vorkommen, dass man als Kleinkind oder als Gymnasiast/in die Popmusik der klassischen Musik vorgezogen hat, aber als Student/in findet man klassische Musik plötzlich hervorragend. Man darf Popmusik und klassische Musik ebenso sehr lieben. Das ist keine Schande. Gelegentlich höre ich beides nacheinander. Beide Arten von Musik lösen eine Menge Gefühle im Menschen aus. Jeder kann die für sich am besten geeignete Musik finden. Es ist aber nicht egal, welcher Künstler das Werk vorträgt. Ungarn hat viele gute populäre Künstler, die auch in den Medien oft auftauchen, wie Xaver Varnus, Eszter Horgas, Félix Lajkó. Popularität ist aber nicht immer gleich Qualität. Es gibt viele CDs schlechter Qualität auf dem Markt. Wenn man z.B. ein Werk auf Klavier hören will, dann ist es gut, wenn der Interpret Horowitz, Svjatoslav Richter, Zoltán Kocsis oder György Cziffra ist. Die größten Meister der Geige sind Yehudi Menuhin, David Ojsztrah und Sasha Heifetz.
Es gibt auch sehr moderne Versuche wie der von Edvin Marton, der auch in Deutschland berühmt ist. Auf seiner CD „Strings ’n’ beats” werden die Stücke nicht von einem Orchester, sondern von einem DJ begleitet. Viele kritisieren diese Vortragsweise. Ich habe zwölf Jahre lang Geige gespielt. Meiner Ansicht nach ist Marton kein Virtuose, aber man muss zugeben, dass er viele Jugendliche bezauberte und für die „klassische” Musik gewann. Er spielt in seinen Konzerten nicht nur diese modernen Werke, sondern auch immer etwas Klassisches. Er hat ein beliebtes Forum im Internet, wo die Fans miteinander kommunizieren können: www.edvinmarton.lap.hu/forum. Auch der dreifache Weltmeister im Eiskunstlauf, Jevgeny Plushenko, wählte die Musik von Edvin Marton für seine Kür bei einem Wettbewerb. Edvin spielte auf seiner Geige auf dem Eis stehend, während Evgeny seine Kür lief. Ein perfektes Zusammenspiel von Kunst und Sport. Plushenko und Marton treten häufiger zusammen auf. Es war vor einigen Jahren unvorstellbar, dass ein Eiskunstläufer kein klassisches Werk wählt.
Ein großer Teil der berühmtesten Filme wird auch von klassischer Musik begleitet. Sie verstärkt einige Szenen so enorm, dass wir in Tränen ausbrechen können. Musik und Bilder haben zusammen eine große Wirkung auf uns. Ich nenne klassische Musik bewusst nicht „ernste Musik”. Dieser Ausdruck hat keine gute Konnotation. Vor ernsten Dingen bekommt man zuerst Angst. Natürlich ist es keine Pflicht, alle Komponisten zu kennen oder zu wissen, wo, in welcher Epoche sie lebten, welche Werke sie schufen. Diese überflüssigen Daten mussten wir noch in der Schule lernen. Man sollte nur die Musik genießen. Hören und genießen. Hören und sich begeistern. Hören und sich beruhigen. Du weißt nicht, was du versäumst, wenn du keine klassische Musik hörst.

Die Hälfte der Handybesitzer hat einen klassischen Klingelton. Ich bin sicher, dass du viele berühmte Melodien kennst, mindestens von deinem Handy. Es ist kein Nachteil, wenn ein/e Germanistikstudent/in die in der folgenden natürlich nicht vollständigen Liste aufgezählten Werke kennt:

J.S.Bach: Doppelkonzert für 2 Violinen und Orchester d-Moll BWV 1043, Toccata und Fuge d-Moll, Brandenburgische Konzerte, Orchestersuite Nr.1. c-Dur BWV 1066, Orchestersuite Nr.2. h-Moll BWV 1067, Kaffeekantate BWV 211, Bauernkantate BWV 212
Beethoven: Violinkonzert d-Dur, Romanze Nr.1. g-dur, Romanze Nr.2. f-dur, Die neun Symphonien
Mozart: Symphonie Nr.1. Divertimento d-Dur KV 136, Symphonie Nr.40. g-Moll KV 550,Violinkonzert d-Dur KV218, Flötenkonzert Nr.2. d-Dur KV 314, Oboenquartett f-Dur KV 370, Sonate für Klavier A-dur KV 331, Eine kleine Nachtmusik, die Opern
Wagner: Tannhäuser, Lohengrin, Ring des Nibelungen (Rheingold, Walküre, Siegfrid, Götterdämmerung)
Händel: Feuerwerkmusik, Violinkonzert b-Dur
Haydn: Streichquartette op. 64 Nr.4-6
Schubert: Erlkönig
Orff: Carmina Burana
Schönberg: Ein Überlebender aus Warschau