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Zeitung << 2/2004 << Lkw-Maut in Deutschland
Lkw-Maut in Deutschland
Erfolgsstory oder Blamage?
Autor: Balázs Kiss
Die Straße als Geldquelle für Staat und Großkonzerne ist wohl ein genialer Plan. So hat sich Deutschland, eine Hochburg der modernen Technologien, der neuesten Entwicklungen etwas ganz Neues ausgedacht. Als innovativer Industrienation genügt den Deutschen kein herkömmliches Mautsystem, das in Europa schon überall erprobt ist, keine Autobahnvignette, kein Mikrowellensystem wie in Österreich, nein. Es ist das Lkw-Mautsystem mit Satellitenunterstützung.
Die Einführung einer Lkw-Maut kam erstmals im Sommer 2001 ins Gespräch. „Die Mehreinnahmen sollen für den Ausbau der Straßen, Schienen- und Wasserwege genutzt werden“, so die Zielsetzung des damaligen Verkehrsministers Kurt Bodewig. Man wollte damit erreichen, dass auch die Lkws, die das 12.000 Km lange deutsche Autobahnnetz schwer belasten, am Bau und der Unterhaltung der Straßen beteiligt sind. Wie auf der Internetseite des Verkehrsministeriums steht: „Die streckenbezogene Lkw-Maut sorgt für verursachergerechte Anlastung der Wegekosten“. Am 20. September 2002 ist es dann soweit: Der Bundestag vergibt den Auftrag an die deutschen Großkonzerne Telecom und Daimler Chrysler Services. Zwei Tage vor der Bundestagswahl, am 20.09.2002 verkündet Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig ein Prestige-Projekt, die satellitengestützte Lkw-Maut: „Sie ist innovativ, weil kein Maut-Häuschen, keine Schranke, keine Fahrbahnverengung und keine Geschwindigkeitsreduktion den Verkehrsfluss drosselt. Und sie ist innovativ, weil das technische System einzigartig auf der Welt ist. Ich bin fest davon überzeugt, es wird ein Exportschlager.“ Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärt dann, mit dem satellitengestützten Mautsystem beweise Deutschland Technologieführerschaft.
Peinliche Organisations- und technische Pannen von Beginn an
Das namhafte Magazin der ARD Monitor spricht von „Pfusch, Skandal, Blamage“. Die Probleme begannen bereits mit der Ausschreibung des milliardenschweren Auftrags für die technische Umsetzung. Außer der deutschen „Toll Collect“ gab es zwei Bewerber für die Verwirklichung des Projekts, zwei Konkurrenten aus dem Ausland: das Schweizer Unternehmen Fela und AGES. Das System von Fela funktioniert einwandfrei, Fehlerquote 0,05%. Der Schweizer Verkehrsspezialist wurde aber wegen „mangelnder Finanzierungsfähigkeit“ ausgeschlossen, obwohl mehrere Banken hinter dem Unternehmen standen. Jetzt blieb nur noch ein Konkurrent übrig: die AGES-Maut, ein Zusammenschluss von Konzernen wie Vodafon, Aral und Shell. Der Auftrag ging aber an das Konsortium Toll Collect, das hauptsächlich aus der Deutschen Telekom und Daimler Chrysler besteht, dazu kommen Grundig und Siemens, die die Erfassungsgeräte bauen. Zur Begründung für diese Entscheidung zählte auch das Argument, ihr System bringe Mehrwertdienste mit dem Maut-Gerät: nicht nur die Maut, sondern auch Infos über Lkw, Achsenzahl, Fahrer und Ladung. Wertvolle Infos, für die Toll Collect auch eine Menge Geld abziehen will. Dieses technologisch revolutionäre System wankte aber bis in die letzte Zeit gewaltig. Kritiker sagten, „die Idee sei technisch nicht ausgereift und könne so nicht reibungslos funktionieren“. Das Satellitensignal ist empfindlich und kann je nach Umgebung ausfallen oder falsche Signale senden. Die Mauterfassungsgeräte liefern statt korrekter Daten lieber Fehler von mehreren 100 Metern, oft Kilometern, aber eine Autobahnsteuer braucht präzise Daten. Toll Collect versprach, auch dieses Problem löse der Konzern, obwohl er ohne Erfahrung war. (Fela hat jahrelange Erfahrung mit Maut.) In der Testphase im September 2003 funktionierte nur etwa jedes dritte Gerät der so genannten On-Board-Units (OBU) des satellitengesteuerten Systems.
Lieferverzögerungen
Die Pannenserie ging nun weiter, als sich herausstellte, dass von den europaweit benötigten 450.000 Geräten, die in die Lastwagen zum automatischen Einloggen der Fahrdaten eingebaut werden müssen, bisher erst 200.000 produziert und keine 80.000 installiert sind. Wer diese Bordgeräte nicht hat, muss bei stationären Mautstellen an Terminals Schlange stehen und sich manuell einbuchen, was natürlich viel Zeit und somit Geld kostet. Für die vollautomatische Abrechnung wird im Führerhaus von Lkws über zwölf Tonnen eine so genannte OBU (On Board Unit, sozusagen eine „elektronische Vignette“) eingebaut, die mit einem GPS-Empfänger und einem Mobilfunksender ausgerüstet ist. Setzt sich das Fahrzeug in Bewegung, soll das System automatisch registrieren, wo sich der Lkw befindet. Wird eine mautpflichtige Straße befahren, errechnet die OBU laut Plan aus den Daten des Fahrzeugs sowie den gefahrenen Kilometern die Gebühr. Diese soll dann per Mobilfunk an eine Zentrale weitergefunkt werden, die direkt mit der Spedition abrechnet. Die Gebühr der Autobahnfahrt beträgt durchschnittlich 12,4 Cent pro Kilometer. Die Mauthöhe ist nach Achszahl und Schadstoffklasse gestaffelt.
Der nach dem 1. September 2003 festgelegte zweite Starttermin für den 2. November 2003 kippte also, die deutschen Vorzeigeunternehmen versagten aufs Neue: Ein sicherer Starttermin für ein weltweit einzigartiges Lkw-Mautsystem ist nicht möglich. Durch die Verschiebung der Lkw-Maut gehen dem Staat pro Monat 163 Millionen Euro verloren. Für den 31. Dezember 2003 wurde eine allerletzte Frist festgelegt, dann für den 31. Januar 2004 eine zweite allerletzte Frist, beide wurden aber nacheinander gestrichen. Mit dem 1. Januar 2005 soll demnach eine Erstversion der LKW-Maut eingeführt werden. Das endgültige System soll mit dem 1. Januar 2006 starten.
Lkw-Maut: Die österreichische und die schweizer Varianten
Im Gegensatz zu Deutschland hat Österreich am Neujahrstag 2004 ohne technische Probleme ein neues Lkw-Maut-System mit der Firma ASFINAG, Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs AG eingeführt. Seit dem 1. Jänner 2004 läuft die Gebührenabrechnung für Lastwagen über 3,5 Tonnen relativ reibungslos. Das Land setzt dabei auf die preisgünstige Mikrowellentechnologie im Gegensatz zu der satellitengestützten Erfassung, wie das Toll Collect in Deutschland plant. Allerdings gilt die Mikrowellentechnik nicht als zukunftsträchtig. Deshalb plant Österreich, über lange Sicht auch auf Satellitensysteme umzustellen. Die Schweiz hat im Januar 2001 ein elektronisches Mautsystem für Lastwagen eingeführt, das sich Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) nennt. 1998 hatten 57 Prozent der Schweizer für die Einführung der Maut gestimmt.
Bahn hofft auf neue Kunden
Die Deutsche Bahn AG hat sich angesichts der Einführung der Lkw-Maut bereits auf eine höhere Nachfrage beim Gütertransport eingestellt. „Wir haben 30 Prozent Reserven“, so ein Sprecher. 13.000 Lkw könnten täglich auf der Schiene in speziellen RO-LA-Zügen (Rollende Landstraße) im so genannten kombinierten Verkehr transportiert werden. Auch die Post will wegen der Maut ihre Paketgebühre anheben. (tagesschau.de)
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