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Zeitung << 1/2004 << Was für ein Leben gibt es nach dem EU-Beitritt?
Was für ein Leben gibt es nach dem EU-Beitritt?
Meinungen über die EU und unsere Zukunft in der EU
Autorin: Éva Vigyikán
Am 18. April 1951 wurde der Gründungsvertrag der Europäischen Union in Paris unterschrieben. Bis zum 1. Mai 2004 hatte sie 15 Mitglieder. Eines der 10 neu aufgenommenen Mitglieder ist Ungarn. Der 1. Mai ist heuer nicht nur der Tag der Arbeit, sondern auch die Feier des Beitritts. Aus diesem Anlass fragte ich einige Personen an der Universität Szeged, was ihre Meinung über den Eintritt sei: Wie beeinflusst die EU ihre Zunkunftspläne? Was halten sie von den Einschränkungen? Was wird und was sollte sich in unserem Leben und in unserer Heimat verändern oder verändert werden? Können wir unsere Kultur und nationale Identität bewahren, wenn die Grenzen verschwinden?
„Die Menschen leben heute immer schlechter und glauben nicht, dass nach dem 1. Mai plötzlich das gelobte Land Kanaan kommt. Natürlich interessiere ich mich für dieses Thema, weil es auch um meine Zukunft geht. Ich gehe auch zur Wahl, weil ich denke, dass Ungarn gute Abgeordnete im EU-Parlament haben soll, die sich für uns einsetzen. Sonst bin ich der Meinung, dass ein zukünftiges Mitglied der Intelligenz sich nicht leisten kann, zu Hause zu bleiben. Nach dem Eintritt möchte ich auch ins Ausland fahren, aber nur um dort herumzuschauen oder vielleicht etwas zu studieren. Es gibt viele schöne Landschaften im Westen, aber auch im Osten! Meine Meinung über die Begrenzungen auf dem EU-Arbeitsmarkt für Ungarn ist, dass es nicht unbedingt nötig wäre. Es ist ein Quatsch, dass man jetzt massensweise nach Westen ziehen will oder nur dort studieren oder arbeiten will. Studieren ist ganz OK, arbeiten ist problematischer. Die Länder im Westen sind jedenfalls nicht froh, wenn eine große Menge von Arbeitssuchenden zu ihnen strömt. Man denke an Deutschland, wo die Arbeitslosigkeit sehr große Probleme hervorruft, besonders in der ehemahligen DDR, wo diese 20% beträgt. Brauchen sie uns? Diejenigen, die ein Diplom haben, können vielleicht bessere Jobs bekommen. Aber auch in Ungarn sollten Intellektuelle bleiben. Ich möchte hier leben, es ist meine Heimat. Ich kann die alten EU-Staaten verstehen, dass sie uns nicht alle aufnehmen wollen. Sie wollen ihre eigenen Interessen verteidigen. Man sollte lieber danach streben, Arbeitsplätze hier in Ungarn zu schaffen und den Angestellten richtigen Lohn zahlen. Was haben wir in der EU zu tun, wenn hier der Minimallohn bei 200 Euro liegt und ein Lehrer ca. 300 Euro nach Hause bringt? Kein Wunder, wenn man wegziehen will! Die Nachteile wird ein großer Teil der Einwohner am eigenen Leib spüren. Was ist mit der Landwirtschaft, den Arbeitern oder z.B. mit dem Gesundheitswesen, wenn die Ärzte wegen des zehnfachen Lohnes nach Westen wegziehen? Diejenigen, die keine Fremdsprache sprechen – es geht um die überwiegende Mehrheit – haben geringe Chancen in der EU. Ich spreche zwei große EU-Sprachen, werde hoffentlich zwei Diplome haben und hoffe darauf, dass es hier einmal besser geht. Was die EU bringt, werden wir in einigen Jahren sehen können!”
András Mucsi
Germanistik – Geschichte
3. Studienjahr
„Wenn ich das Wort Europa höre, fällt mir gerade Europa als schönes Weib ein. Als Studierende hatten wir geringe Möglichkeiten nach Westen zu gehen. Es freut mich sehr, dass Ungarn in die EU eintritt. Was mich betrifft, bin ich täglich in Kontakt mit diesem Thema, weil es der Fachbereich meiner Tochter ist. Sie erzählt mir oft davon. Nach dem Beitritt möchte ich ein EU-Land besuchen. Ich habe mich für einen Aufenthalt in Irland beworben, wo ich die Poesie des 20. Jahrhunderts untersuchen möchte. Sie ähnelt der unseren sehr. Nach Portugal würde ich auch gern zurückkehren. Den Umzug in den Westen plane ich eigentlich nicht. Ich würde gern mehr oder weniger Zeit überall auf der Welt verbringen, um dort zu leben, zu arbeiten. Ohne Schwierigkeiten könnte ich wählen, wohin ich sehr gern fahren würde, da ich vier Sprachen sehr gut spreche: Englisch, Russisch, Deutsch und Französisch. Die Begrenzungen im Handel, in der Landwirtschaft oder im Arbeitsunternehmen waren keine Überraschung, glaube ich. Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung bedeutet das nicht nur den Schutz der EU-Länder, sondern auch Ungarns. Sie werden meiner Meinung nach kürzere Zeit dauern, als es im Gesetz steht. Unsere Kultur wird nicht nur nicht verschwinden, sondern nach dem Eintritt wird ihre Rolle viel wichtiger, bedeutender. So sind die Ängste ganz überflüssig und haben keinen Grund. Die multinationalen Firmen sind schon seit vielen Jahren hier, in den Geschäften sieht man nur sehr selten echte ungarische Produkte, und so ist es heute in allen Bereichen des Lebens. Die Einheit ist aber sehr wichtig. Darüber sprechen wir sehr wenig. Die Einheit ist nicht das Gegenteil der Verschiedenheit! Es wäre sehr wichtig, die negativen Meinungen über die Minderheiten in unserer Heimat zu verändern. Eine strenge, ständige Einheit liegt darin, dass wir die anderen auch respektieren können!”
Dr. Lajos Szigeti
Lehrstuhl für Moderne
Ungarische Literatur
„Ich interessiere mich für dieses Thema, weil ich ins Ausland fahren möchte, um dort zu studieren und zu arbeiten. Es ist eine gute Möglichkeit, andere Kulturen und Menschen kennen zu lernen. Ich möchte vor allem in deutschsprachige Länder fahren. Aber dort wohnen will ich eigentlich nicht, oder nicht zu lang. Bezüglich der Begrenzungen kann ich die EU-Länder verstehen. Sie schützen ihre Wirtschaft und Arbeitskraft. Ich kann nichts darüber sagen, ob es nützlich oder schädlich für Ungarn wird, aber ich hörte, dass viele Produkte und Lebensmittel billiger werden. Ich habe keine Illusionen, aber ich hoffe, wie alle in Ungarn, dass es uns besser gehen wird. Unsere Kultur wurde leider in negativer Richtung schon stark verändert. Ich kann nur hoffen, dass andere Länder in der EU unsere Kultur und Eigenheiten mögen und akzeptieren werden. Die Menschen hatten immer solche Bestrebungen für Integration. Das ist unsere Zukunft, dass wir auf einem Kontinent ohne Grenzen leben!”
Bence Hamvai
Germanistik, 2. Studienjahr
„Ich habe weder positive noch negative Eindrücke über das Thema EU, leider, muss ich sagen. Ich zweifle daran, dass die EU unsere Zukunft verändert. Ich glaube es auch nicht, dass ich nach dem Eintritt ins Ausland gehen werde. Ob ich später in einem EU-Land arbeiten, wohnen oder studieren werde, ist nicht unmöglich. Unsere Kultur und die Kultur selbst verändert sich immer. Sie muss sich entwickeln und entwickelt sich unter den Eindrücken der Gesellschaft eines Landes und auch Europas. Es ist ein Prozess, der nie ein Ende hat.”
Szilvia Gál
Germanistik, 4. Studienjahr
„Als ich noch kleiner war, waren wir in England im Rahmen eines Schüleraustauschs. Die schönen Städte, die netten Menschen und die wunderschöne Umgebung fallen mir ein, wenn ich an die EU denke. In der Zukunft fahre ich ins Ausland, was aber unabhängig vom Beitritt ist. Als Besucher, Tourist würde ich gern schöne Städte in der EU besichtigen. Nach Finnland würde ich z.B. sehr gern fahren. Mich interessieren vor allem die nördlichen Länder. Aber ich möchte nicht in anderen Ländern wohnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich acht oder zehn Jahre in einem anderen Land lebe. Ich kann es mir nur dann vorstellen, wenn die nötigen Umstände für meine Arbeit hier in Ungarn nicht zur Verfügung stehen würden. Aber hier in Ungarn möchte ich in meiner Arbeit Ergebnisse erreichen. Meiner Meinung nach sind die Begrenzungen schlecht, aber nötig, vielleicht nicht in der näheren Zukunft, sondern eher später, nach den weiteren Beitritten, kann es nützlich sein. Ich sehe noch nicht so klar, was für eine Rolle der EU-Beitritt Ungarns in meinem Leben spielen wird. Sicher ist, dass es nicht wirkungslos sein wird. Ich habe keine Angst davor, dass unsere Kultur verschwindet. Ich finde es wichtig, dass die Menschen andere Kulturen und andere Länder kennen lernen. Wir können stolz auf unser Land und unsere Kultur sein! Wir wissen sehr wenig Konkretes über die EU, die Menschen haben keine klaren, genauen Kentnisse davon. Die Werbung zeigt uns nur die Vorteile. Und die Nachteile werden wir früher oder später auch kennen. Die Einführung des Euros finde ich nicht so eine gute Idee. Jedes Land hatte eine eigene Währung, die charakteristisch für dieses Land war. Meiner Meinung nach gehört der Forint auch ein bisschen zu unserer Identität. Unter den Ländern gibt es sehr große Unterschiede in der Wirtschaft. Egal, was für eine Währung im Gebrauch ist, man muss vor allem Arbeitsmöglichkeiten und einen besseren Lohn bieten.”
Zsófia Feltóti
Biologie, 4. Studienjahr
„Wenn ich an die EU denke, fällt mir die Umgestaltung des Hochschulwesens und der Bologna-Prozess ein. Ich habe positive Gefühle im Zusammenhang mit diesem Thema. Man kann schon jetzt sehen, dass auch Schwierigkeiten auftreten werden. Hier denke ich an die finanzielle Seite. Trotz dieser Schwierigkeiten müssen wir auf das Niveau der Bildung achten, wir müssen es sichern. Es freut mich sehr, dass wir von den Studenten, die ein Auslandsstipendium in Deutschland hatten, immer positive Bewertungen bekommen. Nach dem Beitritt fahre ich erst Anfang September ins Ausland, nach Wien, wegen der Österreichbibliothek und um zu forschen. Aber in einem anderen Land möchte ich nicht wohnen. Ich hätte die Möglichkeit, weil meine Tochter in den USA lebt und sie hat mich schon mehrmals eingeladen. Die Begrenzungen sind für uns – vor allem für die Jugendlichen, die arbeiten möchten – schädlich. Ich hoffe, dass sie so früh wie möglich verschwinden. Die Menschen gehen nur wegen des besseren Lohnes ins Ausland, aber ohne Sprachkenntnisse erreichen sie nichts. Es hängt auch von uns ab, wie unsere Kultur verändert wird. Wir dürfen uns nicht vor anderen Ländern verschließen. Wir müssen auf unsere Kultur achten und auf ihre Werte das ganze Leben lang aufpassen.”
Dr. Márta Baróti-Gaál
Leiterin des Lehrstuhls für Österreichische Literatur und Kultur
„Bei dieser Frage hört man oft Halbwahrheiten, falsche Aussagen und unwichtige Details von der Seite der Politiker bzw. aus dem Fernsehen. Ein Individuum, das sich nur aus den Medien informiert, kann sich oft keine vernünftige Meinung über den Begriff EU-Beitritt bilden. Ich bin auch kein Experte, aber ich habe schon vieles gesehen und anhand dessen habe ich mir meine Meinung darüber gebildet. Für uns Jugendliche ist der Beitritt eine sehr große Chance: Eine Möglichkeit im Ausland zu studieren durch die Einbeziehung von Mitteln der EU, Praktikumsmöglichkeiten, den Europäischen Freiwilligendienst und auch durch Arbeitsmöglichkeiten. Ob der Beitritt für die ganze Gesellschaft und alle Schichten Nutzen bringt, dazu möchte ich mich nicht äußern. Das Thema Europa und die Europäische Union interessiert mich sehr. Als Teilnehmer der Europäischen Jugendkonferenz in Paris konnte ich mir schon ein ziemlich klares Bild davon machen, wie die EU funktioniert. Ich habe viele Bücher gelesen, die dieses Thema beinhalten. Dazu habe ich später auch praktische Erfahrungen gesammelt. Es gibt noch vieles, was ich sehen möchte, und in meinen kurzfristigen Zukunftsplänen strebe ich eine Praktikumstelle in Brüssel beim Europäischem Parlament an. Ich habe mich jetzt um ein DAAD-Stipendium beworben und wenn ich das bekomme, dann studiere ich im nächsten Semester irgendwo in Deutschland. Ich würde auch gern für kürzere Zeit im Ausland arbeiten, eventuell im Bereich EU oder an einer Botschaft. Ich habe noch viel Zeit, um mir darüber Gedanken zu machen. Natürlich sind die Begrenzungen und Quoten für die Landwirtschaft nicht positiv. Jedoch würde ich diese auch nicht so extrem schlimm sehen. Die EU bzw. die Mitgliedsstaaten wollen sich vor den billigen Waren aus Osteuropa schützen. Was man im Fernsehen sieht und hört von Seiten der Landwirte, vermittelt auf jeden Fall einen falschen Eindruck für den Laien. Die Landwirte sagen immer, dass sie mehr Unterstützung brauchen von der Seite der Regierung. Jedoch werden diese Mittel verschwenderisch gebraucht. Viele Landwirte tun gar nichts, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Das kann vielleicht mit der ungarischen Mentalität verbunden sein. Sie müssen sich zusammenschließen, um gemeinsam ihre Interessen vertreten zu können. Für die Landwirtschaft wäre das Jahr 1989/1990 für den Beitritt geeigneter gewesen. In den 70er, 80er Jahren gab es auf der Welt fünf Länder, in denen die Landwirtschaft Nettoeinzahler war. An der dritten Stelle war Ungarn. In der Zukunft würde ich im Bereich der Europäischen Union sehr gern arbeiten.”
Zoltán Fehér
Germanistik
4. Studienjahr
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