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Zeitung << 1/2004 << Wir waren als Erste da!
Wir waren als Erste da!
Europa hautnah in Regensburg
Autorin: Eva Zsiga
Die Eltern von uns hätten es schwer geglaubt, dass unsere Länder ungefähr 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges zu der historischen Union gehören werden. Und wir, als die jüngere Generation, stehen symbolisch und auch im wahren Leben vor den Türen der Europäischen Union. Aber inwieweit sind diese Türen geöffnet? Inwieweit sind wir bereit, uns dem Wandel anzupassen? Inwieweit ist die Union bereit, die zehn neuen Länder zu integrieren?
Regensburg – in der Mitte von Europa
Regensburg, die bayerische Kleinstadt, Stadt der Donau und des Regens, die Stadt des Europa-Kanals, Universitäts- und Kulturstadt, Partnerstadt unseres Lehrstuhls, ist gut vorbereitet. Sie versammelt an dem Erweiterungs-Wochenende die Vertreter des neuen Europa: Musiker, Tänzer, Künstler und Gastronomie sind im Westhafen dabei. Am 1. Mai spät am Abend grüßt die Stadt die neu angekommenen zehn Länder mit einem wunderschönen Feuerwerk und festlicher Beleuchtung des Hafens. Dvorak und Brahms ertönen, während die Sterne Europas in der Regensburger Nacht leuchten. Regensburg freut sich über die neuen, es will bewusst von jetzt an der wichtigste Sammelort der ost- und westeuropäischen Kulturlandschaft sein. Die Stadt ist glücklich, aber leider nicht ohne Skepsis. Es gibt natürlich auch negative Stimmen gegen die Osterweiterung. Solange man im Radio über Neueuropa mit Freude spricht (der reisende Reporter vom Bayern 3 stellt die zehn neuen Länder in zehn Tagen vor), sieht man auf der Straße riesengroße Plakate mit der Überschrift „Osterweiterung – für unsere Sicherheit”. Auf dem Bild ist ein tschechischer Polizist mit einem wahrscheinlich ungarischen Durchschnittsbürger an einem Tisch zu sehen. Vor den beiden auf einem Teller sind die ungarischen Spezialitäten „hurka und kolbász”. Sollten die Leute so überzeugt werden, dass die Erweiterung für alle günstig ist?
Wir waren als Erste da!
Die Universität Regensburg ist offen für die Studenten aus aller Welt. Die Betreuung ausländischer Studierender ist beispielhaft: neben der allgemeinen Studienberatung und den häufigen Wochenendfahrten organisiert das Akademische Auslandsamt (AAA) wöchentlich zweimal eine internationale Kaffeestunde. An jedem Dienstag und Donnerstag treffen wir uns mit den neuen und älteren Erasmus-Stipendiaten und bei einer Tasse Kaffee können wir die alten und neuen Bekanntschaften pflegen. Kein Wunder also, dass das AAA die zweitbeste Organisation für Auslandsstudierende in Deutschland ist. Es gibt zahlreiche Nationen an der Uni Regensburg: Studierende aus England, Spanien, Griechenland, Finnland und natürlich viele aus Osteuropa. Studenten aus Polen und Tschechien bilden die Mehrzahl an der Germanistik. Dem Auslandsamt ist es zu verdanken, dass die meisten neuen Erasmus-Leute in einem Heim in der Gesslerstraße zusammen wohnen. Vielleicht ist es deswegen so, dass wir binnen eines Monats sehr enge Freundschaften mit den anderen Osteuropäern schließen konnten. „Wir sind die tschechisch-polnisch-ungarische Fraktion”, sagen wir immer. Und der Tag des Beitritts war für alle von uns genauso ein großes Ereignis. Unsere Freude ist gemeinsam, wir sind ja ähnlicher Herkunft. Wir sind durch ähnliche Gefühle und Gedanken, Vergangenheit und Zukunft verbunden. Unsere Freude ist riesig, obwohl wir vielleicht ein bisschen melancholisch sind, dass wir diesen historischen Moment nicht mit unseren Angehörigen verbringen können. Wir sind aber vom ganzen Herzen stolz darauf, dass wir als Erste in der Union sind! Tschechische, polnische, ungarische Wörter, Tränen und Gelächter mischen sich vor dem Fernseher. Wir freuen uns, dass wir in einem „fremden” Land uns ähnliche, wahre Freunde gefunden haben. Unsere Zukunft in der Union ist die meistdiskutierte Frage in den letzten Wochen in unserem kleinen Freundeskreis. Die Meinungen sind meistens positiv.
Was sind die genauen Vorstellungen von der jüngsten Generation aus Polen und Tschechien. Was für Möglichkeiten eröffnen sich für uns in der EU?
Lenka Stetková (Masaryk Universität Brno: Bohemistik-Germanistik)
„Ich denke, dass der größte Vorteil des Beitritts ist, dass wir frei, ohne Visum von einem Land in ein anderes fahren können. Ich kann zwei Monate in Hamburg wohnen, dann fahre ich weiter in eine andere Stadt. In Tschechien will nur 1 % der Bevölkerung ins Ausland ziehen und da eine Arbeit finden. Sie haben vielleicht Angst: man bekommt auch zuhause schwer eine Arbeit, sie wollen das Sichere für etwas Unbekanntes nicht aufgeben. Für mich war der Beitritt ein zweites Sylvester, Anfang von etwas Neuem, ein Drehpunkt in unserem Leben.”
Anna Baba (Jagiellarsky Universität Krakow: Pharmazie)
„Mit meinem Studium habe ich später sehr gute Möglichkeiten sogar im Ausland eine Arbeit zu finden. Ich kann ein Praktikum ohne Probleme in verschiedenen europäischen Ländern machen. Was mir das Wichtigste ist, dass ich mein Diplom nicht mehr anerkennen lassen muss, es wird innerhalb Europas überall akzeptiert.”
Lucka Kuljovská (Masaryk Universität Brno: Bohemistik-Germanistik)
„Schade, dass von unseren Ländern im deutschen Fernsehen eher die negativen Seiten – kleine Dörfer, Armut und klischeehafte Bilder gezeigt wurden. Deutschland pflegt eigentlich sehr gute Beziehungen zu Tschechien. Ich hoffe, dass wir später in der Union mehr Arbeitsmöglichkeiten bekommen.”
Radek Wywial (Nikolaus Kopernikus Universität Torun: Jura)
„Ich meine, dass uns der Beitritt bessere Arbeitsmöglichkeiten bringt. Nach meinem Jus-Studium habe ich vor, ein oder zwei Jahre Praktikum zu machen – vielleicht irgendwo in Europa. Aber danach möchte ich nach Polen zurückkehren und da leben. Meine Heimatstadt hat den Beitritt mit Deutschland zusammen gefeiert, da ich in der Nähe der Grenze wohne. Sie haben symbolisch auf den zwei Seiten der Oder eine Brücke zwischen den zwei Ländern gebildet.”
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