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Zeitung << 1/2004 << Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft


Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Wilhelm Voßkamp

Autorin: Anita Fekete

Wilhelm Voßkamp ist Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Köln und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs „Medien und kulturelle Kommunikation”. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind: Poetik, Theorie und Geschichte der Literatur vom 17.-20. Jahrhundert und Wissenschaftsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. Er hielt vom 16.-18. März 2004 zwei Vorträge an der Universität Szeged über die Utopien und über die Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Der 68-jährige, aber noch immer aktive und umtriebige Professor war bereit, dem GeMa ein Interview zu geben.

In welcher Beziehung stehen Sie zur ungarischen Germanistik? Arbeiten Sie mit ungarischen Professoren und Institutionen zusammen?
Ja, es gibt schon lange eine Beziehung zu Ungarn und zu den Kollegen in Ungarn. Es fing mit einem Besuch in Budapest und in Veszprém vor ungefähr zwanzig Jahren an, wo eine deutsch-ungarische Konferenz über die Gegenwartsliteratur stattfand. Damals habe ich mich mit Fragen des dokumentarischen Schreibens, mit Autoren wie Peter Weiss und Alexander Kluge beschäftigt. Diese Kontakte sind weiter gepflegt worden. Mit Szeged, mit Professor Bernáth, habe ich auch sehr früh gute Kontakte geknüpft. Da er oft in Köln war und an dem Böll-Editionsprojekt gearbeitet hat, haben wir uns auch in Köln häufiger getroffen.

Woran arbeiten Sie jetzt? Welches Thema steht jetzt im Mittelpunkt Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?
Ich arbeite jetzt an einem Büchlein über die Text-Bild-Beziehungen, was natürlich im Zusammenhang mit unserem Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg steht. In diesem Buch versuche ich herauszufinden, welche Rolle die Bilder im Bildungsroman spielen. Ich habe festgestellt, dass es nicht nur eine etymologische Verbindung zwischen Bild und Bildung gibt, sondern auch eine semantische Beziehung. Und das ist ein Leitfaden für viele Entwicklungsprozesse des Einzelnen und der Einzelnen im Roman. An Beispielen von Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahren”, Eduard Mörikes „Maler Nolten” und Gottfried Kellers „Grünen Heinrich” versuche ich herauszufinden, mit welchen Bildern die Schriftsteller in ihren Romanen arbeiten und welche Bildmotive und Bildvorlagen sie benutzen. Es geht also um Fragen der Transkription und der Narrativierung von pikturalen Modellen.

Halten Sie noch andere Vorträge oder fahren Sie jetzt gleich zurück nach Köln?
Ich werde morgen einen Vortrag in Debrecen halten und dort über genau dieses Problem der Bilder im Bildungsroman sprechen. Im Anschluss an die Diskussion über Bilder bei Goethe, Mörike und Keller mache ich noch einen Ausblick auf das 20. Jh., indem ich mich mit der Fotographiekritik bei Thomas Bernhard in dessen Roman „Auslöschung” beschäftige.

Hätten Sie Vorschläge, wie die Kulturwissenschaften in einem traditionellen Germanistikstudium eingeführt werden könnten?
Ich glaube, dass man an der grundsätzlichen Betonung der Literaturwissenschaft, im Sinne einer philologischen Ausrichtung, festhalten sollte, weil das die Basis für alle Arbeiten ist, die wir als Textwissenschaftler auch im Bereich der Kulturwissenschaften machen können. Die Erweiterung der Literaturwissenschaft in den Kulturwissenschaften sehe ich in dreierlei Hinsicht als wichtig an. Einmal sollte man sich bei der Diskussion über das Verhältnis von Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft immer an die Wissenschaftsgeschichte erinnern. Darüber hinaus sollte man Fragen der Medien diskutieren. Neben der Literatur gibt es gegenwärtig im kulturellen Haushalt eine Dominanz des Visuellen. Aber diese Dominanz macht keineswegs die Literatur überflüssig oder schließt gar den Text aus. Dieses Verhältnis von Bild und Text, Text und Bild im Bereich sowohl der neuen als auch der alten Medien ist wichtig. Und schließlich muss man immer den Überblick behalten, in welchem historischen Zusammenhang diese Fragen stehen. Medientheorie und aktuelle Mediendiskussion sollten auch im Zusammenhang mit der Mediengeschichte betrieben werden. Mediengeschichte führt dann auch wieder zurück auf das Problem von Literaturgeschichte, und auch diese sollte Teil der Literaturwissenschaft bleiben.

Sie haben Gender Studies im Zusammenhang mit den Kulturwissenschaften in Ihrem Vortrag mehrmals erwähnt. Halten Sie es für wichtig und würden Sie empfehlen, Veranstaltungen zu Gender Studies auch an unserer Universität besuchen zu können?
Ich glaube, dass die Gender Studies wichtig sind, gerade für den kulturwissenschaftlichen Bereich, man muss nur aufpassen, dass dieses Thema nicht zu isoliert von anderen Fragestellungen behandelt wird. Man sollte die Gender Studies im Kontext der Kulturwissenschaften behandeln, also auch Fragen zu den textuellen und den kontextuellen Aspekten im historischen Zusammenhang stellen.

Könnten Sie uns Germanistikstudenten einige Ratschläge für unser zukünftiges Studium geben?
Man sollte die Qualität der Textinterpretation und der Textanalyse nicht mindern, sondern diese Fähigkeit, Texte zu interpretieren, stärken und die Geschichte der Literatur eben in einem größeren Zusammenhang, also im Zusammenhang der Geschichte der Gesellschaft und anderer Wissenschaften, deutlicher hervorheben. Und schließlich glaube ich, dass in den letzten Jahren die Ästhetik besonders wichtig geworden ist. Dieses Thema sollte auf jeden Fall behandelt werden. Die Frage der Kunst wäre dann sowohl im Bereich der Literatur wie im Bereich der Medien, aber auch im Bereich der traditionellen Künste der Bilder zu beantworten.