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Zeitung << 1/2004 << Gegen die Wand2004


Gegen die Wand
Autorin: Katalin Lackó

Heuer wurde die 54. Berlinale veranstaltet und es kam zu neuen Überraschungen. Die höchste Auszeichnung gewann der Film „Gegen die Wand”, der das pralle deutschtürkische Leben darstellt. Der glückliche, deutsch-türkische Regisseur, Fatih Akin (30) (Foto, Mitte), der eigentlich Visuelle Kommunikation studierte, lebt in Hamburg und hatte mit diesem Film die Absicht, einen Blick auf die zweite Generation türkischer Einwanderer zu werfen. Es ist also ein wahrhafter, unverstellter Blick auf die zweite Generation türkischer Einwanderer, die zwischen zwei verschiedenen Kulturen aufwachsen und die darunter sehr leiden. Dieses Milieu ist Akin gar nicht fremd, denn er ist selbst ein Kind türkischer Einwanderer. Es ist also ein realer Blick auf diesen Teil der heutigen deutschen Gesellschaft.

Um die Geschichte und ihre symbolische Sprache besser zu verstehen, muss man den Hintergrund ein wenig beleuchten. Die ersten Einwanderer arbeiteten seit 1961 in West-Deutschland, da das Wirtschaftswunder einen Arbeitskräftebedarf auslöste. Die Arbeitserlaubnis war anfangs max. für 2 Jahre gültig, dann sollten die Gastarbeiter, dem Rotationssystem gemäß, gegen andere Bewerber ausgetauscht werden, eine Dauerbeschäftigung türkischer Arbeitsnehmer war also nicht geplant. Da dieser Rotationszwang sich als unpraktisch und kostspielig erwies, wurde er zusammen mit dem Verbot des Familiennachzugs 1974 abgeschafft. Die türkische Bevölkerung ist jetzt zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden, obwohl sie aus einem anderen Kulturkreis stammt und einer anderen Religionsgemeinschaft angehört, die sich deswegen immer mehr von der deutschen Gesellschaft distanziert. Dabei spielt die Musik eine große Rolle als Ausdrucksmittel für ihre Gefühle. Die Kinder der Arbeitsmigranten haben oft schwerwiegende Identitätsprobleme. In Deutschland sind sie Türken und in der Türkei Deutsche. Außerdem dient der Islam dazu, die untergeordnete Stellung der Frau zu begründen, sie stehen grundsätzlich unter den Männern. Entscheidungen werden für sie vom Vater und später vom Ehemann getroffen.
Die Geschichte stellt die Kluft der Kulturen der zweiten und der dritten Generation türkischer Einwanderer dar. Der vierzigjährige Cahit (Birol Ünel) ist ein Alkoholiker, der volltrunken ins Auto steigt und frontal gegen eine Betonmauer rast. Er wacht in der Psychiatrie auf. Dort trifft er die zwanzigjährige Sibel (Sibel Kekilli), die einen Selbstmordsversuch hinter sich hat. Sie schnitt sich ihre Pulsadern auf, was bei Sibel eigentlich als Hilfeschrei gilt, denn sie liebt im Gegensatz zu Cahit das Leben. Sie möchte es frei und ohne die einengenden Traditionen genießen. Sie überredet Cahit zu einer Scheinehe, nur so kann sie ihrer Familie entfliehen. Cahit scheint ungepflegt und zu alt zu sein, er spricht besser Deutsch als Türkisch aber trotzdem willigt Sibels Familie in die Ehe ein, denn die Hauptsache ist, dass er ein Türke ist. Sie teilen Cahits Wohnung, aber nichts anderes. Für Sibel beginnt das wirkliche Leben. Sie feiert, springt von Bett zu Bett und steht oft unter dem Einfluss von Drogen. Cahit verliebt sich unbemerkt in sie. Erst nachdem er Sibels Liebhaber erschlägt, entdeckt auch sie die Liebe zu ihrem Ehemann. Aber es ist zu spät. Cahit muss ins Gefängnis und Sibel flieht vor ihrer Familie – wieder mit blutigen Handgelenken – nach Istanbul. Am Ende bleibt es offen, ob das Paar später ein neues Leben anfangen kann.
Der Film ist in Musik-Akte unterteilt: mit einmal traditionell türkischer, einmal Hip-hop-Musik. Eine türkische Roma-Band mit Sängerin kommentiert vom Bosporus-Ufer aus das Liebesdrama. Sibel Kekilli (Foto rechts) ist in einer Kölner Einkaufspassage entdeckt worden. Die Wahl erwies sich als Glücksfall, da diese Geschichte in Deutschland lebenden Türkinnen gewidmet ist, die zwischen dem fundamentalistischen Frauenbild des Elternhauses und dem Drang nach persönlicher Freiheit zerrissen sind. Sibels (23) bisheriges Leben ist auch eine Art Rebellion. Sie will einen ziemlich starken Freiheitsdrang haben, und je mehr man versucht, ihr etwas zu verbieten, desto mehr rebelliert sie. Früher arbeitete sie als Verwaltungsfachangestellte im Heilbronner Rathaus und spielte in mehreren Pornofilmen mit. Ihre heimliche Vergangenheit blieb nicht ungestraft. Als sich ihre Pornovergangenheit plötzlich herausstellte, wandten sich ihre Eltern entsetzt ab. Ihre Familie will sie bis heute nicht mehr sehen. Trotz der Ereignisse bereute Sibel nichts und möchte eine Art Vorbild für die Türkinnen sein. So möchte sie ihnen zeigen, dass auch eine Türkin ihr eigenes Leben führen kann. Es gibt viele, die Sibel dabei völlig unterstützen. Ich glaube, sie hat Recht, denn ihr wirkliches Leben sieht dem dargestellten ganz ähnlich. Es geht um den Konflikt zwischen den Eltern und ihren Töchtern. Auch wenn die Familie des Mädchens nicht radikal muslimisch ist, sieht sie das eigentliche, deutsche Leben und will es auch. Das ist aber auch natürlich. „Es geht um Freiheit. Und darum, dass es dann doch nicht alles ist, wenn man sich diese Freiheit erkämpft hat.” (Sibel Kekilli)