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Zeitung << 1/2004 << Interview mit Marianne Keßler


Eine Lektorin, die in Afrika und im Kosovo lehrte
Interview mit Marianne Keßler

Autorin: Nikoletta Ferenczi

Es war mir eine Ehre, mit unserer Lektorin, die im akademischen Jahr 2003/ 2004 an der Universität Szeged unterrichtete, ein Interview zu machen. Marianne ist sehr nett und interessant. Obwohl sie noch recht jung ist, hat sie schon in solchen Ländern gearbeitet, in die nicht alle gern gingen, wie Kosovo oder Afrika.

Marianne, warum bist du gerade nach Szeged gekommen?
Ich war mit meinem Studium fertig und weil Ungarn mich interessierte. Ich bin in Weimar in Thüringen geboren und gelebt habe ich direkt in der Nähe, in Jena, wo ich auch studiert habe an der Universität. Als Kind war ich bis 1989 relativ häufig zum obligatorischen Sommerurlaub mit meinen Eltern am Balaton, in Budapest, in Kaposvár und in Pécs, dort haben wir auch Verwandte. Ich war also häufig in Ungarn, aber noch nie in Szeged.

Hat es dir damals in Ungarn gefallen?
Es ist ganz anders, ob man hier Urlaub macht oder hier lebt. Damals hatten wir nur den Urlaub hier verbracht.

Wie gefallen dir Szeged und die Uni?
Die Innenstadt gefällt mir sehr gut. In der Kárász utca und am Klauzál tér sind so schöne Gebäude. Die Uni, die Institution unterscheidet sich sehr von einer deutschen Uni. Erstmal in ihrer Struktur. Die Germanistik in Jena ist z.B. ein bisschen anders strukturiert, da gibt es die Literaturwissenschaft getrennt von der Sprachwissenschaft. Es gibt ein Germanistisches Institut, ein Institut für Literaturwissenschaft und dann noch eins für Deutsch als Fremdsprache. Es ist also differenzierter.

Bist du mit deiner Arbeit zufrieden, mit den ungarischen Studierenden, mit ihren Sprachkenntnissen?
In diesem Semester halte ich Phonetik für das erste Studienjahr und Sprachübungen für das zweite und dritte Studienjahr. Die ungarischen Studierenden, wenn man das so pauschal sagen kann, sind im Durchschnitt sehr fleißig, vielleicht fleißiger als die deutschen Studenten. Sie sind sehr verschult, machen also die Aufgaben auch gerne, aber arbeiten nicht gern frei oder selbständig. Aber sie sind sehr lustig und fleißig. Ich muss sie ein wenig zwingen selbständig zu arbeiten. Aber es macht mir sehr viel Spaß mit den Studenten zu arbeiten.

War es am Anfang schwer hier zu lehren?
Nein, ich lehre schon länger, seit 1996. Ich habe auch im Ausland, in Afrika, im Kosovo unterrichtet und in Weimar an der Bauhaus-Uni. Die Bedingungen sind besser als ich es schon erlebt habe. Mein Praktikum habe ich in Afrika am Goethe-Institut gemacht. Ich war dann zweimal als Lektorin im Kosovo und da waren die Bedingungen schon schlechter.

Was meinst du, haben wir genug Sprachübungen?
Ich meine, es gibt hier zu viele Studenten, die zu wenige Sprachübungen haben. Die Sprachpraxis kommt zu kurz im Studium. Es werden jetzt im Laufe der zwei Semester immer mehr, besonders auch im zweiten und dritten Studienjahr, die die Alltagssprache im Studium „verlernen“. Sie machen so viel Theorie in Linguistik und Literatur, aber verlernen dabei ganz viel Vokabular. Die Frage ist natürlich, wozu das Germanistikstudium da ist. Ich denke, es sollte für beides irgendwie da sein. Ich denke auch, dass die Studenten ein Semester oder ein Jahr in einem deutschsprachigen Land verbringen sollten, das wäre das beste.

Wie ist deine Beziehung zu deinen Studenten und Kollegen?
Mit den Kollegen hatte ich keine negativen Erfahrungen. Wenn ich Fragen hatte, die am Anfang im September sehr häufig vorkamen oder auch noch heute, haben sie mir immer geholfen. Was die Studenten betrifft, hoffe ich, dass sie genauso gerne mit mir arbeiten wie ich mit ihnen. Ich habe ein sehr gutes Gefühl und mir macht die Arbeit sehr großen Spaß, und ich finde auch die Studenten wirklich nett.

Hast du Ungarisch gelernt?
Ich bemühe mich seit September in einem ungarischen Sprachkurs mit anderen Lektoren, also mit Kollegen aus Amerika, der Slowakei, Spanien, Ungarisch zu lernen. Allerdings habe ich nicht so oft im Alltag die Gelegenheit Ungarisch zu sprechen. Es ist schwer, wenn man nicht genug Sprachpraxis hat und ich spreche nur während des Unterrichts Ungarisch und im Alltag kaum. Ich kann mich halbwegs verständlich machen, ich kann in der Gaststätte etwas bestellen und im Supermarkt etwas kaufen.

Was machst du hier in Szeged, wenn du Freizeit hast? Was sind deine Hobbys?
An den Wochenenden habe ich Freizeit. Ich habe natürlich Hobbys, aber hier in Szeged kann ich diese nicht so sehr ausüben. Ich versuche hier regelmäßig schwimmen zu gehen. Dann höre ich eigentlich sehr viel Musik, klassische Musik. Ich spiele Violine und Klavier. Dann lese ich auch gerne. Momentan lese ich ein Buch von Antal Szerb.

Was sind deine Pläne für die Zukunft? Möchtest du noch in Ungarn oder in Szeged bleiben? Fehlen deine Bekannten oder Verwandten nicht?
Ja, natürlich fehlen sie hier, besonders jetzt. Ich habe in ein paar Tagen Geburtstag und natürlich würde ich gerne mit meinen Eltern und mit meinen Freunden feiern. Zum letzten Mal war ich zu Weihnachten zu Hause und jetzt in den Osterferien fahre ich wieder nach Deutschland. Und was meine Pläne sind? Für mich gab es keinen Grund in Deutschland zu bleiben. Ich wollte immer im Ausland leben. Ob ich länger in Ungarn bleiben will, weiß ich nicht. Mein Vertrag läuft bis zum Ende des Semesters. Und mal schauen! Ich möchte noch ein bisschen von der Welt sehen und auch in anderen Ländern gerne arbeiten.